Niels Hegewisch / Karl-Heinz Spieß / Thomas Stamm-Kuhlmann (Hgg.): Geschichtswissenschaft in Greifswald. Festschrift zum 150jährigen Bestehen des Historischen Instituts der Universität Greifswald (= Beiträge zur Geschichte der Universität Greifswald; Bd. 11), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2015, 297 S., ISBN 978-3-515-10946-8, EUR 56,00
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Karl-Heinz Spieß: Fürsten und Höfe im Mittelalter, Darmstadt: Primus Verlag 2008
Der vorliegende Sammelband entstand im Anschluss einer im Wintersemester 2013/14 abgehaltenen Ringvorlesung anlässlich des 150jährigen Bestehens des Historischen Instituts an der Greifswalder Universität. Die Herausgeber äußern im Vorwort die Absicht, die "Traditionslinien der Greifswalder Geschichtswissenschaft vom frühen 19. bis ins 21. Jahrhundert" (7) nachzuzeichnen. Sie stellen weiterhin die Vermutung auf, dass an den bei der Gründung des Instituts [1] "verankerten Grundsätzen weiterhin Bedarf besteht" (7). Die hier besprochenen Abhandlungen zeigen, dass es das Institut über die Zeit vermochte, "dem Wandel der Wissenschaftsentwicklung zu folgen" (7).
Bei der Durchsicht der Aufsätze fällt auf, dass die Autoren nicht einfach bestimmte Epochen der Institutsentwicklung nach und nach abarbeiten, sondern zu einem großen Teil einzelne historische Fachdisziplinen vorgestellt werden, welche wiederum über mehr oder weniger lange Zeitabstände betrachtet werden. Unternimmt man einen epochalen Querschnitt, ergibt sich ein leichtes Übergewicht hinsichtlich der Geschichte des Instituts und seiner Akteure in der DDR. Inhaltlich präsentieren sich die Beiträge oftmals im klassischen Gewand des chronologischen Aufbaus. Ebenso werden hauptsächlich die jeweiligen Vertreter der historischen Zunft und ihr Wirken in Greifswald vorgestellt. Das mag nicht jedem sonderlich originell erscheinen, ist aber in den Augen des Rezensenten eine würdige methodische Herangehensweise.
Den eröffnenden Aufsatz steuert Michael Czolkoß bei, der die Genese der Greifswalder Geschichtswissenschaft vor der Institutsgründung 1863 beschreibt. Er setzt im Jahre 1765 an, in dem erstmals eine eigenständige Geschichtsprofessur an der Universität vergeben wurde. Czolkoß zeichnet den Bildungsprozess der Geschichtswissenschaft anhand ihrer Akteure nach, betrachtet die historische Forschung, die von Fachfremden und Historikern gleichermaßen betrieben wurde und kommt schließlich zu dem Ergebnis, dass erst die Bereitstellung eines entsprechenden institutionellen Rahmens die Möglichkeit schuf, den Disziplinbildungsprozess in neue Bahnen zu lenken.
Einem Beitrag von Thomas Stamm-Kuhlmann, der wissenschaftsgeschichtliche und hochschuldidaktische Reflexionen über die 150jährige Institutsgeschichte präsentiert, folgt die Betrachtung der Mediävistik im 19. und 20. Jahrhundert, die Mitherausgeber Karl-Heinz Spiess verfasst hat. Dabei möchte er explizit keine Erfolgsgeschichte seines Faches beisteuern, sondern vielmehr auf die Schwierigkeiten eingehen, was er vor allem mittels der Vorstellung der mehr oder weniger erfolgreichen Protagonisten der Greifswalder Mittelalterforschung versucht. Größerer Raum wird dabei dem 38 Jahre an der Universität lehrenden Ernst Bernheim geboten. Dieser war nicht nur ein bekannter Vertreter der Mittelalterforschung, sondern tat sich auch als Geschichtstheoretiker und Reformer des Geschichtsstudiums hervor. Den letzten beiden Aspekten in Bernheims Wirken widmet Frank Möller einen ausführlichen eigenen Beitrag.
