Daniela Kneißl: Die Republik im Zwielicht. Zur Metapher von Licht und Finsternis in der französischen Bildpublizistik 1871-1914 (= Pariser Historische Studien; Bd. 88), München: Oldenbourg 2010, 541 S., ISBN 978-3-486-58864-4, EUR 69,80
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Bilder, Sprache, materielle Kultur gehören zu den elementaren Formen unserer sozialen Umwelt. In den letzten drei Jahrzehnten haben sich verschiedene wissenschaftliche Disziplinen intensiv mit der Frage befasst, wie Gesellschaften mit diesen Medien ihre jeweilige Gegenwart konzipieren, wie Bedeutungen gestiftet sowie (neue) Sichtweisen und Selbstverständlichkeiten geschaffen werden. Unter anderem wurde gefragt, wie und in welchem Maße sich Industrialisierung, Urbanisierung und verschiedene miteinander konkurrierende politische Ideologien auf Umgang, Wahrnehmung und Verwendung von Dingen, Zeichen und Bildern ausgewirkt haben. Stehen symbolische oder ideologische Bedeutungsbesetzungen nach politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen gänzlich zur Disposition, weil sie als überholt gelten? Oder führen Zäsuren und Konflikte eben nicht zu radikalen Verwerfungen?
Daniela Kneißls Untersuchung zur französischen Bildpublizistik - zugleich Dissertationsschrift im Fach Geschichte an der Philologisch-Historischen Fakultät der Universität Augsburg - ist in eben diesem Themenspektrum zu verorten. Ausgehend von Forschungen zur Druckgrafik aus kunsthistorischer und geschichtswissenschaftlicher Perspektive, die dargelegt haben, wie wichtig diese Bildgattung für politische Gruppierungen, Institutionen und Akteure ist, nimmt Kneißl Darstellungen und Wahrnehmungen des Begriffspaars Licht/Finsternis in der Druckgrafik zwischen 1871 und 1914 in den Blick. Wurde diese Thematik als Erkennungszeichen und Legitimationsträger verschiedener (politischer) Interessen für die Zeit der Französischen Revolution und die nachfolgenden Jahre untersucht, so gehören jedoch Korpus bildende Forschungsvorhaben wie Kneißls Studie bislang zu den Ausnahmen. Die Notwendigkeit, über eine breite Materialbasis zu verfügen, um Codes, Standards oder Muster in populären, gesellschaftlich verankerten Bildformaten überhaupt untersuchen zu können, wurde zunächst in der Volkskunde und der (europäischen) Ethnologie formuliert. Dieses Forschungsdesiderat greift Kneißl in ihrer Untersuchung zur französischen Bildpublizistik auf.
Auf Grundlage von über 40 gesichteten und ausgewerteten Satiremagazinen aus dem Zeitraum von 1871 bis 1914, die durch einige nicht-satirische Zeitschriften und Tageszeitungen ergänzt werden, stellt Kneißl ihr zu untersuchendes Bildkorpus zusammen. Im Zentrum steht die Frage, inwiefern die Metaphern Licht und Finsternis zur Darstellung und Verarbeitung von politischen und kulturellen Konflikten beitrugen und Aufnahme in die alltäglichen Auseinandersetzungen mit Wirklichkeit fanden. Kneißl geht dabei über die Begriffsgeschichte hinaus und weicht ab von ideegeschichtlichen Ansätzen, die sich vor allem klassischen Quellen widmen, indem sie ein Quellenmaterial wählt, das Massenerzeugnis und Bestandteil ephemerer Bildkultur war und zudem einem alltäglichen Gebrauch entsprang. Sie verzichtet weitgehend auf ikonografische Herleitungen und Darstellungen drucktechnischer Vorgänge und wählt stattdessen einen metaphorologischen Zugang, der es ihr ermöglicht, Kontinuitäten, Verschiebungen und Paradoxien von Bedeutungsbesetzungen in ihrem Material aufzuspüren. An historische Ordnungen gebunden, wird dieses Material, jenseits begriffssprachlicher Referenzmodelle, deren Zugang tendenziell durch ein Streben nach Eindeutigkeiten gekennzeichnet ist, selbst als ein historisch Variierendes begreifbar.
