Aleksandra Pawliczek: Akademischer Alltag zwischen Ausgrenzung und Erfolg. Jüdische Dozenten an der Berliner Universität 1871-1933 (= Pallas Athene. Beiträge zur Universitäts- und Wissenschaftsgeschichte; Bd. 38), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2011, 529 S., ISBN 978-3-515-09846-5, EUR 84,00
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Aleksandra Pawliczeks Studie über die jüdischen Dozenten an der Berliner Universität beginnt mit dem Hinweis auf einen "fundamentalen Antagonismus" (9), der in einer erhöhten Präsenz jüdischer Wissenschaftler an den deutschen Universitäten (und hier besonders in Berlin) bei gleichzeitiger Ausgrenzung von Juden innerhalb der Hochschulen bestand. Diesem Problem widmet sich Pawliczek auf nahezu fünfhundert Seiten und präsentiert dem Leser eine breit angelegte Studie, die sich in drei größere Themenkomplexe aufteilt.
Der einleitende Part beschäftigt sich mit der rechtlichen Situation von Juden an der Universität Berlin, der sich inhaltlich bspw. von den Universitäts- und Fakultätsstatuten aus der Zeit des Kaiserreichs bis zu den Hochschulreformen und den dazugehörigen Diskussionen in der Weimarer Republik bewegt. Mit den folgenden Teilen zur Entwicklung des Lehrkörpers bzw. zur Berufungsrhetorik der Fakultäten und des Ministeriums eröffnen sich die Schwerpunktthemen der Studie, die einerseits an bestehende Forschungsergebnisse anknüpfen [1] und auf der anderen Seite detaillierte eigene Ergebnisse, die auf einem intensiven Quellenstudium fußen, präsentieren.
Die Situation der Juden im akademischen Alltag der Berliner Universität unterschied sich in den meisten Fällen nicht von den nichtjüdischen oder getauften Hochschullehrern. [2] Jüdische Dozenten waren in den "administrativ-institutionellen und wissenschaftsinternen Abhängigkeiten vollkommen integriert und mussten auf sie ebenso reagieren wie ihre nichtjüdischen Kollegen" (462). Die Frage, an welchen Stellen sich Unterschiede auftaten, ist somit entscheidend. So beschreibt Pawliczek bspw. die unterschiedliche Berufungspolitik von Seiten der Hochschulverwaltung vor und nach dem Ende des Kaiserreichs. Waren vor 1918 nur wenige jüdische Professoren für Lehrstühle in Erwägung gezogen worden, kehrte sich dieses Bild nach dem Ende des Ersten Weltkrieges um. Nun waren von Seiten der Regierung jüdische Ordinarien eher erwünscht - eine Berufung scheiterte dann oftmals an der ablehnenden Haltung der Fakultäten, welche wiederum vor 1918 deutlich öfter jüdische Gelehrte auf die Berufungslisten setzten. Dies ist nur ein Beispiel aus der Untersuchung. Detailliert geht Pawliczek auf die unterschiedlichen Behandlungen von nicht-mehr-jüdischen, d.h. Getauften und jüdischen Akademikern ein. Waren für erstere nach der Konversion weitestgehend alle Positionen offen, mussten sich letztere oftmals mit nicht beamteten Stellen als außerordentlicher Professor begnügen. Gerade die Berufung eines jüdischen Akademikers auf ein Extraordinariat stellte eine "bequeme Praxis" (59) für die Fakultäten dar, denn so "bestand keine Notwendigkeit mehr, nicht einmal eine moralische, unliebsame Kollegen tatsächlich zu ordentlichen Professoren zu befördern." (60)
Für die Berliner Universität erstellt Pawliczek ausführliche Darstellungen über die jüdischen Gelehrten in den akademischen Gruppen der Privatdozenten, Extraordinarien, Honorarordinarien und Ordinarien, dies alles nochmals getrennt nach Zeiträumen und den jeweiligen Fakultäten. Von den 1.910 Dozenten, die sie für den Untersuchungszeitraum angibt, waren 460 Personen jüdischen Glaubens bzw. jüdischer Herkunft. Interessant ist auch die Miteinbeziehung des Vergleichs mit der Situation der protestantischen und katholischen Gelehrten an der Universität. Der Ausblick auf die Veränderungen, die 1933 mit dem "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" einsetzten, rundet die Übersicht über die Entwicklung des Lehrkörpers ab. Dieser zweite große Abschnitt liefert zwar in Hinsicht auf die unterschiedlichen Stellungen der jeweiligen akademischen Gruppen nicht unbedingt viel Neues, verdient sich aber aufgrund der Ausführlichkeit und der speziellen Fragestellung doch noch seinen eigenen Platz im bereits gut ausgeleuchteten Bereich der Stellung der Professuren im 19. und frühen 20. Jahrhundert.
