Anthony Musson / Nigel Ramsay (eds.): Courts of Chivalry and Admiralty in Late Medieval Europe, Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2018, XIV + 250 S., 13 Farb-, 4 s/w-Abb., ISBN 978-1-78327-217-4, GBP 60,00
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Jakob Wührer / Martin Scheutz: Zu Diensten Ihrer Majestät. Hofordnungen und Instruktionsbücher am frühneuzeitlichen Wiener Hof, München: Oldenbourg 2011
Jean-Baptiste Santamaria: La chambre des comptes de Lille de 1386 à 1419. Essor, organisation et fonctionnement d'une institution princière, Turnhout: Brepols 2012
Torsten Hiltmann / Laurent Hablot (eds.): Heraldic Artists and Painters. In the Middle Ages and Early Modern Times, Ostfildern: Thorbecke 2018
Der Titel lässt eher trockene rechtshistorische Arbeiten vermuten. Die werden in der zweiten Hälfte des Bandes auch geliefert. Mit Leben und Anschaulichkeit erfreut dagegen der erste Teil, aufgrund einiger Quellen, die uns aus den Archiven dieser Institutionen, besonders der englischen Court of Chivalry, erhalten sind. Insgesamt ist die Überlieferung, zumal die serielle, aber betrüblich schlecht, Erkenntnisse sind nur aus "bits and pieces" zu gewinnen. Doch zunächst zu dem, was man hier erwartet.
Der Blick fällt vor allem auf England und ein wenig auf Frankreich, jene feindlichen Geschwister im Hundertjährigen Krieg. Nur einer der elf Artikel schaut in den Süden, Italien und die Iberia, behandelt aber lediglich die Entstehungsgeschichte und Verbreitung der 1484 in katalanischer und 1519 in italienischer Sprache gedruckten Gesetzessammlung, die je nach Stadt und Interessenlage je anders rezipiert wurde und deren Symbolwert oft höher war als ihre Hilfe für die Praxis (vom einfachen Stemma abschiednehmend: Lorenzo Tanzini, The Consulate of the Sea and its fortunes in late medieval mediterranean countries, 171-185). Groß ist dagegen nördlich der Alpen der Einfluss der italienischen Juristen, Giovanni da Legnano beim Kriegsrecht und Bartolo da Sassoferato beim Recht der Wappen, wie mehrere der Beiträge zeigen. Ein weiteres Kapitel widmet sich Frankreich, nicht nur dem königlichen, sondern auch dem burgundischen und dem Herzogtum Savoyen, mit Hinweis auf die Konkurrenz des Maître des arbalétriers der Armbruster und Betonung der großen Rolle, die Honorat Bovets (2017 von Reinhilt Richter-Bergmeier neu ediertem) 'Arbre des batailles' als ständige Referenz spielte (klar und sachbezogen: Bertrand Schnerb, The jurisdiction of the constable and marshals of France in the later middle ages, 135-147).
Stellt sich die Frage, seit wann es diese Gerichtsbarkeiten gab, hier der beiden Marschälle und des Konnetabels, dort des Admirals, hier über die Kriegsmarine, dort über das Landheer. Dass deren Aufkommen etwas mit dem nicht enden wollenden Krieg zu tun hat, liegt auf der Hand. Die zunächst zeitlich begrenzten Ämter selbst gehen in das 13., ja 12. Jahrhundert zurück, die Gerichtsbarkeit als feste Institution und klarem Ressort entwickelt sich jedoch erst langsam im Laufe des 14. Jahrhunderts und wurde in dessen zweiter Hälfte institutionalisiert, die entsprechenden Statuten datieren in Frankreich von 1370/1390, in England von 1389/1392. Denn es gab viele andere Gerichte, die in diesen Materien ebenfalls urteilten: städtische, lokale (sheriff, water bailiff, Zollbehörden) und zentrale wie Kanzlei und Rat, Parliament und Parlement. Von besonderem Belang ist, dass die Unabhängigkeit der Cinque Ports zurückgedrängt wurde, seitdem John Beauchamp 1360/1361 erstmals das Amt des Admirals mit demjenigen des Warden-Constable dieser mächtigen Hafenstädte in Kent und Sussex vereinigt hatte (kenntnisreich: Thomas K. Heebøll-Holm, The origins and jurisdiction of the English Court of Admiralty in the fourteenth century, 149-170). Dabei gliedert das Gericht des Constable im Jahr 1484 das noch heute bestehende College of Arms aus, das Heroldsgericht, zuständig für alle Wappenangelegenheiten. Erst ab den 1340er-Jahren wird aus dem Beruf eines "loudmouth" ein Amt. Eine eigene Pariser Kapelle erhalten die französischen Herolde 1407, 1408 eine eigene Satzung. Entsprechendes geschieht in England 1415, 1417, 1419/1421. In den Wappenprozessen spielt weder ein Herold eine Rolle noch wird auf Wappenbücher Bezug genommen (sehr klar und die Annahme allzu früher Zuständigkeiten der Herolde vernichtend Richard Barber, Heralds and the Court of Chivalry: from collective memory to formal institutions, 15-27). Etwas betrüblich ist lediglich, dass die deutsche Literatur (Gert Melville, Torsten Hiltmann, Nils Bock) nicht herangezogen wird.
