Michael A. Vargas: Taming a Brood of Vipers. Conflict and change in Fourteenth-Century Dominican Convents (= The Medieval and Early Modern Iberian World; Vol. 42), Leiden / Boston: Brill 2011, XII + 350 S., ISBN 978-90-04-20315-0, EUR 128,00
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Charles Munier: Gvibertus Tornacensis. De morte. De septem verbis Domini in crvce, Turnhout: Brepols 2011
David Wallace (ed.): Europe. A Literary History, 1348-1418, Oxford: Oxford University Press 2016
Cédric Giraud: Notre-Dame de Paris 1163-2013. Actes du colloque scientifique tenu au Collège des Bernardins, à Paris du 12 au 15 décembre 2012, Turnhout: Brepols 2013
Nicolau Rossell, Dominikaner und Provinzial der Ordensprovinz Aragon, schreckte vor drastischen Formulierungen nicht zurück und sah in seinen eigenen Ordensbrüdern um 1350 wenig mehr als bloßes Natterngezücht, durch dessen Treiben nicht nur dem Orden, sondern auch der Gesamtkirche unermesslicher Schaden erwachse.
Die klassische Ordensgeschichtsschreibung dominikanischer Provenienz, für die im 20. Jahrhundert insbesondere William Hinnebusch steht, sah vor allem in externen Faktoren die Ursache für die fortgesetzten Regelmissachtungen, die Verrohung und Verweltlichung, kurz: den Fast-Zusammenbruch des Ordens im 14. Jahrhundert.
Dieses Jahrhundert gilt gemeinhin als "Jahrhundert der Krise", geprägt von solch epochalen Ereignissen wie der Pest, die 1347-49/50 in einem ersten Schub Europa verwüstete, dem seit 1338 - freilich nicht ununterbrochen - tobenden Krieg zwischen England und Frankreich oder dem Großen Schisma, das seit 1378 die christianitas in zunächst zwei Obödienzen spaltete.
Michael A. Vargas, assistant professor an der State University of New York, tritt mit dem erklärten Ziel an, die dominikanische "Meistererzählung" vom beeindruckenden, gleichsam "goldenen" Beginn (13. Jahrhundert), gefolgt von einer Zeit der Krise (14. Jahrhundert), mündend in einer Periode der Reform und Konsolidierung (15. Jahrhundert) nicht nur zu hinterfragen, sondern ein neues Erklärungsmodell insbesondere für die ordensinternen Geschehnisse und Verwerfungen im 14. Jahrhundert zu liefern. Er tut dies auf der Grundlage einer Quellengattung, die - zumindest für das späte Mittelalter - mit zum Besten gehört, was die Ordenshistoriographie zu bieten hat: den Akten der aragonesischen Provinzkapitel, die zwar nicht ohne Lücken, gleichwohl aber in beneidenswerter Dichte überliefert sind und seit wenigen Jahren vollständig in kritischer Edition vorliegen.[1] Sie bieten Einblick in das Tagesgeschehen und die Verwaltung der einzelnen Konvente und erlauben es aufgrund der Wiederkehr gleicher Rubriken, Entwicklungen über einen längeren Zeitraum hinweg vergleichend zu verfolgen. Der untersuchte Zeitraum reicht dabei von der Ausgliederung der (neuen) Provinz Aragon aus der (altehrwürdigen) Provinz Spanien in den Jahren 1301/1302 bis hin zum Ausbruch des Schismas und umfasst damit einen Zeitraum, der nicht nur für den Orden der Predigerbrüder, sondern auch für den Großteil der übrigen Ordensgemeinschaften ausnehmend schlecht untersucht ist.
Die von Vargas nach der Auswertung sämtlicher Kapitelsakten angelegte Datenbank ermöglicht den Zugriff auf 10.264 Aktivitäten von nicht weniger als 3.077 Individuen. Diese Stofffülle galt es zu bändigen. In acht Kapiteln - eher essayistisch angelegt, deshalb aber nicht weniger wissenschaftlich - werden Schneisen in die reiche Überlieferung geschlagen, die aber stets mehr sind als punktuelle Einzelfalluntersuchungen.
Die ersten beiden Kapitel haben einführenden Charakter und erläutern nicht nur allgemein die institutionellen Grundlagen des Ordens (c. 1: Success and successors, 37-72), sondern auch die Entstehungsgeschichte der aragonesischen Ordensprovinz (The contentious birth of a new province, 73-97). Vargas ist mit der einschlägigen englisch- und spanischsprachigen Sekundärliteratur bestens vertraut. Doch vermisst man - insbesondere für den Komplex der zu Recht angeführten monastischen Gründungsmythen - den Rückgriff auf Werke, die in den letzten Jahren zumeist im Umfeld der Dresdener Forschungsstelle für Vergleichende Ordensgeschichte entstanden sind. Die Bibliographie insgesamt belegt die starke Fixierung auf den englischen und spanischen Sprachraum.