Der dritte und letzte Abschnitt behandelt die Berufungsrhetorik an der Berliner Universität. Pawliczek nennt als Berufungskriterien drei wesentliche Punkte, nämlich die wissenschaftliche Kompetenz, die Lehrkompetenz und das "'Bedürfnis' des Unterrichts" (294). Gerade für das erste Kriterium zeigt sie an Beispielen, dass dieses oft als "Pseudoargument" genutzt wurde, "hinter dem andere, möglicherweise entscheidendere Beweggründe zu suchen waren." (288) Die Untersuchung dieser Argumente zeigt allerdings nur die Situation jüdischer Gelehrter - dem Leser wird keine Vergleichsmöglichkeit geboten, was angesichts der ansonsten präsentierten Ausführlichkeit an anderen Stellen verwundert.
Auf den weiteren Seiten widmet sich Pawliczek wieder in der gewohnten Akribie der Darstellung, bspw. wenn sie die 'Jüdischen Fächer' (301) beleuchtet, die sie besonders in der Experimentalpsychologie, Sozialhygiene, Mathematik, Geschichte usw. ausmacht und anhand von Fallbeispielen (u. a. Georg Simmel) näher betrachtet. Ebenfalls mit Hilfe der ausführlichen Darstellung einiger persönlicher Schicksale beschreibt Pawliczek implizite Auswahlkriterien, die zur Berufung oder Nichtberufung führen konnten. Religion, Geschlecht, Politik und Nationalität dienen hier als Anhaltspunkte. Die in der Einleitung (22) angekündigte Analyse dieser Punkte mittels der Anwendung des soziologischen Habitus-Konzepts von Pierre Bourdieu wird zwar an dieser Stelle (352 f.) noch einmal aufgegriffen, erscheint aber nicht als ein wirklich konsequent genutztes Instrument, sondern wirkt eher ein wenig schüchtern, am Rande erwähnt, wobei eine wirkliche Auseinandersetzung mit Bourdieu nicht stattfindet. Hier hätte sich eine ausgewogenere Akzentuierung positiv ausgewirkt.
Trotz dieser kleinen Unstimmigkeiten darf es nicht über den Gesamteindruck hinwegtäuschen, dass Aleksandra Pawliczek eine lesenswerte und erkenntnisbringende Studie gelungen ist, die einen breiten Überblick über den akademischen Alltag der jüdischen Berliner Akademiker im Kaiserreich und in der Weimarer Republik bietet. Dem Leser eröffnet sich das vielseitige Bild einer "männlich, protestantisch, traditionell und monarchistisch definierten Wissenschaftsstruktur" (467), in der "religiöse Vorurteile, latenter Antisemitismus und Antikatholizismus [...] integrale Bestandteile [des] akademischen Habitus` der Berliner Professoren" (467) waren. Wiederum zeigen sich viele Fälle, in denen die jüdische Religion oder Herkunft keine Rolle gespielt haben, weshalb Pawliczek zu dem Schluss kommt, dass die Berufungspolitik der Universität und des Ministeriums durch "Inkonsequenz" (470) gekennzeichnet war, da sich weder eine grundlegend tolerante noch eine ablehnende Haltung gegenüber jüdischen Akademikern feststellen ließ. "Ablehnung und Anerkennung wechselten oft ab und existierten oft gleichzeitig nebeneinander. Wie in den übrigen gesellschaftlichen Strukturen war die Integration der Juden innerhalb der Berliner Universität punktuell bzw. individuell, und betraf sie nicht als Gruppe." (470)
Anmerkungen:
[1] Vgl. dazu bspw. Olaf Willet: Sozialgeschichte Erlanger Professoren 1743-1933. Göttingen 2001; Sylvia Paletschek: Die permanente Erfindung einer Tradition. Die Universität Tübingen im Kaiserreich und in der Weimarer Republik, Stuttgart 2001; Marita Baumgarten: Professoren und Universitäten im 19. Jahrhundert. Zur Sozialgeschichte deutscher Geistes- und Naturwissenschaftler, Göttingen 1997.
[2] Die Schwierigkeiten der Kategorisierung von bekennenden Juden, Konvertierten etc. werden von A. Pawliczek ausführlich behandelt und sollen nicht Gegenstand dieser Rezension sein.
Matthias Glasow