Holger Böning: Periodische Presse. Kommunikation und Aufklärung. Hamburg und Altona als Beispiel (= Presse und Geschichte - Neue Beiträge; Bd. 6), Bremen: edition lumière 2002, 525 S., ISBN 978-3-934686-09-0, EUR 39,00
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Der zweite Band der 2002 erschienenen Mediengeschichte von Holger Böning setzt die Darstellung des ersten Bandes im so genannten "Jahrhundert der Aufklärung" fort und deckt damit einen Zeitraum vom ersten Drittel des 18. Jahrhunderts bis in das frühe 19. Jahrhundert ab. Die Zielsetzung folgt ebenfalls der des ersten Bandes: Böning legt - im Hinblick auf die Relevanz der Presse für den Prozess der Aufklärung - eine systematisierende Beschreibung der Presselandschaft und ihrer Entwicklung in der Stadt Hamburg, ihren unmittelbaren Nachbarorten und dem dänischen Altona vor. Der Autor skizziert dazu die zentralen Entwicklungslinien verschiedener Pressegattungen, beginnend bei den Zeitungen über Wissenschaftszeitschriften sowie thematisch- und rezipiententechnisch spezialisierte Zeitschriften bis hin zu den politischen Zeitschriften und den Journalen. Die besondere Bedeutung der Presse für die Aufklärung sieht Böning darin, dass die Entwicklung der Aufklärung Kommunikationsmedien und -prozesse benötigt, um einer breiten "Öffentlichkeit" "Information" und "politisches Räsonnement" (457) zu ermöglichen. Nach Böning stellt die Presse dieses System bereits im 17. Jahrhundert zur Verfügung (11, 457), während es im 18. Jahrhundert "zu einem hochdifferenzierten System der Information und Diskussion fortentwickelt" (457) wird. Das Lesepublikum durchläuft dabei einen Prozess, der vom politisch und wissenschaftlich informierten über das moralisierend-wertende bis hin zum politisierten und räsonnierenden Publikum reicht. Diese Entwicklung spiegelt sich in seinen vier Hauptgliederungspunkten wider.
Das erste Kapitel beschäftigt sich mit den Zeitungen als "Informationslieferanten" im Jahrhundert der Aufklärung (13 ff.). Böning skizziert hier die Entwicklung der Zeitung zum späteren Massenmedium anhand der Hauptvertreter, aber auch spezialisierter Sonderformen und schließt das Kapitel mit einer Beschreibung der redaktionellen Rahmenbedingungen in der Zeitungsproduktion und einem Ausblick auf die Entwicklung der Zeitung zum "Massenlesestoff" (121).
Vor allem vier, langjährig erschienene Zeitungen seien für den Hamburger Raum im Hinblick auf die Aufklärung prägend gewesen: Der Hamburger "Relations-Courier", die "Staats- und gelehrten Zeitung des Hamburgischen unparteyischen Correspondenten", der "Altonaische Mercurius" und der Altonaische "Reichs-Post-Reuter" (16); ergänzt wurden sie ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durch die "Hamburgische Neue Zeitung" (15). Dabei dominierte der 1712 gegründete "Correspondent" schon frühzeitig den Hamburger Zeitungsmarkt, wie sich in diversen Nachahmungsversuchen zeigt (21). Der Erfolg dieser viermal wöchentlich erscheinenden und "auflagenstärksten Zeitung im Norden Deutschlands" (22) beruhte auf der Qualität seiner Berichterstattung, die durch akademisch gebildete Redakteure und bekannte Literaten, darunter Autoren wie Gottsched und Lessing, gewährleistet wurde (19). Dass die Zeitung mit ihrer Berichterstattung aufklärerische Ziele, wie z. B. die Anregung zur Urteilsbildung und Kritikfähigkeit, verfolgte, stellt Böning anhand der politischen Artikel und vor allem der gelehrten Nachrichten und Beilagen dar (19). Dementsprechend läge die Bedeutung des "Correspondenten" darin, dass er "als erste periodische Schrift ein breites, weit über die Leserschaft wissenschaftlicher und gelehrter Zeitschriften hinausreichendes Publikum mit dem Gedankengut der Aufklärung vertraut machte" (33-34). Eine solche Bedeutung konnten weder der vor allem in Altona und Dänemark vertriebene "Altonaische Mercurius" (36 ff., 40) noch der bekannte "Relations-Courier" aus dem Hause Wiering (50 ff.) erreichen. Etwas anders verhielt es sich mit der Konkurrenz in Gestalt des "Reichs-Post-Reuters" (42 ff.), der sich zur "am weitesten verbreiteten Zeitung des 18. Jahrhunderts" (42) entwickelte. Seinen Erfolg verdankte er einer rührigen Verlegerfamilie und einer Reihe von engagierten Redakteuren und Autoren, die den literarisch-aufgeklärten Kreisen von Hamburg und Altona sehr nahe standen (44). Auch die 1766 gegründete "Neue Zeitung" erlangte ihr Ansehen besonders durch die enge Beziehung ihrer Herausgeber, Redakteure und Autoren zum Hamburger Klopstock-Kreis (101). Dementsprechend zeichnete sich die Zeitung durch ihren gelehrten Nachrichtenteil aus, der "zu einer Art Kristallisationspunkt der Hamburger Aufklärung und des literarischen Lebens wurde" (101) und damit in direkter Konkurrenz zum "Correspondenten" stand.
