Berndt Hamm / Volker Leppin / Gury Schneider-Ludorff (Hgg.): Media Salutis. Gnaden- und Heilsmedien in der abendländischen Religiosität des Mittelalters und der Frühen Neuzeit (= Spätmittelalter, Humanismus, Reformation; 58), Tübingen: Mohr Siebeck 2011, VIII + 247 S., ISBN 978-3-16-150672-7, EUR 84,00
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Religiosität und Medialität hängen eng zusammen. Das betrifft in besonderer Weise das Christentum, das stets vor der Herausforderung stand, ein vergangenes Heilsgeschehen nicht nur zu überliefern, sondern dieses überlieferte Heilsgeschehen gleichzeitig mit dem Index seiner jeweils konkreten Aktualität und faktisch zeittranszendenten Wirksamkeit zu versehen. Anwesenheit und Repräsentation, Unmittelbarkeit und Vermittlung, synästhetisches Geschehen und geistiger Sinn lassen sich, christlich betrachtet, deshalb weder als sich ausschließende Alternativen denken noch - auf der Basis eines historischen Ablaufmodells - temporalisieren. Vielmehr definieren sie ein je aktuelles Spannungsfeld, dessen Bedeutung gerade dort sichtbar wird, wo es um das Zentrum des christlichen Glaubens, nämlich die Gnaden- und Heilsvermittlung, geht. Hier nämlich konvergiert der Sinn der evangelischen Botschaft, also die mündlich gegebene und schriftlich überlieferte Zusage des Heils, mit dem Vollzug einer Setzung, der in seiner Ereignishaftigkeit der Wirksamkeit eben dieser Zusage verpflichtet ist und dabei auf die medialen Möglichkeiten, Präsenz herzustellen, rekurriert. Christliche Frömmigkeitspraxis ist demnach immer auch Medienpraxis, und Theologie immer auch Medientheorie.
Diese enge Verbindung von Medialität und Religiosität ist bislang zwar immer wieder thematisiert, aber hinsichtlich ihrer historisch-systematischen Gehalte gerade für die Vormoderne kaum ausgelotet worden. Der von Berndt Hamm, Volker Leppin und Gury Schneider-Ludorff herausgegebene Sammelband Media Salutis setzt hier an. Die inhaltliche Kohärenz des Bandes ergibt sich aus einem klaren thematischen Fokus: Es geht um mittelalterliche und frühneuzeitliche Gnaden- und Heilsmedien. Methodisch und theoretisch hingegen sind die Beiträge weit gefächert, was nicht zuletzt mit der interdisziplinären Konzeption des Bandes zu tun hat. Vertreten ist nicht nur die Kirchengeschichte, sondern auch die Kunstgeschichte sowie die Literatur- und Kommunikationswissenschaft. Dementsprechend uneinheitlich ist das Medienverständnis, das in den einzelnen Beiträgen in Anschlag gebracht wird. Damit spiegelt der Band eine grundsätzliche Problematik medien- und kommunikationswissenschaftlich orientierter Forschung wider: Es gibt keine einheitliche, allgemein akzeptierte Definition dessen, was ein Medium ist. Dies muss nun keineswegs als eine Schwäche medientheoretischer Ansätze betrachtet werden, wie Johanna Haberer in ihrem einführenden Überblick über verschiedene Medienbegriffe zeigt. Und auch im Falle des angezeigten Bandes verdeutlicht gerade die Vielfalt der Zugriffsweisen eher das Innovationspotential, das die Medientheorie für die historische Forschung haben kann. Das bedeutet indes nicht, dass alle verwendeten Medienbegriffe und Ansätze als gleichermaßen innovativ erscheinen.
Das grosse Spektrum der verwendeten Medienbegriffe illustrieren schon die ersten drei Aufsätze. Den Auftakt macht ein Beitrag von Daniel Meier, der ausgehend von einem technisch umrissenen Begriff moderner Massenmedien eine publizistikwissenschaftliche Perspektive auf die Kirchengeschichte vorschlägt. In den Mittelpunkt stellt er dabei die sogenannte Nachrichtenwerttheorie. Sie besagt, dass den modernen, massenmedialen Informationsangeboten ein Selektionsprozess zugrunde liegt, der durch Journalisten und andere professionell mit Medien beschäftigte Personen gesteuert wird. Grundlage der Selektion sind Nachrichtenwerte, zu welchen die Relevanz und Aktualität eines Themas oder die Prominenz einer Person gehören. Nach Meier bestimmen diese Nachrichtenwerte auch die Berichterstattung über kirchengeschichtliche Themen. Hier sieht der Autor einen wichtigen Systematisierungsgewinn publizistikwissenschaftlicher Ansätze für die Kirchengeschichtsschreibung. In der Tat, für Phänomene moderner Massenkommunikation lässt sich dies wohl kaum bestreiten. Fraglich jedoch scheint es, ob die von Meier angeregte Übertragung der Nachrichtenwerttheorie auf die Vormoderne einen wissenschaftlichen Mehrwert hätte. Zweifel sind angebracht, nicht zuletzt, weil es in der Vormoderne weder Massenmedien im modernen Sinne noch eine ausgeprägte Professionalisierung von "Nachrichtenmachern" gab.