Die Arbeit ist thematisch gegliedert; in den ersten Kapiteln schildert Kneißl Überblicke zur philosophisch-politischen Aufladung der Licht-Finsternis Metaphorik, ihrer Wahrnehmung in der Bildpublizistik in der Zeit vor ihrem Untersuchungszeitraum sowie die Grundzüge der Bildpublizistik in Frankreich. Im politischen Kontext der Französischen Revolution gingen Licht und Finsternis eine dauerhafte Verbindung ein, in der das Dunkel als Gegenmetapher zum Licht der Aufklärung gesetzt und mit Außenseitertum und politischer Subversion assoziiert wurde. Kneißl zeigt, wie diese Verbindung immer neue und überraschende Konfigurationen durchlief, wie Licht Spenden und Verbreiten zur prägenden politischen und sozialen Metapher und gleichzeitig zum Gradmesser für Diskrepanz zwischen Ideal und Wirklichkeit der dritten Republik wurde (461). Kennzeichnend für das Bildmaterial ist eine semantische Doppelstruktur, die Fortschritt und Stillstand, Leben und Tod, Gut und Böse verbindet. Daraus ergeben sich zahlreiche Kombinationen, Kippfiguren und Umkehrungen. Licht konnte im Zusammenhang mit Feuer aufgrund dessen vernichtender Wirkung zum Schreckenssymbol werden - gezeigt an den verschiedenen Facetten der pétroleuse und torche. Dunkelheit, in der Regel als Ort verstanden, der etwas verbirgt, die Schattenseiten menschlicher Gesellschaften markiert, konnte als transitorischer Zustand, der nicht für sich besteht, sondern in seiner Überwindung immer in Verbindung mit Licht zu sehen ist, zum Hoffnungsträger werden - als ein Ort, an dem es noch an Licht fehlt. Dieses Changieren in Darstellungen und Wahrnehmungen von Licht und Finsternis führt Kneißl entlang der Themenkomplexe der Pariser Commune, der Lichtinszenierungen auf Weltausstellung und Nationalfeiertag, der Dreyfussaffäre und der Bildwelten des Sozialismus und Anarchosyndikalismus vor.
Ausführungen und gewählter Ansatz der Untersuchung überzeugen. Anstelle einer großen Erzählung, die eine einzige Geschichte darlegt, ergeben sich nach Themenschwerpunkten geordnete Sequenzen, die Infrastrukturen und Vernetzungen im populären Bildformat Druckgrafik sichtbar machen - anstelle von Geschichte entstehen Geschichten. In streckenweise paradoxaler Pendelbewegung werden Gebrauch und Vermischung der vielfältigen Semantiken von Licht und Finsternis in politischen Auseinandersetzungen zwischen unterschiedlichen politischen Lagern geschildert. Was bei der Lektüre bisweilen etwas Mühe bereitet, sind Beschreibungen und Vergleiche von Grafiken oder auch Gemälden, die nicht abgebildet werden - nicht immer erschließen sich bildstrategische Argumentationen ohne das Bild. In Bezug auf das methodische Vorgehen ließe sich fragen, inwieweit hinsichtlich visueller Evidenzbildung Impulse aus Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftssoziologie hätten hilfreich sein können - zumindest hätte man deren Untersuchungen aus den 1980er Jahren zur Praxis der Wissensgenerierung und Materialität ihrer Objekte im Forschungsüberblick erwähnen sollen.[1]
Anmerkung:
[1] Als Forschungsüberblick: Monika Dommann, Vom Bild zum Wissen: eine Bestandsaufnahme wissenschaftshistorischer Bildforschung, in: Gesnerus 61 (2004), 77-89.
Barbara Segelken