Lloyd Llewellyn-Jones / James Robson: Ctesias' History of Persia. Tales of the Orient, London / New York: Routledge 2010, X + 253 S., ISBN 978-0-415-36411-9, GBP 65,00
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Mit Ctesias' History of Persia, eingeleitet von Lloyd Llewellin-Jones, legt James Robson eine weitere englische Übersetzung der ktesianischen Persika-Fragmente vor. [1]
Das Buch gliedert sich in ein kurzes Dank- und Vorwort (VII-IX), eine ausführliche historische Einleitung (1-87), einen knappen Überblick über die Inhalte der Persika (88-90), eine Übersetzung der Zeugnisse über Ktesias (95-110) sowie eine Übersetzung der Persika- Fragmente (111-219). Angefügt ist ein Leitfaden zur Verwendung der Übersetzung (91-94), ein Autorenglossar (220-226), Stammbäume der großköniglichen Familie (227-229), Karten (230-231), ein Literaturverzeichnis (232-239) sowie ein knapper Index (241-253).
Die Textgrundlage der Übersetzung James Robsons ist Dominique Lenfants Gesamtedition aller Ktesias-Fragmente [2], die den Textbestand bekanntermaßen über den von Jacoby in den FGrH edierten erweitert hat. [3] Der Edition Lenfants folgt logischerweise auch die Nummerierung der übersetzten Testimonia und Fragmente; Neuaufnahmen sind mit einem Asterisk gekennzeichnet, in Klammern sind korrespondierende Fragmente angegeben. Die Übersetzung orientiert sich am Originaltext, besticht aber durch flüssigen und klaren Stil. Eine knappe Fußnotenkommentierung der Zahlen, Daten und Fakten Ktesias' erleichtert den Zugriff auch für Nichtspezialisten.
In der Einleitung sucht Lloyd Llewellyn-Jones Ktesias' Werk innerhalb der griechischen Literatur- und Historiographiegeschichte zu verorten. Gründlich aufbereitet und durch zahlreiche (nicht im Inhaltsverzeichnis genannte) Überschriften leserfreundlich, werden Informationen zu Ktesias, seinem Leben und Werk, möglichen literarischen Vorläufern und Zeitgenossen sowie seinen Quellen präsentiert.
Llewellyn-Jones' Argumentation erweist sich jedoch aus mehreren Gründen als problematisch. Eine erste Auffälligkeit begegnet dem Leser bereits im Vorwort beider Verantwortlichen. Ein äußerst problematischer Orientbegriff wird bewusst gewählt: Llewellyn-Jones und Robson plädieren ungeachtet der disziplinübergreifenden Debatten der letzten Jahre dafür, "the appropriateness of using the term, devoid of any prejudice or preconceptions" (IX) zurückzuverlangen und 'Orient' einfach im Sinne von Osten zu verwenden. Dieses Postulat wird von Llewellyn-Jones sowohl umgesetzt als auch in der Einleitung näher erläutert (26-27, 86-87). Den Befürwortern von Edward Saïds Thesen sei es unmöglich den Orient zu beschreiben, ohne ihn zu missdeuten, so der Autor. Die Initiatoren der Achaemenid Workshops hätten sich in übergroßer Vorsicht geübt und Tendenzen zur Stigmatisierung Ktesias' als Urheber orientalischer Klischees, die schon bei Jacoby vorhanden gewesen seien, verstärkt (24-28).
Insgesamt liest sich die Einleitung in die Fragmente des Ktesias als ein Kampf gegen eine angenommene communis opinio, Ktesias sei ein minderwertiger Historiker. Angebotene Lösungsansätze, wie beispielsweise der Reinhold Bichlers, Ktesias habe im Rahmen eines dichterischen Spiels mit der Erwartungshaltung seines Publikums gespielt (52), werden erwähnt, aber nicht in den argumentativen Zusammenhang eingebettet. Andere Probleme, wie die Frage, ob Ktesias überhaupt am persischen Hof war und wie authentisch seine Schilderung ist, werden nicht ernstlich diskutiert. Vielmehr beruft sich Llewellyn-Jones wiederholt auf die Augenzeugenschaft des Ktesias als Argument und erklärt ktesianische Eigenheiten aus dieser (bes. 12-18, 53, 55, 58, 82-85). Dabei zitiert der Autor durchaus einige Titel, die darauf verweisen, dass ihm bewusst sein müsste, welche Aspekte in der Forschung diskutiert werden. Es wäre unfair, seine Zitation des kürzlich erschienenen und wohl zeitgleich im Druck befindlichen Sammelbands Ktesias' Welt [4] an dieser Stelle anzuführen, da eine vollständige Rezeption an Hand weniger Vorabdrucke wohl kaum möglich war. Aber der Umgang mit Marco Doratis Artikel Ctesia falsario [5] kann als Beispiel dienen - der Artikel findet zwar Erwähnung, wird jedoch nicht diskutiert.
