Alois Schmid (Hg.): P. Matthäus Rader SJ. Band 2: Die Korrespondenz mit Marcus Welser 1597-1614 (= Bayerische Gelehrtenkorrespondenz. I P. Matthäus Rader SJ), München: C.H.Beck 2009, LXVIII + 443 S., ISBN 978-3-406-10652-1, EUR 48,00
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Matthäus Rader (1561-1634) lehrte 1591-1612 am Kolleg St. Salvator zu Augsburg und anschließend am Münchener Jesuiten-Kolleg bei St. Michael. Häufiger als an jeden anderen seiner 322 Briefpartner schrieb er an den Augsburger Stadtpfleger Marcus Welser den Jüngeren. Rader antwortete zumeist nicht, wenn er ein Schreiben bekam, ob von seinen Schülern oder anderen Klerikern, wohl um damit Distanz und Autorität zu signalisieren, unter anderem gegenüber Jakob Bidermann, Jeremias Drexel oder Jakob Gretser. Bei Marcus Welser war das anders; hier überwog die Anzahl der Rader-Briefe, hingegen beantwortete Welser längst nicht jedes Schreiben. Auch inhaltlich vollzog sich der Briefwechsel des Pustertaler Bäckersohns mit dem Patrizier nicht ganz auf Augenhöhe. Rader stilisierte sich selbst einmal als Schüler des von ihm als "Augustanus Apollo" hofierten Welser. Konfessionelle Belehrungen oder Polemiken, die Rader sonst gern einstreute, unterließ er gegenüber dem strengen, aber irenischen Katholiken Welser gänzlich.
Damit sind einige Eigenheiten des Brief-Corpus von Rader und Welser benannt, das nun in seiner gesamten Überlieferung im zweiten Band der Rader-Korrespondenz ediert ist. Die erhaltenen 312 Briefe vom Beginn des Briefkontakts 1597 bis zum Tod Welsers 1614 sind bemerkenswert nicht so sehr wegen ihrer intellektuellen Brillanz. Beide Briefpartner, auch Welser, gehörten nicht zu den erstrangigen Gelehrten im Reich und in Europa. Die Bedeutung der Briefe liegt vielmehr im intensiven Austausch humanistischen Wissens Tag für Tag, der gelehrtes Denken vor und um 1600 lebendig macht.
Die Edition war schwierig. Den durchweg undatierten Briefen mussten Zeitpunkte zugeordnet werden. Sodann war die Frage, ob man sie streng nach chronologischem Prinzip wie im ersten Band der Rader-Korrespondenz oder nach einem organischen Prinzip anordnen sollte, um den Dialogcharakter des Briefwechsels abzubilden. Letzteres erhielt den Vorzug, was den meisten Benutzern entgegenkommen wird. Denn damit erst wird beim täglichen Hin und Her der Briefe erkennbar, worüber zwei Gelehrte gemeinsam reflektierten und mit welcher Umsicht sie arbeiteten, bevor sie publizierten. Erstaunlich ist der Eifer der Verschriftlichung. Denn Welser und Rader lebten von den 17 Jahren, die der Briefwechsel abdeckt, 15 Jahre lang gemeinsam in Augsburg. Manches hätten sie gewiss unter vier Augen besprechen können. Mittler war indessen der Welsersche Briefbote, nur selten trafen sich die Briefpartner in der Stadt oder in Welsers Garten. Privates oder Politisches fehlt in den Schreiben, wie häufig in Gelehrtenbriefen; vielleicht wurde es mündlich mitgeteilt, wovon die Briefe aber nicht sprechen.