Das Constablegericht verkümmerte, da die Verratsprozesse mehr und mehr durch commissions of oyer and terminer, also Sondergerichte abgeurteilt wurden und die Heraldica Angelegenheit des College of Arms geworden waren. Das Admiralitätsgericht aber blühte und besteht ebenfalls noch heute. Besonderen Aufschwung nahm es unter Richard, Herzog von Gloucester, 1483-1485 König Richard III., der zeitweilig beide Ämter innegehabt hatte (detailreich: Anne F. Sutton, The Admiralty and Constableship of England in the later fifteenth century: the operation and development of these offices, 1462-85, under Richard Duke of Gloucester and King of England, 187-214). Dabei spielte stets die zwischen Piraterie und erklärtem Krieg angesiedelte Frage, wie es mit der Beute (prise, prize) zur See zu halten ist bzw. wann sie als unrechtmäßig galt, zurückgegeben oder vom Souverän ersetzt werden musste, Geleits wegen oder aufgrund eines Waffenstillstands oder eines Friedens, was ebenso für den Landkrieg gilt. Die Frage der Kaperbriefe (lettres de marque) spielt dabei eine besondere Rolle (formalrechtlich: John Ford, Some dubious beliefs about medieval prize law, 215-236), wobei klar wird, dass erst mit dem Frieden von Brétigny von 1360 König Eduard III. die Meeres-Souveränität vor den ihm abgetretenen französischen Provinzen beanspruchte. Das alles ist für das tägliche Leben, den Handel, das Überleben in Kriegszeiten von fundamentaler Bedeutung - wie etwa die Hanserezesse zeigen, die zum allergrößten Teil aus Stücken bestehen, die aus solchen Auseinandersetzungen hervorgegangen sind.
Aber das Herz (jedenfalls des Rezensenten) schlägt dennoch höher bei der Lektüre des ersten Teils, der sich in engerem oder weiteren Rahmen mit den wenigen Verfahren befasst, deren Akten den Verlust des Archivs der Court of Chivalry teils im Original, teils in späterer Abschrift überlebt haben. Wobei zunächst der Name dieses Gerichts Aufmerksamkeit erregt (auch in Luxemburg gab es ein "Rittergericht", jedoch ganz ständischer Art). Das 14. Jahrhundert als die ritterliche Epoche schlechthin erscheint hier in voller Blüte. Zuständig war die Court of Chivalry für alle Ehrenfragen, Lösegeldaffären, Beuteprobleme und Wappenkonkurrenzen, wenn nämlich eine Familie entdeckte, dass eine andere dasselbe Wappen führte und jener das Recht dazu bestritt (gesamteuropäisch: Laurent Hablot, French armorial disputes and controls, 29-45). Drei Prozesse dieser Art sind erhalten: Scrope versus Grosvenor (1386), Lovell versus Morley (1386/1397) und Grey versus Hastings (1408/1409). Was sie so interessant macht, sind die Aussagen von mehreren Hundert Zeugen unterschiedlichen weltlichen und geistlichen Standes, und zwar dazu, was sie von der Wappenführung dieser und der anderen Familie wussten und vor allem, wann und wo sie das Wappen gesehen hatten: im Felde und in Kirchen auf Bannern, Wimpeln und Wappenröcken, in Fenstern (s. Tafel I: Lovell/Morley in Norwich) und Grabstätten, an Häusern, (gestifteten) Gegenständen und Gewändern. Was da an geografischer Mobilität, materieller Kultur, sozialen Beziehungen bis hin zur Waffenbruderschaft und weltlichem Blick losgelöst von geistlicher Memoria zutage tritt, übertrifft jede Erwartung. Rar und wertvoll sind diese Zeugnisse ("gold-dust" nennt sie Julian Luxford, Art, objects and ideas in the records of the medieval Court of Chivalry, 47-74).
