Daniela Hammer-Tugendhat: Das Sichtbare und das Unsichtbare. Zur holländischen Malerei des 17. Jahrhunderts, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2009, 337 S., ISBN 978-3-412-20446-4, EUR 44,90
Inhaltsverzeichnis dieses Buches
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Diese Rezension erscheint auch in KUNSTFORM.
Conny Dietrich / Hansdieter Erbsmehl: Klingers Nietzsche. Wandlungen eines Porträts 1902-1914. Ein Beitrag zur Kunstgeschichte des "neuen Weimar". Hrsg. v. Justus H. Ulbricht im Auftrag der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen, Jena: Glaux 2003
BA-CA Kunstforum (Hg.): Der Kuss der Sphinx. Symbolismus in Belgien. Mit Texten von Michel Draguet, Dominique Maréchal, Sabine Plakolm-Forsthuber, Ostfildern: Hatje Cantz 2007
Ernst van de Wetering / Bernhard Schnackenburg: Der junge Rembrandt. Rätsel um seine Anfänge, Wolfratshausen: Edition Minerva 2001
Es ist ein großer Gewinn und ein großes Vergnügen, dass Daniela Hammer-Tugendhat aus ihren zahlreichen, leider oft etwas abseits oder verborgen publizierten Veröffentlichungen zur niederländischen Kunst des 17. Jahrhunderts ein Buch geschmiedet hat, das, ausgehend von einer Reihe von Einzelstudien, nun nichts weniger beansprucht, als eine originelle und innovative Perspektive auf die Malerei des sogenannten "Goldenen Zeitalters" zu entwerfen. Ergänzt um einige weitere eindringliche und präzise Bildanalysen gehört ihr Text damit zu jener Gattung Publikationen über die niederländische Malerei, die den Charakter der Kunstproduktion jener Epoche mit einem explizit methodischen Anspruch vorstellen wollen - keine andere Kunstlandschaft in keiner anderen Epoche der Kunstgeschichte fordert dies offenbar so sehr heraus. Hammer-Tugendhat versteht ihre Studie ganz explizit als "Plädoyer für eine Kunstgeschichte als Kulturwissenschaft" (10). Ohne dass ein methodisch starres Gerüst installiert würde, deutet sich darin eine kontext- und diskursorientierte Perspektive an, die sehr entschieden die spezifischen Qualitäten des Bildlichen ernst zu nehmen gewillt ist. Dass dies nur exemplarisch in sorgfältig durchgeführten Einzelstudien zu leisten ist, versteht sich von selbst. Man wird "Das Sichtbare und das Unsichtbare" deshalb eher neben Alpers' "Kunst als Beschreibung" in das Bücherregal stellen als neben Überblickswerke, denen es um reine historische Bestandsaufnahmen geht.
Entlang der Dichotomie "Sichtbarmachen" - "Unsichtbarmachen" gliedert sich der Band in eine ebenso originelle wie vielfältige Lektüre der Geschlechterkonstruktion in einigen Gemälden Rembrandts einerseits und Analysen einer Reihe holländischer Genrebilder unter dem Aspekt der Konstruktion von Wirklichkeit.
Dass Rembrandts Frauen-Bilder einer anderen Konzeption folgen als diejenigen der meisten seiner Zeitgenossen, vor allem aber als diejenigen, die südlich der Alpen produziert wurden, ist immer wieder konstatiert, aber nie befriedigend erklärt worden. Hammer-Tugendhat liest die monumental ins Profil gesetzte "Bathseba" in Paris überzeugend als zwar gezielt sinnlich inszenierte Figur, die aber nicht die traditionelle Verfügbarkeit des weiblichen Körpers suggeriert, sondern die innere Tragik der Gestalt zum Ausdruck bringt. Neben "Bathseba" werden auch "Susanna im Bade" (in der Haager Fassung) und das ungewöhnliche Diana-Gemälde in Burg Anholt im Einklang mit älterer Forschung als Bilder über das Schauen vorgestellt, in denen sich durch die - mehr oder weniger - eindeutige Verschiebung der männlichen Beteiligten aus dem Bild vor das Bild eine intensive Reflexion über Geschlechterverhältnisse anstellen lässt. In besonders eindrücklicher Weise ist dies am Beispiel der Darstellungen der "Lucretia" abzulesen, denen Rembrandt eine Wendung außerhalb der traditionellen Ikonografie verleiht, die die ethische Dimension des Vorgangs aus einer weiblichen Perspektive ernster nimmt als je zuvor. Die breit angelegte Parallellektüre mit Shakespeares Lucretia-Gedicht mag ein wenig wie das Aufspüren eines schwer zu fassenden Zeitgeistes daherkommen; zumal Hammer-Tugendhat selber sehr zurecht die Unmöglichkeit einräumt, dass Rembrandt Shakespeare gelesen haben könnte. Jenseits dieser unmöglichen philologischen Abhängigkeit ergibt sich aber eine sehr wohl mögliche Lektüre, die dem Gemälde Aspekte abgewinnt, die anders verstellt geblieben wären.