Eine "Strukturveränderung des Zeitungsmarktes" (74), die sich über mehr als ein Jahrhundert erstreckte und die "nach und nach alle Bevölkerungsschichten zu Zeitungslesern werden läßt und dabei auch den Charakter der Zeitungsberichterstattung nachhaltig verändert", macht Böning um 1750 aus (74). Neue Leser aus den so genannten "unteren Bevölkerungskreisen" (74) mussten gewonnen werden, um den Zeitungsabsatz zu erhöhen. Dazu arbeitete der Redakteur der "Privilegierten Holsteinischen Zeitung" mit "salopp-respektlosen Bemerkungen und Kommentaren" (77). Allerdings ist, wie Böning selbst vermerkt, eine derartige Beurteilung problematisch, da nur noch ein Exemplar der Zeitung existiert (77). Deutlicher sieht er beim "Wandsbecker Mercurius" eine Konzeption, die auf den "einfachen Leser" (80) ausgerichtet ist, da sie durch "respektlose und erläuternde Bemerkungen" (80), die zeitweise Verwendung der niederdeutschen Sprache (81) und die Einführung "kleiner moralischer Abhandlungen" (84) gekennzeichnet sei.
Die chronologisch orientierte Zeitungsgeschichte wird mit Blick auf die Ereignisse um die französische Revolution und die Auswirkungen der französischen Besatzungszeit in Hamburg (1806-1813/14) fortgeführt. Nach dem Ende der rigiden französischen Zensurmaßnahmen und Zeitungsverbote entstand 1813 mit dem "Deutschen Beobachter" "eine Zeitung neuen Typs" (120). Nicht das Prinzip der Unparteilichkeit, sondern "das Eingreifen in das politische Geschehen" (120) war seine Aufgabe, so Böning. Die Entwicklung in diese Richtung hatte aber schon zu dem Zeitpunkt eingesetzt, als bedeutende Hamburger Bürger bzw. Zeitungen begannen, "eine Meinungsführerschaft aufklärerischer Positionen zu etablieren und für aufklärerisch-gemeinnützige Reformen zu werben" (159).
Im zweiten Kapitel wird die Rolle der verschiedenen, thematisch bereits spezialisierten Zeitschriftengattungen im Rahmen der "Wissenschaftsvermittlung und allgemeinen Aufklärung" (163) untersucht. Nach Böning sind sowohl die Moralischen Wochenschriften als auch die naturkundlich-gemeinnützigen Zeitschriften und die Intelligenzblätter (166 ff.) nicht nur für das "Entstehen einer räsonnierenden Öffentlichkeit" (163) von Bedeutung, sondern zeigen auch "das Wachsen einer auf Privatinitiative beruhenden aufklärerisch-gemeinnützigen Reformbewegung" (163). Dabei wirkten die gelehrten Zeitungen und Zeitschriften als Informationsbasis, da sie schon seit dem 17. Jahrhundert als Vermittler von Wissen auftraten (164 ff.), auch für ein Publikum außerhalb der Gelehrtenwelt.
