Martin Klimke: The Other Alliance. Student Protest in West Germany and the United States in the Global Sixties (= America in the World), Princeton / Oxford: Princeton University Press 2010, XVI + 346 S., ISBN 978-0-691-13127-6, GBP 27,95
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Martin Klimkes Studie reiht sich thematisch ein in die breite neue Forschung zu den "Sixties", die 2008 ihren jubilierenden Höhepunkt fand. [1] Methodologisch zählt er zur neuen internationalen Geschichte, die so neu nicht mehr ist und zunehmend einen Schwerpunkt auf nichtstaatliche Akteure legt. [2] Der Autor fragt, inwieweit die Studentenbewegungen in der westlichen Welt miteinander verknüpft waren. Was genau wussten und dachten die Protestler in Berkeley und Berlin voneinander? Wie kommunizierten sie? Was lernten sie voneinander? Und was bedeuten deren Aktionen im Kontext internationaler Politik und in einem Zeitalter, in welchem die Historiker willens sind, die Rolle des informellen Botschafters sogar jedem Touristen zu überschreiben?
Statt sich im Irrgarten globaler Kontakte auf der Suche nach universellen Gemeinsamkeiten zu erschöpfen [3], konzentriert sich das Werk auf die transatlantische Partnerschaft zwischen Westdeutschland und den USA, einer Verbindung, die zwischen 1945 und 1989 gemeinhin politisch als eine besondere Beziehung eingeordnet wird. Diese Geschichte ist gut erforscht [4], doch Klimke entdeckt eine Art Gegendarstellung, die sich in seinem Titel niederschlägt: "Die andere Allianz" bedeutet die alternative Kooperation und Verbrüderung US-amerikanischer und westdeutscher Studenten im gemeinsamen Kampf gegen Staat, System und den westlichen Imperialismus in der kolonialen Welt.
Klimkes Ansatz ist nur in Teilen chronologisch; übergeordnet geht es ihm um die Frage nach den verschiedenen, simultan agierenden Akteuren sowie deren Perspektiven und Lernprozessen. Das Buch umfasst sechs Kapitel; man kann jedoch auch von zwei Hauptteilen sprechen, in deren erstem es um die Aktivitäten der Studenten selbst geht, während der zweite die Perzeptionen und Reaktionen auf Seiten westdeutscher, vor allem aber US-amerikanischer Entscheidungsträger analysiert.
Der Autor weist nach, dass Kontakte zwischen westdeutschen und US-amerikanischen Studentenverbänden (beide: SDS) spätestens seit 1961 nachgewiesen werden können, als der Frankfurter Fulbright-Student Michael Vester in Kalifornien Kontakt zu aktivistischen Kreisen am Bowdoin College in Maine suchte. Vester spielte später eine entscheidende Rolle bei der Ausweitung transnationaler Kontakte, aber auch bei der Verfassung des legendären Port Huron Statements, das nicht nur die Ziele des US-amerikanischen SDS festschrieb, sondern darüber hinaus zu einem zentralen Text der 1968er-Bewegung avancierte. Klimke zeigt überzeugend auf, wie schon in dieser frühen Phase der deutsche SDS auf der Suche nach ideologischer Neuorientierung die transnationalen Kontakte weit vehementer förderte als sein US-amerikanischer Gegenpart, während deutsch-amerikanische Intellektuelle wie Vester oder Herbert Marcuse eine zentrale Rolle in dieser Vermittlungsphase spielten. Auf US-Seite herrschte hingegen Uneinigkeit bezüglich einer Internationalisierung der Bewegung vor. Über freundschaftliche Kontakte und Grußworte hinaus blieb für führende SDS-Mitglieder ihr eigenes Anliegen - Vietnam - vorrangig ein nationales Vehikel zur Revolte gegen das inneramerikanische System.
In den folgenden drei Kapiteln geht es um Aktionismus und Informationsfluss zwischen Westdeutschland und den USA. Deutlich zeigen sich Ähnlichkeiten, aber auch Unterschiede zwischen beiden Bewegungen. Während durch die sich verdichtenden persönlichen Netzwerke - allen voran durch Rudi Dutschkes Frau, Gretchen Klotz - praktische Techniken des Protestes aus den USA nach Westdeutschland gelangten (z.B. sit-ins und direct action), zeigte sich auf deutscher Seite eine ideologische Radikalisierung, die vielen US-amerikanischen Besuchern zunehmend unverständlich blieb. Hier findet sich eine der interessantesten analytischen Unterschiede der Arbeit: Während US-Protestler Intellektuelle als Motor des Wandels wahrnehmen, stellten diese für ihre deutschen Kollegen lediglich den Auslöser dar.