Im dritten Kapitel richtet sich der Blick insbesondere auf die demographischen Geschicke der Provinz (Growth, crisis, and recovery, 99-124). Ausgehend vom status quo der Forschung, in der stets - und niemals hinterfragt - von einer "demographischen Katastrophe" im Zuge der Pest gesprochen wird, weist Vargas durch eine statistische Auswertung des Quellenmaterials nach, dass alle 14 Konvente der Provinz die Katastrophe nicht nur überleben, sondern sich erstaunlich schnell personell konsolidieren konnten. Die angeführten Maximalzahlen, die von einer Gesamtpersonalstärke von 1100 Brüdern unmittelbar vor und von 500 Überlebenden nach der Pest ausgehen, sind zwar nicht über jeden Zweifel erhaben (insbesondere die Todeslisten fehlen), doch bleibt insgesamt gesehen die Anzahl der Brüder im gesamten betrachteten Zeitraum recht stabil. Von hoher Aussagekraft sind diejenigen Eintragungen, die die Wanderbewegungen der Brüder innerhalb der Provinz, d.h. die Versetzung von einem Konvent in den anderen, dokumentieren. Deutlich wird, dass von den 215 namentlich bekannten Überlebenden sehr viele bereits vor der Pest in Führungspositionen nachweisbar sind. Aussagen innerhalb der Forschung, die aus der Absenz von fähigem Führungspersonal resultierenden disziplinarischen Schwierigkeiten hätten zum Niedergang des Ordens geführt, wird damit der Boden entzogen.
Könnte es also sein, dass der beklagenswerte Zustand des Ordens mit dem ihn verschlingenden Natterngezücht tiefere strukturelle Ursachen hatte, er gleichsam in den ersten Institutionalisierungsschritten mit angelegt war?
Dieser Frage wird in den folgenden Kapiteln nachgegangen. Der Blick richtet sich dabei zunächst auf die Verfehlungen und Übertretungen, die auf den Provinzialkapiteln verhandelt wurden, vor allem Missbrauch des Wahlsystems, Regelbruch und ungebührliches Verhalten in der Öffentlichkeit (c. 4: Bad-boy friars and complicit leaders, 125-160). Die in den Konventen zu beobachtende Aufsplitterung der communitas in einzelne Untergruppen, die jeweils eigene Ziele (und Privilegierungen) verfolgten (c. 5: Friar-youths and troublesome others, 163-205) wird ebenso wie die Verschiebungen im Verhältnis von Oberen und Untergebenen (c. 6: Office and officials, 207-247) und die Neujustierung in der Verbindlichkeit der Gelübde (Challenged vows, 249-278) für den Großteil derjenigen Verfehlungen verantwortlich gemacht, die uns aus den Kapitelsakten so überaus plastisch entgegentreten.
Ausgesprochen instruktiv sind die Bemerkungen über die Rolle der Konventsprioren, deren Amt wohl eher Last denn Lust war. Die häufigen Wechsel an der Konventsspitze - die durchschnittliche Amtszeit belief sich auf drei Jahre - verdeutlichen, dass die Prioren ihren Aufgaben nicht gerecht wurden bzw. überhaupt nicht gerecht werden konnten. (Vermeintliches) Fehlverhalten wurde nicht nur im eigenen Konvent kritisch vermerkt und in Form eines tractatus dem Provinzkapitel jährlich zur Kenntnis gebracht, sondern auch vom Kapitel selbst dazu benutzt, sich unliebsamer Prioren zu entledigen.
Als "public relations specialists of their day" (279) reagierten die Vertreter der Ordensspitze und unternahmen alles, um das öffentliche Ansehen der Ordensprovinz und ihrer Mitglieder zu heben (c.8: In defense of corporate honor, 279-315).
Die vorliegende Arbeit hat das Diktum Heiko Obermans beherzigt, der seinen Kollegen einst folgendes einschärfte: "The historian must respect the plurality of phenomena and trends and withstand the temptation to present a coherent pattern." [2]
Äußere Faktoren für den Niedergang des Predigerordens im 14. Jahrhundert verantwortlich machen zu wollen, greift entschieden zu kurz. Hinter die im Gründungsjahrhundert erreichten Höhen fiel man ganz offensichtlich zurück. Die Pest und andere äußere Faktoren beschleunigten und verstärkten dabei aber nur eine Entwicklung, die anders sehr viel überzeugender erklärt werden kann: entscheidende Bedeutung kam dem Umgang der Brüder untereinander und ihrem Verhältnis zu den ordenseigenen Institutionen zu.
Vargas hat ein glänzend geschriebenes, ungemein anregendes Buch vorgelegt, dessen Schlussfolgerungen man vielleicht nicht immer uneingeschränkt folgen mag, das in jedem Fall aber dazu angetan ist, weitere Forschungen anzuregen und zu befruchten.
Anmerkungen:
[1] T. Vito (ed.): Actas de los Capίtulos Provinciales de la Provincia Dominicana de Aragón [...], Gómez Garcίa, in: Escritos del Vedat 27 (1997) 251-286; 31 (2001) 199-242; 32 (2002) 341-386; 33 (2003) 389-430; 34 (2004) 275-332; 35 (2005) 305-360.
Adolfo Robles Sierra (ed.): Actas de los Capίtulos Provinciales de la Provincia de Aragón de la Orden de Predicadores, in: Escritos del Vedat 24 (1994) 229-298; 25 (1995) 327-374; 26 (1996) 91-140.
[2] Heiko Oberman: Fourteenth-century religious thought. A premature profile, in: Speculum 53 (1978) 80-93, hier 93.
Ralf Lützelschwab