Die eindrucksvollste Leistung des Herausgebers und der Bearbeiter wurde genannt: die Datierung der Briefe. Möglich war die Zuordnung mittels manchmal detektivischer Schlussfolgerung aus unscheinbarsten Hinweisen. Eine Datierung wurde bei allen Briefen vorgenommen; sie ist plausibel, soweit man von Außen beurteilen kann. Ein Verdienst der Editoren ist außerdem die gründlich bedachte Anordnung nach dem organischen Prinzip. Darüber hinaus erleichtern notwendige, obschon nicht in allen Editionen geleistete Erschließungsarbeiten den Zugang zu den Texten: Zitatnachweise, Erläuterungen von Anspielungen, interne Verweise, Kopfregesten und Register. Eine solche Erschließung ist so nützlich wie undankbar, weil weder der enorme Zeitaufwand noch die fachlich-intellektuelle Leistung hinreichend kenntlich wird. Dabei löst hier die Kommentierung viele Rätsel auf der Grundlage exzellenten Wissens. Alle Texte sind im vollen Wortlaut wiedergegeben, mit dem Buchstaben- und Zeichenbestand der Druckvorlagen; es handelt sich durchweg um Originale, nicht um kopiale Überlieferungen. Dass Orthographie und Interpunktion nicht angetastet werden, könnte Kritik provozieren, weil Fehler in der Sprache und Interpunktion den Leser zunächst stören. Manchmal ist tatsächlich die Benutzung erschwert, aber die Texte bleiben gegenüber jedem noch so unscheinbaren Eingriff geschützt und damit unverstellt deutbar.
Inhaltlich geht es immer wieder um die Projekte Raders. Welser bittet selten um Rat. Von 1597 bis 1600 wurde fortgesetzt Raders Martialedition thematisiert, danach sein Drama zum Leben der Heiligen Afra, das er für das Augsburger Kolleg schrieb, das aber auch vor begeisterten Lutheranern zur Aufführung kam. In den Jahren nach 1600 bildeten insbesondere die byzantinistischen Projekte Raders und die Herausgabe der Akten des 8. ökumenischen Konzils von Konstantinopel den roten Faden. Rader brachte die Akten 1604 heraus. Nach seiner Arbeit am "Viridarium Sanctorum", das in drei Bänden 1604-1612 erschien, schob sich die "Bavaria sancta" in den Vordergrund, mit der Herzog Maximilian I. den Jesuiten beauftragt und wozu er ihn 1612 nach München geholt hatte. Die Briefe werden nun seltener. Gelegentlich diskutierten die beiden Gelehrten noch Fragen zur Genealogie der Wittelsbacher und zur bayerischen Geschichte.
Welser war 1595 von Herzog Wilhelm V. mit einer bayerischen Geschichte betraut worden, die das indizierte Werk des Johannes Aventinus ersetzen sollte. Der Nachfolger Maximilian I. setzte seine Hoffnung noch mehr auf Welser, nachdem sein Hofhistoriograph Michael Arrodenius überhaupt nicht vorankam. Aber auch Welser arbeitete dem ungeduldigen Herzog nicht rasch genug, obwohl er 1602 einen ersten Band bis zur Absetzung Herzog Tassilos III. 788 erscheinen ließ. Der überaus skrupulöse Welser erfüllte aber dann den Wunsch des Herzogs doch nicht, den Stammbaum der Wittelsbacher auf Karl dem Großen zurückzuführen. Der Kaufherr selbst brachte deshalb Rader ins Spiel, der 1611 von Maximilian als Historiograph bestellt wurde. Der Briefwechsel der beiden Gelehrten gestattet eine Bewertung, inwieweit die beiden Historiographen voneinander und inwieweit sie von Herzog Maximilian I. abhängig waren. Sie könnte so ausfallen: Beide waren selbständig, Welser etwas mehr.
Den Bearbeitern und dem Herausgeber ist eine vorzügliche Edition gelungen, vor allem indem sie die Datierungs- und Anordnungsfragen sicher bewältigt und äußerst kenntnisreich kommentiert haben. Nicht zuletzt die Einleitung Alois Schmids besticht durch die exzellente Kenntnis des süddeutschen Späthumanismus. Die Edition der Rader-Korrespondenz hat das primäre Anliegen, das Denken bayerischer Gelehrter zu dokumentieren. Aber sie ist zugleich, wie gerade dieser Band zeigt, ein Grundstock für die Erforschung der europäischen humanistisch arbeitenden Gelehrten-Elite, nicht der ersten Reihe mit den berühmten Namen, aber der wenig bekannten zweiten Reihe.
Maximilian Lanzinner