Einem anderen Gegenstand und einem anderen Untersuchungszeitraum wendet sich im daran anschließenden Beitrag Susanne Schenk zu. Schenk analysiert den Briefwechsel zwischen Königin Mathilde von England und Anselm von Canterbury um 1100. Auch ihr geht es freilich weniger um das Medium "Brief" als vielmehr um die Inhalte, die im Dialog zwischen den beiden Briefpartnern verhandelt werden. Sie analysiert im Detail theologische Fragestellungen und Argumentationsstrukturen und weist überzeugend die Differenzen auf, die zwischen den Briefpartnern vor allem in der Frage der Heilsvermittlung bestanden. Ihr Schluss, dass die Briefkommunikation anders als Mündlichkeit die Reflexivität der Argumentation fördere, scheint demgegenüber etwas überraschend, da der Aufsatz nicht auf einen Vergleich beider Kommunikationsformen angelegt ist.
Ganz anders führt im folgenden Beitrag Berndt Hamm den Medienbegriff in die Analyse ein. Hamms These lautet, dass im Spätmittelalter eine enge Wechselwirkung zwischen der Veränderung des Gnadenverständnisses und der neuartigen Verwendung religiöser Medien zu beobachten ist. Entsprechend rückt er die Frage, welche Gnaden- und Heilsmedien im Spätmittelalter überhaupt existierten und auf welche Weise mediale Figurationen der Gnadenvermittlung hergestellt und wirksam gemacht wurden, in den Mittelpunkt seiner Überlegungen. Eine Trennung zwischen den inhaltlich-theologischen Aspekten des spätmittelalterlichen Gnadenverständnisses und ihrer medialen Repräsentation schließt sich dadurch aus. Stattdessen entwirft Hamm eine beide Aspekte umfassende Typologie der spätmittelalterlichen Gnadenmedialität. In diesem Sinne unterscheidet er Medien, die - wie beispielsweise die Bibel, Ablässe oder Reliquien - eine Partizipation an der Gnade ermöglichen, von grundlegenden Konzeptionen von Medialität, in deren Mittelpunkt Christus als zentraler Heilsmittler steht. Einen dritten Medialitätstypus erkennt Hamm in den technisch reproduzierbaren Andachtsbildern und typographisch vervielfältigten Texten, die es dem Gläubigen erleichtern, Gnadennähe herzustellen. Hamms überzeugende und gleichermaßen faszinierende Typologie setzt damit nicht bei einem technisch definierten Medienbegriff an. Vielmehr rekurriert sie auf mediale Figurationen von Nähe, Distanz und Vermittlung. Die spätmittelalterliche Gnadenvorstellung ist demnach ein umfassendes mediales Phänomen; sie ist verbunden "mit der sinnlichen Medialität des Sehens und Betrachtens, Lesens und Hörens, des Berührens, Schmeckens und Riechens, des Gehens, Stehens, Kniens, einer Aktivierung des Körpers und aller Körpersinne in Verbindung mit der seelischen Mobilisierung der Imagination, des kognitiven Wissens, Erinnerns, Nachdenkens und Verstehens sowie des affektiven Empfindens und Fühlens, in dem die Andacht des begnadeten Menschen ihr Ziel erreicht" (44).
Hamms Beitrag steckt damit einen inhaltlichen wie methodischen Rahmen ab, in Bezug auf welchen viele der folgenden Beiträge sehr gewinnbringend gelesen werden können, auch wenn sie zum Teil andere Medienbegriffe zugrunde legen, sich weniger dezidiert einer medientheoretischen Zugriffsweise verpflichten oder einfach thematisch enger gefasst sind. Christoph Burger analysiert volkssprachliche und lateinische Überlieferungen zweier spätmittelalterlicher Predigten, um - mithilfe eines eher klassisch philologischen Ansatzes, der im Grunde eines Medienbegriffs nicht bedarf - sprachlich bedingte, konzeptionelle Unterschiede herauszuarbeiten. Ablassinschriften des Spätmittelalters sowie ihre Funktionen in lokalen Ablasskampagnen sind anschließend das Thema von Christine Margin. In den Mittelpunkt rückt sie vier Steintafeln an der Rostocker Marienkirche, wobei ihr Interesse sich - ähnlich wie bei Burger - stärker auf die inhaltliche Seite und die Rezeptionsbedingungen als auf die Materialität und Medialität der Inschriften bezieht. Auch Falk Eisermann thematisiert in seinem Aufsatz den Ablass, gibt seinem Thema allerdings dadurch eine dezidiert medien- und kommunikationsgeschichtliche Wendung, dass er ihn als Medienereignis beschreibt. Eisermann folgt dabei der bereits andernorts überzeugend elaborierten These, dass die spätmittelalterlichen Ablasskampagnen aufgrund ihrer multimedialen Inszenierung und des intensiven Einsatzes des neuen Druckmediums das Medienereignis Reformation vorbereiteten. Kommunikationsgeschichtlich besaß die Reformation mit anderen Worten im Ablasswesen ihren wichtigsten Wegbereiter. Vor dem Hintergrund des Beitrags von Berndt Hamm wären hier indes zwei Fragen anzuschliessen: Zum einen wäre zu prüfen, ob nicht die spätmittelalterlichen Transformationen der Heilsmedialität insgesamt das Medienereignis Reformation vorbereiteten, zum anderen wäre danach zu fragen, ob sich vor diesem Hintergrund nicht auch die Theologiegeschichte der Reformation medientheoretisch und mediengeschichtlich reformulieren ließe. Vieles jedenfalls deutet auf einen engen, ja intrinsischen Zusammenhang zwischen den medialen Verfahrensweisen und Vollzugsformen reformatorischer Sinngenerierung und der reformatorischen Botschaft vom Schriftprimat hin. Gerade um solche Bezüge herzustellen, reicht es nicht aus, Medien nur als technische Informationsträger zu definieren. Vielmehr müssen die materiellen und ideellen, praktischen und theoretischen Bedingungen, etwas sichtbar, wahrnehmbar und beschreibbar zu machen, insgesamt in den Blick gerückt werden.
