Henry Keazor / Fabienne Liptay / Susanne Marschall (Hgg.): FilmKunst. Studien an den Grenzen der Künste und Medien, Marburg: Schüren-Verlag GmbH 2011, 400 S., zahlr. Abb., ISBN 978-3-89472-666-9, EUR 49,00
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Die insgesamt 19 Beiträge in diesem Band widmen sich, wie die Herausgeber explizit hervorheben, dem Verhältnis von Film und Kunst in produktiver Perspektive. Zielsetzung ist es demnach nicht, einem Wettstreit oder Hierarchisierungsversuchen innerhalb einer Ordnung der Künste zu folgen, sondern das Verhältnis von Film und Kunst als "bewegliches Beziehungsgeflecht" (9) zu erarbeiten. In dieser dynamischen Wechselseitigkeit zeigt eine zweite Annäherung den Versuch, "das im Wettstreit getrennte (wieder) in ein dialogisches Verhältnis zu setzen" (10) und somit explizit Elemente der Synthese, aber auch der Abgrenzung und spezifischen Eigenheiten der jeweiligen Medien in den Blick zu nehmen. Neben den Schauplätzen "einer Kollision oder Verschmelzung der Medien" (10) leistet dieser Band zudem eine Harmonisierung von wissenschaftlichen Diskursen, indem der Standpunkt einer kunstwissenschaftlichen Filmforschung eingenommen wird: Die Verschmelzung der Medien macht eine produktive Synthese akademischer Disziplinen zwingend erforderlich, um sich diesem neuen und multimodalen Terrain adäquat nähern zu können. Die zahlreichen thematischen Studien, die im Schwerpunkt das Verhältnis von Malerei und Film analysieren, werden durch zahlreiche Film- und Kunstbeispiele präzise verdeutlicht.
Den ersten thematischen Abschnitt bildet das Kapitel "Film in der Kunst(wissenschaft)", in welchem die verschiedenen Einflüsse und Bezugnahmen des Films auf die Kunstwissenschaft erörtert werden. Thomas Hensels zentraler Argumentationsgang hebt die Möglichkeiten einer eigenständigen Disziplin der Bildwissenschaft hervor, die in "ihrer Struktur wesentlich durch bildgebende Technologien und technische Bilder geprägt wurde und infolgedessen grundlegende kunst- resp. bildwissenschaftliche Methoden hervorgebracht hat" (15). Hier zeigt er das Potential des Films als "neue Universalsprache" (29), da in ihm technische, narrative und visuelle "Bildlogik" (17) Anteile an der künstlerischen Konstitution des Mediums haben. Film lässt sich demnach als autonomes Zeichensystem auffassen, welches über dynamische Strukturen verfügt: "Mit den Möglichkeiten der Sequenzialisierung sowie der raumzeitlichen Rhythmisierung von Montage und Schnitt verfügte die Kinematografie über ein eigenes Zeichenrepertoire. Kein anderes Dispositiv erlaubte es, Bilder sowohl linear zu ordnen als auch assoziativ verknüpfbar zu machen und damit zu narrativieren; und kein anderes Dispositiv gewährte die Möglichkeit, sowohl lineare historische und genealogische Kontinuität wie auch deren Spannungen, Widersprüche und Frakturen abzubilden und in eins zu denken" (38). Die technische Entwicklung des Mediums Film ist hierbei ebenfalls dynamisch, wie Volker Pantenburg argumentiert, da die "Umstellung des Bildarchivs von analoger auf digitale Technik" (41) die Möglichkeiten des Films erweitert. In dieser Erweiterung liegt dann ein produktiver Ansatzpunkt der Kunst, das "Bildreservoir" (56) des Films vom kinematografischen Dispositiv zu entkoppeln und für Installationen im künstlerischen Ausstellungsraum zu nutzen.
Der zweite Abschnitt, "Künstler(biografie) und Film", argumentiert gegen eine identitätslogische Vergleichbarkeit von Malerei und Filmkunst, da in dieser Perspektive der Film auf eine naive "Schwundstufe" (94) reduziert wird, so Matthias Bauer: Film ist nicht nur "technisches Mittel der Reproduktion und Distribution von Bildern, Bildmotiven und bildgebenden Verfahren" (94), und damit nur mimetisch, sondern explizit multimodal. Innerhalb der multimodalen Logik lässt sich die "intermediale Dimension der Filmkunst" (94) dahingehend verorten, dass sie sich durch die szenografische Differenz zur Malerei auszeichnet und über diese hinausreicht. Film verfügt über "ikonografische und dramaturgische Verfahren, Bühnenbild und Schauspiel, Schrift und Sprache, Ton und Musik" (94) und kombiniert differente Medien zu einem komplexen multimodalen Konstrukt. Film ist demnach, im Sinne Manfred Bierwischs, ein wahrnehmen machen komplexer Zeigehandlungen. Film offenbart sich selbst als reflexives Kunstwerk und kann andere Kunstwerke abbilden und deren Produktionsprozess nachvollziehbar werden lassen. Er ist keine bloße Imitationsstufe der Malerei, sondern vollständig autonom um eigene Prinzipien des Szenischen und Narrativen bemüht.
