Michael C. Bienert / Uwe Schaper / Hermann Wentker (Hgg.): Hauptstadtanspruch und symbolische Politik. Die Bundespräsenz im geteilten Berlin 1949-1990 (= Zeitgeschichte im Fokus; Bd. 1), Berlin: BeBra Verlag 2012, 360 S., mit 80 s/w-Abb., ISBN 978-3-95410-100-9, EUR 24,95
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Tim Geiger / Jürgen Lillteicher / Hermann Wentker (Hgg.): Zwei plus Vier. Die internationale Gründungsgeschichte der Berliner Republik, Berlin / Boston: De Gruyter Oldenbourg 2021
Der vorliegende Sammelband, mit dem die Historische Kommission zu Berlin e.V., das Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, das Landesarchiv Berlin und die Stiftung Ernst-Reuter-Archiv ihre neue Buchreihe "Zeitgeschichte im Fokus" eröffnen, behandelt unterschiedliche Aspekte der Berlin-Frage im Kalten Krieg, angefangen vom politischen Ost-West-Verhältnis bis hin zu den Problemen des Alltags. Die Spaltung Deutschlands wirkte sich in der früheren Hauptstadt besonders stark aus. Dennoch sollte ihr diese Rolle nach - zunächst genereller - Überzeugung auch weiter zugewiesen sein. Die UdSSR scheiterte mit dem Bestreben, ihre Macht über die eigene Zone hinaus auf das ganze Land auszudehnen, konnte aber aufgrund der geographischen Verhältnisse dort die Herrschaftsorgane eines Teilstaates etablieren. Unter der Ägide der Westmächte entstand ein Staat im Westen; die Westsektoren Berlins wurden zur entfernten Exklave. Der Wunsch, der alten Hauptstadt die Hauptstadtrolle weiter zuzubilligen, war jedoch in der Bundesrepublik so stark, dass dies in symbolischen Akten - der Präsenz von Behörden und der gelegentlich dorthin verlegten Tätigkeit von Verfassungsorganen - zum Ausdruck gebracht wurde. Solange man im Kreml die deutsche Einheit propagierte, rief dies keinen Konflikt hervor. 1949/50, als die östliche Seite noch ihre politische Ordnung im ganzen Land durchzusetzen hoffte, drängte sie - wie der Antrag der KPD im Bundestag auf Verlegung der Regierung nach Berlin zeigt - sogar noch mehr in diese Richtung, denn je fester sich der Weststaat dort niederließ, desto stärker würde man ihn vom Umfeld aus beeinflussen können.
Die Lage änderte sich von Grund auf, als Chruschtschow 1958 von der Einheitspropaganda abrückte, die in der DDR unerwünschte Erwartungen geweckt hatte. Er stellte vor allem die Berlin-Präsenz der Westmächte in Frage, durch welche die Westsektoren seiner Macht entzogen wurden. Zu diesem Zweck beabsichtigte er, dem DDR-Regime die Kontrolle über die - sämtlich über ihr Gebiet führenden - Zugangswege zu übertragen, und verlangte kategorisch, die Bundesrepublik müsse alle ihre "rechtswidrigen" Aktivitäten in Berlin einstellen. Der Zugang war der wunde Punkt des Westens, denn nur wenn er gewährleistet war, konnten die Westmächte ihre Präsenz und die West-Berliner die nötigen Verbindungen zur Außenwelt aufrechterhalten. Zugleich war die Stadt auf die vielfache, vor allem auch finanzielle Hilfe der Bundesrepublik angewiesen. Chruschtschow suchte die Westmächte zur Aufgabe zu bewegen durch die Drohung, er werde die geforderten Veränderungen notfalls einseitig vornehmen. Dagegen könnten sie sich nur mit Krieg wehren, den zu riskieren aber unvernünftig wäre. Das war eine Fehlkalkulation. Als er dies im Oktober 1961 endgültig einsehen musste, setzte er seine Hoffnung stattdessen darauf, dass sich die Stadt wegen ihrer Strangulierung durch die Mauer langfristig nicht halten könne. Auch das erwies sich als Fehlkalkulation: Der Bedarf nach Leistungen aus Bonn stieg zwar bis auf 51% des städtischen Budgets, doch blieb der erwartete Zusammenbruch aus.