Trotz dieser unterschiedlichen Auffassungen kam es zu zahlreichen Überlappungen sowohl im Bereich der gemeinsamen Anliegen als auch im Bereich ähnlicher Vorgehensweisen. Ganz oben auf der Liste gemeinsamer Prioritäten stand der Krieg in Vietnam, die Kritik des US-imperialistischen Kolonialismus sowie die symbolische und praktische Unterstützung kolonialer und postkolonialer Völker. Dieser Interessenkomplex bildete das Fundament der anderen Allianz über alle Unterschiede bzw. Indifferenzen hinweg. Auf Grund der vorsichtigen Haltung des US-amerikanischen SDS kam es zwar kaum zu gemeinsamen offiziellen Protestveranstaltungen; die US-amerikanischen Organisatoren befürchteten, dass ihr moralischer und symbolischer Anspruch durch eine Verschmelzung beider Gruppen in der Öffentlichkeit ernsthaft gefährdet würden. Dennoch konnte diese Haltung den Beobachter kaum darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei dieser Kritik längst um ein transnationales Phänomen handelte. Westdeutsche "Protos" protestierten nicht nur gegen den Krieg, sie suchten darüber hinaus aktiv den Kontakt zu US-Soldaten, um diese zur Desertion zu überreden oder zumindest über Möglichkeiten der Verweigerung zu informieren.
In diesem Zusammenhang spielte Black Power - die gewaltsame Durchsetzung der Verwirklichung von Rechten der African Americans in den USA - eine besondere Rolle. Erste Bürgerrechtsproteste hatte es in Frankfurt bereits 1963 gegeben; ihnen folgten weitere Märsche sowie Kooperationen mit GIs, die von ihrer Situation wie von der zunehmend feindlichen Stimmung in Westdeutschland frustriert waren. Der Kontakt mit Black Power inspirierte den radikalen Flügel der westdeutschen Studentenbewegung zur Anwendung zunehmend gewaltsamer Aktionen, die, so Klimke, nahtlos in die Gründung der RAF mündeten. Dabei handelte es sich nicht allein um eine Übernahme von Techniken, sondern um eine genuine Identifizierung westdeutscher Studenten mit dem Anliegen Black Powers. Genau so wie die Bundesrepublik zu den externen Kolonien der USA gehöre, würden African Americans eine interne Kolonie darstellen: Beide könnten sich nur durch gewaltsamen Widerstand von ihrer Unterdrückung befreien. Auf Grund der vielen verschiedenen, mit großem Fingerspitzengefühl dargelegten Verbindungen, Enttäuschungen und Inspirationen kann, so Klimke, von einem oberflächlichen Antiamerikanismus in Westdeutschland auch kaum die Rede sein. Eher bildete sich das Bild eines janusköpfigen Amerikas heraus, welches die Studenten in seiner Politik und Machtstruktur verdammten, aber wegen seiner starken Protestkultur bewunderten.
In den letzten beiden Kapiteln geht es v.a. um die Frage, inwieweit all diese Ereignisse das transatlantische Verhältnis, die eigentliche Allianz, tangierten, wieweit die Studentenrevolte führende Politiker interessierte und welche Schlussfolgerungen letztere daraus zogen. Für Entscheidungsträger in Bonn, Berlin und Washington bestand kein Zweifel, dass allen studentischen Aspirationen zum Trotz es sich nicht um eine ausufernde Massenbewegung handelte. Die Protestbewegung wurde zwar von Regierungsführern wie Kurt Georg Kiesinger und US-Vizepräsident Hubert Humphrey angesprochen, führte jedoch eher zum gemeinsamen Schulterschluss: Deutsche Vertreter sicherten die Verstärkung lokaler Einsatztruppen zu, US-amerikanische Delegierte plädierten für ein "play cool". Innerhalb der Johnson- und Nixon-Administration jedoch sorgten die Unruhen durchaus für Gesprächsstoff: Insbesondere die Kulturbeauftragten wiesen unermüdlich darauf hin, dass die Protestbewegung langfristig eine Herausforderung darstellen würde, wenn die anti-amerikanisch gestimmte Generation von Studenten Macht und Einfluss in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik einnähmen. Vor diesem Hintergrund setzten die Kulturprogramme zunehmend auf den Effekt positiv gestimmter westdeutscher Fulbright-Rückkehrer (wie z.B. Bundesjustizminister Horst Ehmke) sowie informelle Veranstaltungen und Annäherungsgespräche mit Studenten vor Ort.
