Heike Knortz: Wirtschaftsgeschichte der Weimarer Republik (= UTB; 3399), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010, 300 S., ISBN 978-3-8252-3399-0, EUR 16,90
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Die Wirtschaftsgeschichte der Weimarer Republik war nicht von ungefähr ein zentraler Bezugspunkt in der jüngsten Wirtschafts- und Finanzkrise. Denn mit kaum einer Epoche der jüngeren deutschen Geschichte ist der Krisenbegriff derart verknüpft wie mit der Zeit von 1918 bis 1933: (Hyper-)Inflation und Deflation, Massenarbeitslosigkeit, Bankenkrise und Weltwirtschaftskrise sind nur die augenfälligsten Symptome der "überforderten Republik" (Ursula Büttner). Andere, etwa die notwendige, aber konfliktträchtige Modernisierung industrieller Beziehungen, umstrittene Umverteilungen und Subventionen, die Instabilität der Institutionen und die Schwäche bisheriger Schlüsselindustrien, kamen hinzu. Die wirtschaftshistorische Forschung hat dies in den letzten Jahrzehnten umfangreich herausgearbeitet. Der Fülle an Forschungsliteratur steht aber ein eklatanter Mangel an wirtschaftshistorischen Synthesen gegenüber, die die gesamte Weimarer Zeit behandeln.
Heike Knortz hat sich nunmehr im vorliegenden Studienbuch der Aufgabe angenommen, diesem Mangel Abhilfe zu schaffen. Sie stellt ihren Betrachtungen ein Kapitel voran, das die Weimarer Ökonomie in langfristige Entwicklungstrends bzw. übergeordnete Strukturen einordnet. Die folgenden Ausführungen sind in sechs große Blöcke gegliedert: Inflation, Demobilmachung, Reparationen, relative Stabilität, (erste) Borchardt-These von der überforderten Ökonomie Weimars, Weltwirtschaftskrise. Sie stellt somit chronologische und sachliche Perspektiven nebeneinander, was dem Buch nicht immer zugute kommt. Eins der größten Probleme, mit dem sich die Historiographie bei der Weimarer Republik konfrontiert sieht, sind die kaum voneinander zu trennenden Prozesse in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Zwar lassen sich Demobilmachung oder Reparationen gut in einzelnen Kapiteln darstellen, doch obwohl es Knortz explizit auf die "Vermittlung vernetzten Wissens" (12) ankommt, stehen die Kapitel bisweilen ein wenig für sich.
Dies gilt z.B. auch für die literarische Verarbeitung der Inflation (69-74) durch die Zeitgenossen und die Beschreibung von Frauenemanzipation und Kultur (143-156). Die Passagen sollen darlegen, "wie die Weimarer Gesellschaft solch kurz aufeinanderfolgende Krisen überhaupt auszuhalten vermochte" (13). Weder die Fragestellung noch die Themen erwartet man zwingend in einer Wirtschaftsgeschichte. Fraglos waren der Anstieg der Suizidquote oder der vergnügungsorientierte Eskapismus Symptome der permanenten Krise der Weimarer Republik, aber für die Erklärung ihrer Wirtschaftsgeschichte doch von nachrangiger Bedeutung. Jedenfalls sollten solch eher illustrative Passagen nicht mehr Raum einnehmen als das Bankensystem, das - inklusive Bankenkrise - auf weniger als zehn Seiten (207-210, 221-226) betrachtet wird.
Ferner verzichtet Knortz darauf, die Sozialisierung explizit zu thematisieren (12), "weil es sich hierbei vorwiegend um politische Diskussionen handelte und entsprechende Vorhaben gänzlich aufgegeben wurden, um dem Zugriff der Siegermächte im Falle von Reparationsstreitigkeiten zu entgehen" (12). Das stimmt in der Sache, aber die Abwendung der Sozialisierung war ebenso wie die - von ihr dargestellte - Zentralarbeitsgemeinschaft (ZAG) 1918 (77) elementarer Bestandteil des Gründungskonsenses der Weimarer Republik: Stärkung von Arbeitnehmerrechten einerseits, Privateigentum und Marktwirtschaft andererseits.
