Dieter Gessner: Die Weimarer Republik (= Kontroversen um die Geschichte), Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2002, VIII + 131 S., ISBN 978-3-534-14727-4, EUR 16,50
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Heike Knortz: Wirtschaftsgeschichte der Weimarer Republik, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2010
Eberhard Kolb: Deutschland 1918-1933. Eine Geschichte der Weimarer Republik, München: Oldenbourg 2010
Maik Ohnezeit: Zwischen "schärfster Opposition" und dem "Willen zur Macht". Die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) in der Weimarer Republik 1918-1928, Düsseldorf: Droste 2011
Manfred Nebelin: Ludendorff. Diktator im Ersten Weltkrieg, München: Siedler 2011
Heiko Bollmeyer: Der steinige Weg zur Demokratie. Die Weimarer Nationalversammlung zwischen Kaiserreich und Republik, Frankfurt/M.: Campus 2007
Helene Albers: Zwischen Hof, Haushalt und Familie. Bäuerinnen in Westfalen-Lippe (1920-1960), Paderborn: Ferdinand Schöningh 2001
Silke Sobieraj: Die nationale Politik des Bundes der Landwirte in der Ersten Tschechoslowakischen Republik. Möglichkeiten und Grenzen der Verständigung zwischen Tschechen und Deutschen (1918-1929), Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2002
Robert Luft / Miloš Havelka / Stefan Zwicker (Hgg.): Zivilgesellschaft und Menschenrechte im östlichen Mitteleuropa. Tschechische Konzepte der Bürgergesellschaft im historischen und nationalen Vergleich, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014
Dass Konkurrenz das Geschäft belebt, gilt auch für die Geschichtswissenschaft. Insofern ist es sehr zu begrüßen, dass Arnd Bauerkämper, Peter Steinbach und Edgar Wolfrum mit der von ihnen herausgegebenen Reihe "Kontroversen um die Geschichte" eine Alternative zum "Oldenbourg Grundriss der Geschichte" und zur "Enzyklopädie Deutscher Geschichte" präsentieren und so die faktische Monopolstellung des R. Oldenbourg Verlags auf dem Gebiet der Einführungsliteratur in historiographische Kontroversen aufbrechen. Damit allerdings liegt die Messlatte für den Newcomer, gerade was die Aufbereitung von Gang und Stand der Forschung betrifft, ziemlich hoch.
Zu hoch, zumindest was die Studie von Dieter Gessner über die Weimarer Republik betrifft. Zugegeben, seine Aufgabe war angesichts der Konkurrenz der Arbeiten von Eberhard Kolb [1] und Andreas Wirsching [2], die zu den besten Bänden aus den Oldenbourg-Reihen zählen, alles andere als leicht. Doch sind es vor allem zwei Kritikpunkte, die der Autor hätte vermeiden müssen, die seine Arbeit entwerten.
Erstens fallen die zahlreichen sachlichen Fehler ins Auge. Dass Dieter [sic!] Hildebrand zur "Rehabilitierung der politikgeschichtlichen Forschung" in den Achtzigerjahren beigetragen habe (4), ist der amüsanteste Lapsus, den der Leser noch schmunzelnd zur Kenntnis nimmt. Doch das ist nur der Auftakt zu einem geradezu atemberaubenden Fehlerfestival. So firmiert, um nur einige wenige Beispiele zu nennen, der Reparationsagent Parker Gilbert bei Gessner als der "amerikanische Bankier Gilbert Parker" (16); US-Präsident Herbert Hoover unterbreitete den Vorschlag eines einjährigen Schuldenmoratoriums nicht am 20. Juni 1930 (19), sondern genau ein Jahr später; und der Vertrag von Rapallo wurde keineswegs "im Jahre 1923" geschlossen (20) - seinerzeit war Walther Rathenau, der den Vertrag als Reichsaußenminister ausgehandelt und unterzeichnet hatte, bereits rechtsradikalen Attentätern zum Opfer gefallen - sondern im April 1922. Diese Liste ließe sich unschwer fortsetzen.
Zudem ist das ohnehin nicht besonders leserfreundliche Belegsystem, das ohne Kurztitel auskommt und lediglich mit Ziffern auf die Titel im Literaturverzeichnis verweist, voll von Fehlern und Verwechslungen (zum Beispiel 52 sowie der gesamte Abschnitt über die Wähler der NSDAP). Hierdurch wird dem Leser das Auffinden der zitierten Literatur unnötig erschwert.
