Anke Fischer-Kattner / Matthias Georgi / Hendrik Grallert u.a. (Hgg.): Schleifspuren. Lesarten des 18. Jahrhunderts. Festschrift für Eckhart Hellmuth, München: August Dreesbach Verlag 2011, 263 S., ISBN 978-3-940061-65-2, EUR 36,00
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Akademische Festschriften kennzeichnet typischerweise ein eigentümlicher Zwiespalt: Einerseits dokumentiert die Vielfalt verschiedener Neigungen der Beiträgerinnen und Beiträger die Forschungsinteressen und den intellektuellen Weg des Jubilars; andererseits ist angesichts dieser Vielfalt oftmals keinerlei inhaltliche Kohärenz zu erkennen. Insofern ist es bemerkenswert, wenn fast alle an dieser Festgabe für den Münchener Frühneuzeit-Historiker Eckhart Hellmuth Beteiligten den Blick fest auf das 'lange' achtzehnte Jahrhundert gerichtet halten, und wenn zudem alle anglophil geprägt sind oder sogar selbst aus dem englischsprachigen Raum stammen. Die Bandbreite der Interessen zeigt sich hier eher in Methodik und narrativer Gestaltung der so unterschiedlich umfangreichen wie originellen (und offenbar auch unterschiedlich ernst gemeinten) Texte. Einige davon seien im Folgenden herausgegriffen.
Der Band ist in vier Abschnitte gegliedert. Der erste, mit "Geschichtsschreibungen" betitelte ist auf der Metaebene angesiedelt und reiht sich in aktuelle Debatten über das innovative Potential historiographischer Darstellungsmodi ein. Klaus Birnstiel sinniert eingangs über die Dominanz narrativer Verfahren als Zugangsweise in der Frühneuzeitforschung. Diese begrüßt er zwar, warnt jedoch vor Übertreibungen im Sinne einer "Regression in die vorwissenschaftliche Kolportage" (44). John Brewer stellt sodann Neal Stephensons vom Cyber-Punk inspirierte Zeitkritik vor. In den historischen Sci-Fi Romanen seines Baroque Cycle moniere Stephenson eine zunehmende Oberflächlichkeit des Denkens und halte ihr die Werte der Aufklärung entgegen. Wie zur Exemplifizierung von Birnstiels Ausführungen empfiehlt Hendrik Grallert schließlich die Metaphorik der "autobiographical moments" bei dem australischen Historiker Greg Dening.
Schottland ist in diesem Band mit zwei Aufsätzen vertreten. Im zweiten Abschnitt über "Intellectual Histories" analysiert Iain McDaniel die Haltung einiger prominenter Vertreter der schottischen Aufklärung zu den Revolutionen in Nordamerika und Frankreich. Sie hätten die Monarchie, die sie durch diese Umbrüchen bedroht sahen, für weit moderner gehalten als die antiken Demokratien. Daniel plädiert dafür, solche Kritik nicht einfach abzutun als "deluded or consciously distorting reality for 'conservative' political purposes." (83) Vielmehr verkompliziere sie das komplexe Verhältnis von 'Aufklärungszeitalter' und 'Zeitalter der Revolutionen'. Martin Schmidt unternimmt den Versuch, die weitgehend voneinander unabhängigen Diskurstheorien Michel Foucaults und der Cambridge School vergleichend in einen Dialog zu bringen. Optimistisch schlussfolgert er, beide Seiten könnten von stärkerer gegenseitiger Kenntnisnahme profitieren. Richard Bourke versucht die Konzepte der "cultural community" und der "Balkanisierung" auf ihre Entstehungszeit im frühen 20. Jahrhundert zurück zu führen. Beide verbinde die brisante, wenngleich unausgesprochene Problematik, dass Konflikte zwischen gesellschaftlichen Gruppen eben nicht durch immer schon vorhandene kulturelle oder ethnische Gegensätze, sondern erst durch Demokratisierung zutage träten.
Stefan Ehrenpreis beginnt den interessanten dritten Abschnitt, der transnationalen "Wissensräumen" gewidmet ist, mit einer Untersuchung des Englandbildes bei dem lutherischen Theologen Heinrich Ludolf Benthem. An Benthems engländischem Kirch- und Schulenstaat (1694) demonstriert er, wie lebhaft sich deutsche Protestanten schon lange vor der "Hochaufklärung" für englische Religionspolitik interessierten. Komplementär dazu diskutiert Evelyn Gottschlich Verfasserschaft und kritische Rezeption des Robert Dodsley zugeschriebenen Bestsellers Oeconomy of Human Life (1750) durch deutsche Theologen. Anke Fischer-Kattner schließlich identifiziert am Ende des 18. Jahrhunderts einen "Knotenpunkt" grenzübergreifender wissenschaftlicher Debatten über die Erdgeschichte. Die Vorstellung eines linearen fachdisziplinären Fortschritts, wie ihn etwa das US-amerikanische Museum of Natural History einem breiten Publikum vermittele, würde der Komplexität dieser Debatten keineswegs gerecht.
Der vierte (insgesamt vielleicht substanziellste) Abschnitt über "Staatswelten" hebt thematisch etwas stärker als die übrigen auf die politische Ebene ab. So liest Michael Schaich das Staatsbegräbnis des Duke of Marlborough als nationales Medienereignis und macht in dessen Symbolik eine "Verzahnung von Patriotismus und Kommerz" (Hellmuth) aus. War Marlborough für die Rolle eines militärischen Nationalhelden geradezu prädestiniert, so zeigt Schaich auch, wie der aufwändige Trauerzug "gegensätzliche Lesarten und Zuschreibungen" (201) herausgefordert habe. Joanna Innes untersucht den Werdegang von George Rose, Sekretär des Schatzamtes und Vizepräsident des Board of Trade, der - anders als es zeitgleich in deutschen Territorien (etwa in Preußen) üblich gewesen sei - die für den Staatsdienst nötigen Fertigkeiten nicht im Rahmen einer systematischen und karriereorientierten Ausbildung erworben habe, sondern in der Praxis. Esteban Mauerer verfolgt am Beispiel von Kurbayern im 18. Jahrhundert, wie demographische Tabellen die Daten verdichtet und so die Bevölkerung in allen quantitativ ermittelbaren Aspekten zwar "sichtbar" gemacht - ja: als "Wissensobjekt" erst hervorgebracht -, aber keiner unmittelbaren Verwendung zugeführt hätten, obwohl sie für Staatslehre und "weitausgreifende Interventionen" (236) der Bevölkerungspolitik unentbehrlich geworden seien. Im zweiten Schottland-Beitrag zeigt Tobias Wolffhardt anhand sozialgeschichtlicher Entwicklungen auf den Äußeren Hebriden, wie manche heute 'archaisch' anmutenden Lebensformen erst Ergebnis von Entwicklungen seit dem 18. Jahrhundert seien und Beschwörungen des 'Archaischen' in einem nostalgischen Sinne mitunter gerade die Auflösung alter Ordnungen besiegelt hätten.
Über Titel lässt sich trefflich streiten (die 'Schleifspuren' wecken womöglich andere als die von den Herausgeberinnen und Herausgebern beabsichtigten Assoziationen), und die mythische Überhöhung des Hellmuth'schen Oberseminars ist - bei aller Selbstironie - für Außenstehende wohl verzichtbar. Davon abgesehen enthält der Band aber einige lesenswerte und bisweilen unterhaltsame Beiträge.
Sünne Juterczenka