Die "praktische Nutzung" (181) der wissenschaftlichen Erkenntnisse für alltägliche Lebensbereiche wurde durch die naturkundlich-ökonomischen und kameralistischen Zeitschriften geleistet (180 ff.). Sowohl durch die Verwendung der deutschen Sprache als auch durch das Aufgreifen alltagsrelevanter Themen, beispielsweise im "Hamburgischen Magazin" zum Gesundheitswesen oder zur Landwirtschaft, konnten neue Leserkreise, insbesondere aus den "gesitteten Ständen" (196), angesprochen werden. Im Gegensatz dazu war den Moralischen Wochenschriften, die mit dem von 1724 bis 1726 erscheinenden "Patrioten" einen Höhepunkt verzeichnen konnten, trotz manch neuer Konzeption kein langjähriger Erfolg mehr beschieden (200 ff.).
Eine Gattung, die im Rahmen der Aufklärungsbewegung besondere Bedeutung gewann, war das Intelligenzblatt (207 ff.). Nachdem in Hamburg sowohl traditionell konzipierte Anzeigenblätter als auch Mischformen gescheitert waren, erlangten erst die 1767 privatwirtschaftlich gegründeten "Hamburgischen Adreß-Comtoir-Nachrichten" durch ihr langjähriges Erscheinen nennenswerte Bedeutung (209). Ihre personellen Kontakte zur "Patriotischen Gesellschaft", einem "Zentrum der Aufklärung in Hamburg" (210), schufen die Verbindung von aufklärerischem Gedankengut und typischem Anzeigenblatt: Der Leser wurde über praktische Reformen und Veränderungen in Hamburg ebenso wie über aktuelle Bekanntmachungen und Wirtschaftsnachrichten informiert; dazu wurde er außerdem mit politischen Beiträgen versorgt und mit literarischen Artikeln und Reisebeschreibungen unterhalten. Insgesamt vier Intelligenzblätter existierten zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Hamburg und Altona und trugen "wie kaum eine andere Pressegattung" (220) zur Verbreitung der aufklärerischen Ideen bei.
Das dritte Kapitel schließlich beschäftigt sich mit der Ausdifferenzierung der Zeitschriftenliteratur hinsichtlich neuer Themen und Lesergruppen (267-381). Seit den ersten Zeitschriftenanfängen erfuhren Hamburg und seine Nachbarorte eine Vielzahl von Gründungen, die von Böning bis 1815 mit 850 Titeln beziffert werden (270). Dabei dominierten mit je 120 Titel die politisch orientierten und die "gemeinnützig-aufklärerischen" Zeitschriften vor den Moralischen Wochenschriften sowie den gelehrten und allgemeinwissenschaftlichen Zeitschriften (270). Dieses große Angebot wurde durch Zeitschriften ergänzt, die verschiedenste Lebensbelange berührten und "neue Publikumsschichten ansprach[en]" (270). Dazu gehörten 'fachspezifische' Medien aus den Bereichen Theologie, Kunst (Musik, Literatur, Theater), Wirtschaft und Länderkunde sowie Blätter, die sich vermehrt einer lokalen Berichterstattung widmeten, und schließlich jene Zeitschriften, die an die neuen Adressatengruppen Frauen und Kinder gerichtet waren. In diesem Zusammenhang sind auch die spezialisierten Organe mit einem ebenfalls spezialisierten Leserkreis, z. B. von und für Buchhändler, Juristen oder Freimaurer, zu erwähnen. In fast allen der vorgenannten Zeitschriften ist nach Böning eine aufklärungsfreundliche und -orientierte Haltung festzustellen, die belehrend und erziehend auf ihre Leser einwirken wollte. Diese Intention ist auch für die meisten der ca. 40 theologischen Zeitschriften auszumachen, die sich nicht nur an Prediger und Theologen wandten, sondern auch an ein "breiteres Publikum" (276). Die harschen Auseinandersetzungen, die zwischen Aufklärungsbefürwortern und Aufklärungsgegnern, Letztere vor allem in Gestalt der traditionellen Hamburger Geistlichkeit, geführt wurden, fanden allerdings kaum in den Zeitschriften statt, sondern wurden in Flugschriften, über Predigten, über eine "rigide Personalpolitik" und über "Zensurbegehren" ausgetragen (272, 276). Ganz anders stellten sich die Anfänge der Hamburger Lokalberichterstattung dar: Um 1750 erschienen eine Reihe von kleinen Blättern, in denen lokale Ereignisse vor allem mit unterhaltenden, sensationsheischenden und anzüglichen Elementen kommentiert wurden (362 ff.). Erst 50 Jahre später entwickelte sich eine seriöse Lokalberichterstattung, welche "die öffentliche Debatte fast aller Hamburg und Altona betreffenden Probleme ermöglichte" (371).