Immer wieder sind kulturgeschichtliche Exkurse eingeschoben (so zur Historie der Niederlande allgemein, zur Querelle des Femmes etc.). Das verleiht dem Text, trotz aller damit einhergehenden, oft gefährlichen Verkürzungen und mancher Redundanz, grundlegenden Charakter. Präsenzen und Absenzen in der Porträtkultur etwa entlarven Bilder als Entwürfe idealer sozialer Realitäten. Nun mag diese Erkenntnis so neu nicht sein und die Abwesenheit von Frauen in den (Selbst-)Repräsentationen des holländischen Bürgertums, in Regentenbildern und den Kristallisationspunkten der politischen Ikonografie zu erklären sein aus dem grundsätzlich affirmativen Charakter des Mediums Malerei. Der Blick auf das Absente trägt jedoch besser dazu bei, die damit einhergehenden semantischen Verschiebungen aufzudecken. In Darstellungen sexueller Handlungen kommen diese Verschiebungen besonders zum Tragen.
Entsprechend dem von Samuel van Hoogstraeten formulierten Programm, einer Handreichung zur Wiedergabe der sichtbaren Welt eine zur Darstellung der unsichtbaren folgen zu lassen, schließen sich an den "Rembrandt"-Teil eine Reihe von Studien an, die belegen sollen, dass der mimesis-Begriff als Prinzip der Analyse für die niederländische malerische Praxis zu erheblichen Verkürzungen führen muss. Nur wenn man die Eigengesetzlichkeit des visuellen Mediums als solche anerkennt und berücksichtigt, dass jede Form bildlicher Darstellung erst einmal Konstruktion von Wirklichkeit ist - ganz unabhängig davon, welche Grade und Bezugssysteme der Repräsentation darin enthalten sind - ist ein umfassendes Verständnis der niederländischen Bildwelten und Denkbilder möglich. Dazu gehört auch auszuhalten, dass Bildsemantiken sich einer kunsthistorisch angestrebten sprachlichen Eindeutigkeit konsequent entziehen.
Die Struktur des "Bildes-im-Bild" in Vermeers "Wägerin" interpretiert Hammer-Tugendhat als die Kontrastierung der theologischen Vorstellung des Jüngsten Gerichtes als eines "Ereignisses" jenseits der Zeit mit einer aktuelleren, in der Anschaulichkeit sinnlich wahrnehmbar vorgeführten Konzeption von Gerechtigkeit und Urteil. Gerade die differenzierte malerische Behandlung als Indikator für stilistische Differenz entlarvt das an der Wand angebrachte Gerichtsbild als eine überholte Position. Über die Interpretation von Lektürebildern (vor allem von Metsu und Vermeer) und der Effektivierung von Affektdarstellungen über physiognomisches und gestisches Repertoire hinaus gelangt die Autorin schließlich bis zu einem differenziert ausgeführten Vorschlag zur Überwindung des dominanten Differenzdiskurses in allen methodischen Reflexionen zum Verhältnis von Sprache und Bild. Ludwig Jägers Modell der 'Transkription' in den Medien dient hier als fruchtbar gewendeter Ausgangspunkt.
Anders als viele diskurstheoretisch oder kulturgeschichtlich orientierte Ansätze hat Hammer-Tugendhat die konkrete Bildgestalt als nicht-substituierbare Form des Ausdrucks immer im Blick. Verlagstechnisch ist diesem Blick übrigens durch eine sehr gute Qualität der Farbabbildungen begegnet, wenngleich in einer eklatanten Diskrepanz der Abbildungsgrößen: Im Unterschied zu den 14 auf Farbtafeln abgebildeten Gemälden, die das Gerüst der Argumentationen bilden, übersteigen die in den Text eingestreuten Vergleichsabbildungen oft kaum Briefmarkengröße. Den sehr weiten Horizont der inspirierenden Bildanalysen vertieft außerdem ein Fußnotenapparat, der sich zu einer veritablen Bibliografie aktueller kunsthistorischer Niederlandeforschung jenseits von Bestandserfassung und -sicherung fügt - einige wenige Lücken lassen sich verschmerzen.
Grundtenor von Hammer-Tugendhats Buch ist die Feststellung der eminenten Modernität der Bildkonzepte in der niederländischen Malerei - seien es Rembrandts Weiblichkeitsentwürfe oder die metareflexiven malerischen Praktiken der Feinmaler in Leiden und Delft. Ob die Diskussion des Verhältnisses von Spiegelmetapher und Subjekttheorie, die den Bogen am Beispiel Frans van Mieris zwischen Platon und Lacan spannt, in dieser Weite nicht etwas diffus wirkt, sei dahingestellt. Erhellend sind die Ausführungen allemal, zumal sich der damit verbundene Kerngedanke einer semantischen Offenheit der infrage stehenden Malerei als Mittel der Subjektkonstitution auch an anderen Stellen der Forschung durchzusetzen beginnt. Hammer-Tugendhat hat ihren nicht geringen Beitrag dazu geleistet. Diese Sicht auf die Potentiale der niederländischen Malerei ist übrigens endlich auch im bürgerlichen deutschen Feuilleton angekommen, bezeichnenderweise anlässlich einer Vermeer-Ausstellung in Rom. [1]
Anmerkung:
[1] Dirk Schümer: Was ist das, Licht?, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung (06.10.2012), Nr. 233, 29.
Stefan Grohé