Nach dem Scheitern des Versuchs, die USA durch Raketen auf Kuba nachgiebig zu machen, wagte es die UdSSR nicht mehr, die Amerikaner direkt herauszufordern. Die Angriffe galten nun gezielt den West-Berliner Bindungen an die Bundesrepublik. Vor allem wenn wieder einmal westdeutsche Verfassungsorgane das Festhalten an der Hauptstadtrolle demonstrativ bekundeten, wurden Störungen an den Zugangswegen inszeniert. Als der Kreml 1969/70 Interesse am Einvernehmen sowohl mit den USA als auch der Bundesrepublik zeigte, drangen Nixon/Kissinger und Brandt/Scheel auf Verhandlungen zur Beendigung dieser Irritationen. Die UdSSR war schließlich zu einem vertraglichen Modus vivendi bereit, dem sich die DDR anschließen musste. Die Position der Westmächte und der Bundesrepublik einschließlich Zugangsbenutzung und Bundespräsenz wurde zwar nicht rechtlich bestätigt, aber faktisch festgeschrieben. Der Druck auf West-Berlin verringerte sich erheblich. Der Preis war der Verzicht auf die Tätigkeit westdeutscher Verfassungsorgane - in der Sicht Moskaus eine klare Bekundung des (vom Westen in Abrede gestellten) Bonner Anspruchs auf Regierungsgewalt in der Stadt. Als Inhaber der Besatzungsgewalt hatten die Westmächte sie zwar geduldet, aber stets - wie übrigens auch Adenauer - wegen fehlender Notwendigkeit mit Skepsis betrachtet.
Von den vielen erwähnenswerten Feststellungen in dem Sammelband können hier nur wenige genannt werden. Den Ausführungen Wolfgang Ribbes ist zu entnehmen, dass es der UdSSR 1948 beim Konflikt um die Währungseinheit in der Stadt eindeutig nur um die Machtfrage ging. Die Westmächte hätten der Einführung der Ostmark in ihren Sektoren zugestimmt, wenn die Kontrolle in die Hände der Vier-Mächte-Komendatura gelegt worden wäre. Die sowjetische Seite gab jedoch klar zu erkennen, dass sie allein die Entscheidung über die finanziellen, wirtschaftlichen und letztlich auch politischen Fragen beanspruchte. Werner Breunig zeigt, dass Ernst Reuter - im Gegensatz zur vorherrschenden Meinung, vor allem auch in Berlin und in der SPD - von Anfang an trotz allen praktischen Schwierigkeiten für eine möglichst enge Verknüpfung der Stadt mit dem westdeutschen Staat eintrat. Die Bundespräsenz war, wie Michael Bienert feststellt, in der Frühzeit im Verhältnis zu den Westmächten ein "heißes Eisen". Vor allem die französische Seite hatte die Sorge, ihre oberste Gewalt in der Stadt würde durch deutsche Befugnisse beschnitten werden. Dagegen hatten die Amerikaner viel Verständnis für die deutschen Wünsche, erkannten aber im Laufe der Zeit, dass man eine klare Grenze ziehen musste: auf westlicher Beauftragung beruhende Verwaltungsakte - ja, aber kein Handeln aufgrund originärer deutscher Befugnis. Das hätte die oberste Gewalt beschädigt, auf die sich die Westmächte als Basis ihres Rechts auf Präsenz in der Stadt beriefen. Das im Einzelnen auszutarieren, war für alle Beteiligten ein jahrelanger Lernprozess.
Frank Zschaler zeigt in seiner detaillierten Darstellung der finanziellen Hilfen aus Bonn für West-Berlin, dass die Stadt aufgrund ihrer Lage nur auf diese Weise überleben konnte. Nicht zufällig wurde die Bundesrepublik von den Westmächten ausdrücklich dazu verpflichtet, und in der NATO rechnete man ihr die entsprechenden Aufwendungen als Leistungen für die gemeinsame Verteidigung an. In Michael Lemkes Beitrag wird besonders gut deutlich, wie sich die Systemkonkurrenz in Berlin auf den Alltag der Bevölkerung auswirkte. Das SED-Regime konzentrierte - zum Nachteil und Ärger der anderen Gebiete - seine Anstrengungen und Mittel darauf, die "Hauptstadt der DDR" zum attraktiven Schaufenster zu machen, und bis zur Errichtung der Mauer hoffte es auch darauf, die Westsektoren auszustechen, vor allem im Bereich der Kultur.
Die Beiträge umreißen in thematisch ausgewogener Auswahl wesentliche Aspekte der politischen, administrativen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklungen Berlins im Zusammenhang mit dem Hauptstadtanspruch und der Bundespräsenz. Sie sind klar und verständlich formuliert und als Lektüre sowohl für Fachleute als auch ein breiteres Publikum zu empfehlen.
Gerhard Wettig