Man mag das Einhaken an sachlichen Fehlern für kleinkariert halten, und möglicherweise trifft den Verfasser keine Schuld für diese eigentlich unerklärlichen Schnitzer. Doch gerade von einem Buch, dessen erklärtes Ziel es ist, "Studierenden die Vorbereitung auf Lehrveranstaltungen und Examenskandidaten ihre Prüfungsvorbereitungen zu erleichtern" (VII), darf man ein hohes Maß an Verlässlichkeit erwarten. Sonst verfehlt es seinen Zweck - schließlich muss sich ein Examenskandidat darauf verlassen können, denn angelesene Fehlinformationen gehen in der Prüfung zu seinen Lasten.
Zweitens beschränkt sich die Kritik nicht auf reine Sachfehler. Anders als Kolb und Wirsching, die in ihren Abschnitten über "Grundprobleme und Tendenzen der Forschung" einander widersprechende Positionen kontrastieren, um so historiographische Kontroversen herauszuarbeiten, ist Gessners Darstellung der Forschungsentwicklung nicht diskursiv, sondern ganz überwiegend deskriptiv: Er referiert weitgehend die Genese der Forschung, und Kontroversen kommen - von wenigen Ausnahmen wie etwa den Auseinandersetzungen um die Thesen Knut Borchardts abgesehen (80-87) - eigentlich nicht vor (bar jeder Meinungsverschiedenheit sind etwa die Seiten 26-34, 46-53 oder 55-61).
Besonders fällt das bei der von den sechziger bis in die achtziger Jahre hinein sehr umstrittenen Interpretation der "Novemberrevolution" auf - einer Kontroverse, die der Autor in seiner Einleitung indirekt mit der Bemerkung negiert, erst Knut Borchardt habe mit seinen Thesen zu den Zwangslagen und Handlungsspielräumen Brünings in der Weltwirtschaftskrise "den ersten engagiert ausgetragenen wissenschaftlichen Grundsatzstreit" losgetreten (4). Später besinnt sich Gessner dann doch eines Besseren und stellt fest: "Kein Thema der deutschen Zeitgeschichte hat über einen so großen Zeitraum [...] eine so breite Forschung etabliert." (24) Von den vielen Einzelaspekten, die sich in dieser Kontroverse bündelten, wird freilich nur ein Teil dargelegt (24 ff.); strittige Fragen wie etwa die Kooperation der SPD mit den alten Eliten und die Zusammenarbeit von Gewerkschaften und Unternehmern sowie ihre langfristigen Folgen für den Bestand der Republik werden dagegen auf der Ebene der Tatsachenfeststellung abgehandelt (26-32) - von Kontroversen keine Spur.
Diese Schwächen sind umso bedauerlicher, als Gessners Darstellung durchaus Stärken aufweist. Die Auswahl der insgesamt acht Kontroversen etwa kann durchaus überzeugen: Sie stellt eine gute Mischung aus "klassischen" Konfliktfeldern wie der Novemberrevolution oder der Frage nach Hitlers Wählern und vergleichsweise "jungen" Themen wie "Juden und Antisemitismus in Deutschland vor 1933" oder dem Problem, inwiefern die Weimarer Republik der "Ort der Klassischen Moderne" gewesen sei, dar. Kein Zufall, dass gerade die beiden letztgenannten Kapitel zu den lesenswertesten des ganzen Buches gehören, schließt Gessner doch mit ihnen Lücken in der bislang vorliegenden Studienliteratur.
Freilich können diese Verdienste die insgesamt gravierenden Mängel des Buches nicht wettmachen. Solange keine gründlich überarbeitete Neuauflage erscheint, werden Studierende und Examenskandidaten weiter zu den Werken von Kolb und Wirsching greifen müssen, wenn sie sich verlässlich über historiographische Kontroversen um die Weimarer Republik informieren wollen.
Anmerkungen:
[1] Eberhard Kolb: Die Weimarer Republik. 6. Aufl., München 2002 (= Oldenbourg Grundriss der Geschichte, Bd. 16).
[2] Andreas Wirsching: Die Weimarer Republik. Politik und Gesellschaft. München 2000 (= Enzyklopädie Deutscher Geschichte, Bd. 58).
Jaromír Balcar