Die Rezeption von Forschungsliteratur scheint unausgewogen. Die Literaturliste ist vom Umfang her dem Unterfangen zwar sehr angemessen, offenbart jedoch nur wenige nicht englischsprachige sowie aus den letzten fünf Jahren stammende Titel. Dies ist insofern problematisch, als Ktesias viel Beachtung im französischen, deutschen sowie italienischen Sprachraum gefunden hat, und das gerade auch in jüngster Zeit. [6]
Methodisch fragwürdig ist zudem der bereits einleitend (3-7) getätigte Vergleich zwischen den Persika des Ktesias und Giles Fodens Roman The Last King of Scottland [7], der das Leben des jungen Arztes Nicholas Garrigan im direkten Umfeld des ugandischen Diktators Idi Amin Dada zum Inhalt hat. Gerade die Vermischung von fiktiven und realen Strängen bei Foden sei hilfreich für ein besseres Verständnis von Ktesias sowie seine Rehabilitation als Historiker. Dieser assoziative Vergleich, so einleuchtend er auf den ersten Blick sein mag, ist schwerlich eine sichere Folie für die Interpretation Ktesias' - zumal eine Vergleichbarkeit beider Werke auf literarischer Ebene zu prüfen wäre. Zum Beispiel: Foden lässt mit Garrigan einen Ich-Erzähler durch den Roman führen, während es auf Grund der Überlieferungssituation nicht klar ist, ob Ktesias sein Werk ungeklärter Gattung überhaupt in der 1. oder 3. Person verfasste. [8] Des Weiteren ist bekannt, dass Foden in Uganda lebte; auch sein Vorgehen, Historisches und Fiktives zu vermischen, ist dokumentiert. Gerade das sind im Falle des Ktesias die strittigen Punkte. Aus dieser Analogie resultiert Llewellyn-Jones' sehr prämissenreiche These Ktesias' Thematik und Ausführung seien durch das Leben in einer absoluten Monarchie (bes. 29, 58, 85) gekennzeichnet. Ebenfalls assoziativ und schon begriffshistorisch problematisch mutet an, wie Llewellyn-Jones weitere solcher 'absoluten Monarchien' von Periander bis Stalin einarbeitet oder anachronistische Erklärungsmuster (29, 56f.) heranzieht.
Abschließend konstatiert Llewellyn-Jones, Ktesias habe tatsächlich Geschichte geschrieben und zwar aus seiner Sicht - an einem absolut ausgerichteten Hof im Orient befindlich und auf orientalischen Quellen beruhend (57, 82-87). Gerade die orientalischen Erzählströme in Ktesias' Werk werden vom Autor betont und für die modernen Analyseschwierigkeiten verantwortlich gemacht; diese Annahme bleibt kritisch zu betrachten, da Llewellyn-Jones weder stichhaltige Argumente noch einen methodisch sauberen Zugang in die Waagschale werfen kann. [9]
Zusammenfassend sei festgehalten, dass es sich bei der in Ctesias' History of Persia vorliegenden englischen Übersetzung des von Lenfant edierten Ktesias-Korpus um eine wertvolle Bereicherung vor allem für den universitären Unterricht handelt. Auch das Materialreichtum der Einleitung sowie die Ausstattung des Buchs mit Karten und Bildern bieten vielfältige Verwendungsmöglichkeiten.
Anmerkungen:
[1] Anders als von Llewellyn-Jones angenommen (1), gibt es englische Übersetzungen von Ktesias' Werk: Andrew Nichols: The Complete Fragments of Ctesias of Cnidus, Diss., Gainesville 2008 (http://etd.fcla.edu/UF/UFE0022521/nichols_a.pdf); Edition mit englischer Übersetzung: Jan P. Stronk: Ctesias' Persian History. Part I. Introduction, Text, Translation, Düsseldorf 2010.
[2] Ctésias de Cnide, La Perse. L'Inde. Autres Fragments, hg. und übers. von Dominique Lenfant, Paris 2004.
[3] Kritisch zur Fragmentzuordnung äußert sich Carsten Binder: Plutarch und Ctesias. Beobachtungen zu den Quellen der Artaxerxes-Vita, in: CleO I, Wiesbaden 2011, 53-68.
[4] Josef Wiesehöfer / Robert Rollinger / Giovanni B. Lanfranchi (Hgg.): Ktesias' Welt - Ctesias' World, Wiesbaden 2011.
[5] Marco Dorati: Ctesia falsario?, in: QS 41, 1995, 33-52.
[6] Unter Berücksichtigung der Schwerpunkte des Buches sind beispielsweise folgende Beiträge zu erwähnen: Manuel Albadalejo Vivero: La India en la literatura griega. Un estudio etnográfico, Alcala 2005; Janick Auberger : L'Inde de Ctésias, in: Inde, Grèce ancienne, regards croisés en anthropologie de l'espace, éd. p. Jean-Claude Carrière, Paris 1995, 39-59; Janick Auberger: Ctésias et l'Orient: un original doué de raison, in: Topoi 5/2,1995, 337-352; Reinhold Bichler: Ktesias "korrigiert" Herodot, in: Ad fontes! Festschrift für Gerhard Dobesch zum 65. Geburtstag, hg. von Herbert Heftner, Wien 2004, 105-116; Carsten Binder: Plutarchs Vita des Artaxerxes. Ein historischer Kommentar (GFA Beihefte NF 1), Berlin / New York 2008; Bruno Bleckmann: Ktesias von Knidos und die Perserkriege: Historische Varianten zu Herodot, in: Herodot und die Epoche der Perserkriege. Realitäten und Fiktionen. Kolloquium zum 80. Geburtstag von Dietmar Kienast, hg. von Bruno Bleckmann, Köln / Weimar / Wien 2007, 137-150; Gabriele Marasco: Ctesia, Dinone, Eraclide di Cuma e le origini della storiografia tragica, in: Studi italiani di filologia classica 6, 1988, 48-67.
[7] Giles Foden: The Last King of Scottland, London 1998.
[8] Das Problem der Autorschaft des Ktesias im Sinne der postfaucaultschen Literaturtheorie ist bislang nicht geklärt.
[9] Vgl. dazu auch Robert Rollinger: Ktesias' Medischer Logos, in: Ktesias' Welt - Ctesias' World, hgg. von Josef Wiesehöfer / Robert Rollinger / Giovanni B. Lanfranchi, Wiesbaden 2011, 313-350, 343.
Katharina Knäpper