Diese komplementären Entwicklungen bildeten zentrale Referenzpunkte und Konfliktfelder der Akteure während der gesamten Weimarer Zeit, werden von Knortz aber etwas einseitig entfaltet: So wird der Verfassungsrang des Sozialstaatsgedankens häufig (und zu Recht!) als Erklärung für die steigenden Ausgaben für Fürsorge oder öffentlichen Wohnungsbau angeführt (25, 167 ff.); sie erscheinen somit zwangsläufig. Die Kritik auf Arbeitergeberseite an der entsprechenden Kostenbelastung durch Steuern und Sozialabgaben wird hingegen pauschal als Kampf gegen die Demokratie bewertet (189). Ferner könne "der politische Zusammenbruch des Weimarer Systems auf den politischen Einfluss besonders der Kohle- und Stahlproduzenten an Rhein und Ruhr zurückgeführt werden" (193). Dieses recht schematische, bisweilen irritierende Bild von Unternehmertum und Privatwirtschaft findet sich im Buch vergleichsweise häufig (u.a. 78, 88, 183). So gebe es "Anzeichen dafür, dass Unternehmer besonders die Arbeiterschaft für die rückgängige Arbeitsproduktivität [...] verantwortlich machten, nicht aber nach Betriebsorganisation und Betriebsmitteln [...] fragten". Auch hätten nicht einige, sondern "die" Banken "offensichtlich" darauf verzichtet, ihrer Kontrollfunktion im Aufsichtrat von Industrieunternehmen nachzukommen (208).
Diese Deutungen sind nicht unbedingt falsch, aber doch zumindest in ihrer Pauschalität tendenziös, zumal sie nicht konkret überprüft werden können. Angesichts des Charakters als Studienbuch wurde auf Belege verzichtet (13). Wenn aber die Unternehmer - wie unterstellt - nicht nach der Betriebsorganisation fragten, warum gab es dann überhaupt Rationalisierung und Konzernbildung, die auch bei Knortz angemessen thematisiert werden? Ferner war die Haltung der Schwerindustrie in Tariffragen auch Ausdruck einer existentiellen Krise, die besonders als Selbstkostenkrise wahrgenommen wurde. Und schließlich gab es auch Versuche, die Strukturprobleme einvernehmlich mit den Gewerkschaften zu lösen, wenigstens in Teilen der Schwerindustrie (Silverberg-Kontroverse 1926).
Es ist indes nicht so, dass sich Knortz dazu ausschweigt - im Gegenteil: die Kostenbelastung der Unternehmen, ihren eingeschränkten Investitionsspielraum, die Problematik von Kartellierung und weltweiten protektionistischen Handels- und Währungspolitik und vieles mehr, was in eine Wirtschaftsgeschichte der Weimarer Republik gehört, behandelt sie angemessen und sachlich korrekt, wenn auch über die Teilkapitel verstreut. Knortz wird somit ihrer selbst gestellten Aufgabe durchaus gerecht, "den gesicherten Forschungsstand allgemeinverständlich wiederzugeben" (13). Sie führt separat in ökonomische Begriffe und Probleme (z.B. Goldstandard, 55, Investitionen, 120) kurz ein und ermöglicht so insbesondere Studierenden der allgemeinen Geschichtswissenschaft, die Thematik über die reine Aneignung von Wissen hinaus zu durchdringen.
Doch die die Befunde werden zu wenig kausal miteinander verknüpft und es bleibt eher dem Leser überlassen, Motive, Handlungsoptionen und -restriktionen der Wirtschaftssubjekte zu bewerten. So referiert Knortz z.B. bei der (zweiten) Borchardt-These über die Zwangslagen und Handlungsspielräume der Regierung Brüning (256-266) die Argumente der Kontrahenten angemessen, wertet aber selbst nicht, sondern kommt zum Fazit, die Debatte könne "bis heute nicht als abgeschlossen gelten" (265). Dies trifft zwar zu, aber es wäre auch Aufgabe eines Studienbuchs gewesen, zu gewichten und zu synthetisieren, statt bisherige Ergebnisse nur additiv zu präsentieren - zumindest in einem analytischen Schlusskapitel, auf das aber leider verzichtet wurde.
Somit ist besonders die Gewichtung von Darstellung und Analyse problematisch. Die Darstellung ist bis auf kleinere Ausnahmen, die angesichts der Breite des behandelten Stoffs nicht wirklich ins Gewicht fallen, sachlich ordentlich und gewährt Studierenden einen raschen Einblick in zentrale ökonomische Entwicklungen. Sie erläutert in den einzelnen Feldern (z.B. Inflation, Rationalisierung) auch Gründe, Zusammenhänge und Folgen. Doch die einzelnen Symptome der "Weimarer Krankheit" werden zu wenig aufeinander bezogen, so dass Knortz (zumindest implizit) ein etwas einseitiges Bild einer Ökonomie zeichnet, die für soziale Ziele des Staates unter negativen weltwirtschaftlichen Vorgaben nicht genug erwirtschaftete. Diesen Schluss kann man so ziehen. Andere normative Grundannahmen führen indes zur Deutung, der Staat habe sich übernommen und seine Umverteilungspolitik die Investitionsbedingungen verschlechtert. Dies wird in Knortz Darstellung aber allenfalls implizit deutlich - eine ausgewogenere Deutung hätte dem Studienbuch gewiss nicht geschadet.
Boris Gehlen