Das vierte und letzte Kapitel befasst sich mit einem Ausblick auf die politische Zeitschriftenliteratur (382 ff.). Nachdem in Hamburg und Altona seit den 20er-Jahren des 18. Jahrhunderts kaum mehr politischen Zeitschriften erschienen waren, erlebte diese Gattung in den 80er-Jahren, beginnend mit dem fast 50 Jahre existierenden und konservativ orientierten (440) "Politischen Journal", einen regelrechten Aufschwung. Bis 1815 wurden an die 105 Zeitschriften gegründet (403). Im Rahmen der Französischen Revolution und ihrer Begleiterscheinungen änderte sich auch der Charakter der Berichterstattung in den verschiedenen Journalen: Wollten die ersten Herausgeber noch über Hintergründe informieren und die verschiedenen Positionen beleuchten, um der 'zukünftigen Geschichtsschreibung Material' zu liefern (405), so wurden die Zeitschriften nun mehr und mehr "zum Podium des Meinungskampfes über politische Angelegenheiten" (421). Befürworter und Gegner der Französischen Revolution und ihrer Ideen meldeten sich in den Medien zu Wort; diese wurden von dem auf Neutralität bedachten Senat häufig wieder verboten. Nach dem Wegfall der rigiden Zensurpolitik während der französischen Besatzungszeit überwogen recht schnell antifranzösische Tendenzen.
Wie schon im ersten Band seiner Pressegeschichte bietet Böning in diesem zweiten Teil ein vielschichtiges und facettenreiches Bild der Presseorgane, ihres Umfeld und ihrer Rückwirkung auf das Lesepublikum im Kontext der Aufklärung. Ein umfangreiches Personenregister und ein Verzeichnis aller periodischen Druckschriften erschließt die detailreichen Informationen. Anhand vieler Beispiele zeichnet der Verfasser den Entwicklungsgang der Presse, aber auch die zunehmende Einflussnahme reformerischer Kreise im Sinne der Aufklärung in den einzelnen Medien nach. Schon im 17. Jahrhundert stellte die periodische Presse in Gestalt von Zeitungen, Zeitschriften etc. ein Mediensystem zur Verfügung, das sich bereits vor dem eigentlichen Zeitalter der Aufklärung ausdifferenzierte und Raum für aufklärerische Strömungen bzw. das Gedankengut ihrer Protagonisten bot. Dass das 18. Jahrhundert eine fast unüberschaubare Zahl von Zeitungen, Zeitschriften, Intelligenzblättern, Broschüren, Almanachen etc. mit den unterschiedlichsten Themen hervorbrachte, ist bekannt, und zu Recht wird von Böning die Bedeutung eines solchen Systems für die Breitenwirkung der Aufklärung hervorgehoben. Allerdings wird dabei zum Teil der Eindruck vermittelt, als ob die Verleger und Redakteure der verschiedenen Pressegattungen bewusst und fast schon systematisch als treibende Kräfte der Aufklärung fungierten. Trotz der personellen Verknüpfungen zwischen Publizisten und aufklärerischen Kreisen bleibt zu fragen, inwieweit hier nicht auch die privatwirtschaftlichen Interessen der Verleger zu einer Ausdifferenzierung und Spezialisierung der Medien geführt haben. Ebenso ist aus historischer Perspektive zu fragen, aus wem sich das häufig genannte "Publikum" bzw. der Begriff der "Privatleute" und der "Öffentlichkeit" zusammensetzte.
Sonja Schultheiß-Heinz