Neben Bernheim kommt man natürlich am Namenspatron der Greifswalder Universität [2], Ernst Moritz Arndt, nicht vorbei, wenn man die Geschichte des Historischen Instituts behandelt. Michal North bringt es einleitend in seinem Beitrag auf den Punkt: "Über Ernst Moritz Arndt in Greifswald zu sprechen, heißt Eulen nach Athen zu tragen." (83) North ist es in den hitzigen Debatten, die es um Arndt in den zurückliegenden Jahren in Greifswald gegeben hat, allerdings zu wenig um den Historiker Arndt gegangen und er möchte aufzeigen, dass es bereits 60 Jahre vor der Institutsgründung eine "solide Geschichtswissenschaft" (83) in Greifswald gab. Das Thema Ernst Moritz Arndt ist in der Hansestadt ein "heißes Eisen" (189), wie es Niels Hegewisch ausdrückt, weshalb sich ein weiterer Beitrag der Arndt-Rezeption im Nationalsozialismus und in der DDR widmet. Die Position, die Hegewisch dabei einnimmt, lässt sich schnell ausmachen. So ist Arndt seiner Meinung nach eine "historische Persönlichkeit mittleren Ranges" und es ist Hegewischs Meinung nach "erklärungsbedürftig", warum Arndt "über die tiefgreifenden politisch-gesellschaftlichen Umbrüche des 20. Jahrhunderts hinweg eine solche Rolle spielen kann" (190). Ob dieser erfrischend angriffslustigen Argumentation wäre es erfreulich gewesen, hätte Hegewisch nicht nur die Arndt-Rezeption von 1933 bis 1985 betrachtet und hier eine inhaltliche Kontinuität festgestellt, sondern auch einen detaillierteren Ausblick auf die heutige Zeit und damit die gegenwärtige Arndt-Rezeption am Institut geboten.
Die 1456 gegründete Universität Greifswald unterhielt von Beginn an enge Beziehungen zu den nordischen Ostseeanrainern, was erwartungsgemäß in der schwedischen Herrschaftszeit intensiviert wurde. Der Beitrag von Jens E. Olesen über die Nordeuropaforschung am Historischen Institut zeigt die Entwicklung dieser historischen Fachrichtung in Greifswald von der Frühen Neuzeit bis heute. Es ist eine bemerkenswerte Konstante, dass die Erforschung Skandinaviens und Finnlands über die Jahrhunderte nahezu stabil blieb. Nur unter der preußischen Herrschaft ab 1815 war es die Hansegeschichte, die "als Zugang zur nordischen Geschichte" (130) diente. Greifswald entwickelte sich bis in die Gegenwart zu einem "Zentrum der Ostseeraumforschung" (94). Von 1917-1919 kam es zu Gründungen eines Nordischen und eines Finnland-Instituts, ab 1960 gab es eine Arbeitsgruppe zur Geschichte des Ostseeraums und ab 1968 eine Sektion für Nordeuropawissenschaft. Ein eigener Lehrstuhl für Nordische Geschichte existiert allerdings erst seit 1994. Neben Nordeuropa ist es die Geschichte Osteuropas, die in Greifswald mittlerweile fester Bestandteil des Instituts ist. Mathias Niendorf stellt in seinem Aufsatz nicht so sehr die historische Forschung in den Vordergrund, sondern vielmehr die Verbindungen Greifswalds und seiner Universität zu Osteuropa. Der Zeitraum von 1919-1945 ist ein Schwerpunkt seines Aufsatzes, worin er die Schwierigkeiten beschreibt, die der Universität entstanden, um aus dem "Schatten der Ostforschung" (147) hervorzutreten, was letztlich auch nicht gelang. Erst 1957 gelang es, mit Joachim Mai einen qualifizierten Spezialisten zu gewinnen, der entsprechende Vorlesungen und Seminare anbot. Etwas ernüchtert fasst Niendorf am Ende des Beitrags zusammen: "Weder hat Greifswald in der Osteuropäischen Geschichte, noch hat Osteuropäische Geschichte in Greifswald eine besondere Rolle gespielt. [...] Wenn Greifswald einmal zentrale Funktionen innerhalb der deutschen Wissenschaftslandschaft wahrnahm, dann am ehesten im Bereich der Nordischen Geschichte und Skandinavistik." (172)
Die Präsentation des breiten Spektrums des Greifswalder Historischen Instituts wird in dem gelungenen Band durch zwei Beiträge zur Geschichtsmethodik von 1945-1990 abgerundet. Martin Buchsteiner befasst sich in seinem umfangreichen Aufsatz mit den Problemen, die bei der Etablierung der Methodik auftraten und wie es schließlich gelang, einen festen und personell gut ausgestatteten Wissenschaftsbereich zu etablieren. Nach dieser Längsstudie nimmt Martin Nitsche abschließend einen qualitativen Querschnitt der Geschichtsmethodik vor, wobei er sich besonders auf die "theoretischen Prämissen" (174) und die geschichtsmethodischen Forschungen an sich konzentriert.
Anmerkungen:
[1] Das Historische Seminar wurde 1951 in ein Institut umbenannt. Zum besseren Verständnis wird in dieser Besprechung nur vom Institut die Rede sein.
[2] Den Namen Ernst Moritz Arndts trägt die Greifswalder Universität seit 1933.
Matthias Glasow