Der dritte Abschnitt "Film/Bilder" fokussiert die szenische Bildlogik des Films in kompositorischer und filmsemiotischer Perspektive. Das Bewegungsbild des Films zeigt sich hier nicht ausschließlich in seiner technischen Dimension, sondern integriert die Rezeption als eigenständige Dimension. Nach Thomas Koebner entfaltet sich die Rezeption zwar in Abhängigkeit des konkret Sichtbaren, kann aber das Abwesende als notwendige Bestimmungsgröße des Szenischen integrieren: "Das Verhältnis zwischen On- und Offscreen wird nicht nur räumlich, durch eine Komposition mit gleitender Abgrenzung zwischen da und nicht da bestimmt, sondern auch temporal durch ein nicht mehr und noch nicht" (197). Das Filmbild erstreckt sich prinzipiell auf ein Innerhalb und ein Außerhalb des Bildes in Korrelation zur rezeptiven Erwartungshaltung. Auch die Montage deutet auf eine Gedächtnisleistung des Rezipienten, wie Hans J. Wulff präzise ausführt, denn "wenn das Bild nach einem harten Schnitt wechselt, bleiben die Figuren und Objekte des vergangenen Bildes erhalten; im Verstehen der Geschehnisse gilt eine stillschweigende 'Pertinenzhypothese'" (219). Die "eigene Zeichenklasse" (211) des Films konstituiert darüber hinaus eine Form visueller "Doppelschichtigkeit" (223), da das Filmbild "nicht nur das zeigt, was es zeigt, sondern immer auch zeigt, wie es zeigt. Es ist Bild dessen, dessen Abbild es ist; und es ist zugleich Bild, das das Verfahren des Abbildens selbst zeigt" (223).
Der vierte Abschnitt "Medi(alität)en" befasst sich mit den medialen Wechselwirkungen zwischen im Film eingesetzter Malerei, Fotografie und Werbestrategien und deren Einfluss auf die szenische Bedeutung innerhalb des Films. Nach Vera Cuntz-Leng verfügen Gemälde über die Funktion einer historischen Repräsentation und können die Narration über die Dimension des Vergangenen und kulturell Erlernten erweitern, ebenfalls wenn sie "aus dem Bereich des Imaginären [...] und der menschlichen Psyche" (270) stammen, erlauben sie eine Transformation filmischer Bedeutung: "Diese Bilder werden durch die Inszenierung und ihre narrative Funktion symbolisch aufgeladen und verleihen den Filmen eine heilige Komponente, indem einzelne Sequenzen oder inhaltliche Aspekte aus der sonst profanen Filmhandlung herausgelöst werden" (270). Auch der Einsatz von Fotografien im Film verbleibt nicht nur auf der Ebene eines Hinweises für etwas Vorhandenes (Index), sondern kann als "Auslöser von Reflexion" (272) die semiotische Ebene der Filmbedeutung transformieren, wie Jennifer Bleek darlegt. Als Stimmungsmotor lenken die Fotografien die Aufmerksamkeit auf "die bildjenseitige Wirklichkeit" (288) und evozieren Bedeutung als nachhaltiges "Erfahrungsmedium einer kontingent gezeichneten Wirklichkeit" (288). Joan Kristin Bleicher zeigt wie sich Werbung als "Form der visuellen Avantgarde in der Medienkultur" (303) etabliert und sich im Spannungsfeld von Kunst- und Werbeästhetik bewegt. Vor allem im Kontext der "Televisuality" (302) des Fernsehens zeigen sich intervisuelle Gestaltungsformen, welche die etablierten "Grenzen der Bildwelten von Kunst, Kino, Fernsehen und Internet" (303) verschwimmen lassen.
Der fünfte und letzte Abschnitt, "Kunstschaffen im Film", widmet sich den künstlerischen Werkproduktionen und deren filmischen Darstellungsweisen. Nach Fabienne Liptay ist das filmische Medium geeignet, ganz im Sinne Vilém Flussers, die choreografologische "Rekonstruktion der malerischen Geste aus dem Gemälde" (321) zu manifestieren und filmisch zu präsentieren. Ist das reine Gemälde vollendet, bleibt dem Rezipienten ein Zugang zum künstlerischen Akt verwehrt. Der Film hingegen kann, durch die Präsentation des Schöpfungsaktes, "Entscheidendes zum Verständnis von Kunst beitragen" (323). Dies vollzieht sich dann auf zwei semiotischen Ebenen, denn der Schöpfungsakt des Künstlers bleibt stets in einem "spezifischen Verhältnis zur Kunst des Regisseurs gesetzt" (341), sodass eine kunstübergreifende Sinndimension konstituiert wird.
Diesem Band gelingt ein produktiver und facettenreicher Syntheseversuch eines überaus komplexen Themengebiets, obwohl das bewegliche Beziehungsgeflecht von Film und Kunst von historischen, technischen, textuellen und rezeptiven Bestimmungsgrößen geprägt ist. Die präzise argumentierenden Beiträge belegen die Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit, auch weiterhin Anknüpfungspunkte und Harmonisierungsversuche zwischen beiden Diskursen zu etablieren.
Lars Grabbe