Klimke resümiert, man könne das Netzwerk studentischen Protestes nur als international bezeichnen: Von Anfang bestanden transatlantische Kontakte, die zu einem Austausch von Ideen, einer Klärung (unterschiedlicher) ideologischer Positionen und einer Osmose von Themen und Techniken aus den USA und nach Westdeutschland führten. Auf einer weiteren Ebene bestand diese Internationalität in der Rezeption der Studentenrevolte auf höchster Entscheidungsebene. Wenngleich die Unruhen keine politische Richtungsänderung unter Johnson und Nixon bewirkten, so erzwangen sie dennoch, dass sich beide Kabinette mit dieser "anderen Allianz" staatspolitisch auseinander setzen und Strategien zur Begegnung vor Ort entwickeln mussten.
Klimkes Fallstudie ist mit Liebe zum Detail elegant verfasst und liefert einen wertvollen Beitrag zur Geschichte der 1960er Jahre und den internationalen Beziehungen. Der Verlag hat erheblich in aussagekräftige Illustrationen investiert, insbesondere in jenen Kapiteln, die sich mit dem westdeutschen Aktivismus auseinander setzen; einige Unreinheiten in der Editierung des Textes fallen allerdings auf. Die Eingrenzung auf deutsch-amerikanische Kontakte erlaubt Klimke eine präzise Analyse von Unterschieden und Ähnlichkeiten, Begegnungen und Missverständnissen, wie sie in globaleren Studien dieser Art oft nicht möglich ist. Am meisten besticht die Beziehung zwischen US-amerikanischen und westdeutschen Studenten. Nach der Maßgabe US-Intellektueller sollten sie selbst die Revolution durchführen, wohingegen deutsche Intellektuelle argumentierten, dass sie die geistige Vorarbeit leisten und den Wandel auslösen, nicht jedoch selbst die Revolution tragen sollten. Dies erklärt, warum sich die "andere Allianz" im Wesentlichen durch Ähnlichkeiten in Anliegen und Vorgehen, nicht jedoch durch ideologische Auffassungen auszeichnete. Am Ende, so möchte man sagen, war diese Allianz bei aller bilateraler Kommunikation eine Einbahnstraße: Schließlich waren die westdeutschen Studenten weitaus mehr interessiert an formellen internationalen Kontakten sowie US-amerikanischen Strategien und Vorgehensweisen als umgekehrt. Man kann diese Kapitel kaum lesen, ohne zu überlegen, ob die "andere Allianz" so anders wirklich war; ob Rudi Dutschke die US-amerikanische Perzeption Vietnams als innenpolitisches Problem und deren Desinteresse am Legat des Nationalsozialismus in Deutschland nie gestört hat; ob es Gudrun Ensslin jemals auffiel, dass Angela Davis und Dale Smith zwar mit den westdeutschen (und ostdeutschen) Studenten sympathisierten, es Black Power aber eigentlich vorrangig um koloniale Zusammenhänge zwischen den USA und der Dritten Welt ging; und ob die Übernahme von Protestthemen und -taktiken nicht nur eine Inspiration, sondern auch eine Form der imperialen Unterordnung im Sinne der eigentlichen, ersten Allianz darstellen konnte.
Anmerkungen:
[1] Jan Kurz: Die Universität auf der Piazza: Entstehung und Zerfall der Studentenbewegung in Italien 1966-1968, Köln 2011; Ingrid Gilcher-Holtey: 1968. Eine Zeitreise, Frankfurt a.M. 2008; Carol Fink / Philipp Gassert / Detlev Junker (Hgg.): 1968: The World Transformed, Cambridge / New York 1998.
[2] Erez Manela: The Wilsonian Moment. Self-Determination and the International Origins of Anticolonial Nationalism, Oxford 2007; Madeleine Herren: Internationale Organisationen seit 1865. Eine Globalgeschichte der Internationalen Ordnung, Darmstadt 2009.
[3] Jeremi Suri: "The Rise and Fall of an International Counterculture, 1960-1975", in: American Historical Review (February 2009), 45-68.
[4] Detlev Junker / Philipp Gassert / Wilfried Mausbach / David B. Morris (Hgg.): Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945-1990, 2 Bde., Stuttgart 2001.
Jessica Gienow-Hecht