Das schmälert keineswegs den Wert, den Studien zu Einzelmedien haben können. Peter Schmidts folgender Beitrag zum spätmittelalterlichen Gnadenbild und den Anfängen seiner gedruckten Reproduktion zeigt dies eindrucksvoll. Schmidt weist nach, dass für die "Wahrheit" und Wirkmächtigkeit der Reproduktionen von Gnadenbildern im Spätmittelalter nicht der Bezug zum (vermeintlich) abgebildeten Original entscheidend war. Die drucktechnisch vervielfältigten Gnadenbilder aktualisierten vielmehr einen selbstreferentiellen Verweisungszusammenhang, der auf dem symbolisch generalisierten Ausdrucksgehalt des Dargestellten beruhte und keine direkte Verbindung zur "Realität" des Originals benötigte. Dementsprechend unterlagen die (Ab-)Bilder auch keinem Auraverlust, wie sie die moderne Forschung immer wieder konstatiert hat. Erst nachdem im Laufe der frühen Neuzeit das Verhältnis von Abbild und Original zunehmend in den Mittelpunkt der Bildwahrnehmung gerückt worden war, wurde der religiöse Gebrauchszusammenhang des reproduzierten Bildes problematisch, und erst jetzt ließ es sich, so Schmidts These, als Massenmedium für die Nachrichtenverbreitung in Anspruch nehmen.
Klassische Themen der Reformationsgeschichtsschreibung greifen schließlich die drei letzten Aufsätze des Bandes auf, um sie unter mediengeschichtlichen Aspekten neu zu interpretieren. In Gury Schneider-Ludorffs Beitrag wird unter dem Medienaspekt das Instrumentarium landesherrlicher Politikgestaltung im Zeitalter der Reformation behandelt. Die Erkenntnis, dass Stiftungen, Texte und Bilder dazu benutzt wurden, das Kirchenwesen protestantischer Territorien aufzubauen und es dem Fürsten ermöglichten, auch eigene theologische Ambitionen zum Ausdruck zu bringen, ist an sich freilich noch kein medientheoretischer Befund. So elaboriert Schneider-Ludorff ihre These, dass es zwischen der Medialität des Heils und der landesherrlichen Selbstrepräsentation im 16. Jahrhundert einen Zusammenhang gab, dann auch eher sozial-, ideen- und kunstgeschichtlich. Dezidiert mediengeschichtlich hingegen argumentiert Volker Leppin in seinem Aufsatz über die lutherische Totenmemoria. An Beispielen aus der Jenaer Stadtkirche aus der Zeit um 1600 zeigt er, wie sich die Gedenkkultur durch die Ausdifferenzierung medialer Formen, insbesondere der von Epitaph und (gedruckter) Leichenpredigt, veränderte. Abschließend stellt Tim Lorentzen das Münchner Datenbankprojekt "Konfessionelle Bildpublizistik der Frühen Neuzeit" vor und demonstriert, wie sehr die geschichtswissenschaftliche Forschung selbst mit (inter-)medialen Praktiken verbunden ist.
Nicht jede "Mediengeschichte" ist spannend und innovativ. Das wird sie, wie der Band "Media Salutis" verdeutlicht, vor allem dort, wo die mediengeschichtliche Perspektive eine methodologische Wendung impliziert und ein gegenständlich-technisches Medienverständnis verabschiedet wird. Medialität im weiteren Sinne fokussiert keinen Gegenstand, sondern die jeweils zeitgenössischen Bedingungen, etwas sichtbar, wahrnehmbar und beobachtbar zu machen, also Gegenstände zu konstituieren. Techniken sind dabei ebenso wichtig wie Diskurse und Praktiken; Medienwandel, Medienwechsel und Medienwissen gehören zusammen. Eine methodologisch gewendete Mediengeschichte behandelt in diesem Sinne keinen Teilbereich der Geschichte. Medialität nämlich betrifft immer die Geschichte als Ganze, und zwar als das, was kulturelle Sinngenerierung allererst ermöglicht, sie prägt, sich in ihr aber auch verändert.
Marcus Sandl