Doch kam es letzten Endes weniger auf solche Objekte als auf das Erbrecht an. Leider sind diese Texte meistenteils noch unediert. Unbekannt sind sie indes nicht: Maurice Keen und seine Schüler haben sie für ihre Zwecke ausgewertet. Jetzt erst aber darf man hoffen, dass alle drei Texte von Nigel Ramsay herausgegeben alsbald im Druck erscheinen werden, in den Veröffentlichungen der Selden Society, nachdem die Grosvenor-Zeugen (von deren Aussagen an die 60 wohl für immer verloren sind) schon im Jahr 1832 luxuriös gedruckt worden waren (umsichtig: Philip Morgan, Sir Robert Grosvenor and the Scrope-Grosvenor controversy, 75-94). Hier geht es auch um den Sohn Sir Thomas of Hulme (†1430) und die Enkel Robert (†1465) und Ralph, und das Gedächtnis und den sozialen Rang der Familie, die großen Wert darauf legte, den Juristengeruch abzulegen, so wie die Grosvenor denjenigen von Beamten. Der Fall eines sehr kleinen Edelmanns, der nie zum Ritter geschlagen worden ist, wird ausgebreitet (weiterführend: Andrew Ayton, From Brittany to the Black Sea: Nicholas Sabraham and English military experience in the fourteenth century, 95-120). Dieses Leben, das fast nur aus dem Wappenprozess bekannt ist, war schon von Timothy Guard beschrieben worden (Oxford Dictionary of National Biography, online, 2005); hier wird versucht, einige Lücken zu schließen und den summarisch erwähnten Solddienst am Bosporus und in Ungarn zu datieren, wobei die Einordnung des Individuums in seine Gruppe besonders willkommen ist. Seine Zeugenaussage vom 17. September 1386 wird im Anhang in englischer Übersetzung zur Verfügung gestellt. Von der Vollstreckung einer der Urteilsformen der Court of Chivalry, dem gerichtlichen Zweikampf, handelt indirekt der hier veröffentlichte Text des John Hill, der zwischen 1410 und 1434 (oder 1451) in den Quellen als Mitglied der königlichen Waffenkammer begegnet, und zwar als Fachmann für die leinene Polsterung unter der Rüstung. Hill beschreibt, wie ein Duellant gewappnet sein soll (fachkundig: Ralph Moffat, 'Armed and redy to come to the felde': arming for the judicial duel in fifteenth-century England, 121-133). Auf die parallelen französischen Texte verweist der Editor allerdings nicht und weiß anscheinend auch nicht, dass die Polsterung einer Turnier-Rüstung Herzog Sigmunds von Tirol aus dem Jahr 1484 wie durch ein Wunder in der Wiener Hofjagd- und Rüstkammer erhalten geblieben ist. Sein Kommentar ist dennoch von großem Wert, weil er die Bezeichnung der einzelnen Rüstungsteile weitgehend klärt; der hier genannte Helm ist ausdrücklich nur für das Duell geeignet, nicht für den Krieg. Wie es tatsächlich zuging, geht daraus nicht hervor. Aber die Anweisung, rote Stoffe zu verwenden, damit der Gegner nicht sogleich erkennen könne, dass sein Widerpart blutet, mutet recht realistisch an. Wie lange in England Gerichtsduelle noch tatsächlich ausgefochten wurden, wird nicht gesagt. Das Pariser Parlement ordnete ein gage de bataille zum letzten Male im Jahr 1386 an. Als Zeugnis einer "überlebten" Tradition gehörten solche Texte noch lange zum Wissensbestand des Adels und der Herolde.
Ein inhaltsreiches Vorwort der beiden Herausgeber, das zugleich eine Zusammenfassung bietet, zahlreiche, auch farbige Abbildungen und ein Index der Orte, Personen, Sachen runden den Band ab. George Drewry Squibbs Darstellung "The High Court of Chivalry. A study of civil law in England" aus dem Jahr 1959, in der das Mittelalter nur die Seiten 1-28 füllt, wird wesentlich ergänzt. Eine neue Gesamtdarstellung ist von den beiden Herausgebern zu erwarten: "Law and Arms. The medieval English Court of Chivalry", als Ergebnis eines vom Leverhulme Trust unterstützten Forschungsprojekts. Die Beiträge, die auf eine unter dem Titel "Heraldry and Piracy in an Age of Chivalry" veranstaltete Tagung des Jahres 2015 in Exeter zurückgehen, klären eine ganze Reihe strittiger Fragen oder formulieren sie neu. Sie weisen auf Quellenbestände hin, die intensiver genutzt werden könnten und sicher auch genutzt werden werden, wenn die Gesamtveröffentlichung vorliegt. Und sie zeigen, welch große Rolle Recht und Gericht im täglichen Leben spielten. Dass vom 25. bis 26. Oktober 2018 in Lissabon zum Thema "Central governments and the resolution of maritime conflicts 1200-1600" eine Tagung stattfindet, zeigt an, dass hier ein Beitrag zu einem großen Thema geleistet worden ist.
Werner Paravicini