Nicole Kramer: Volksgenossinnen an der Heimatfront. Mobilisierung, Verhalten, Erinnerung (= Schriftenreihe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Bd. 82), Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011, 392 S., ISBN 978-3-525-36075-0, EUR 54,95
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Franka Maubach: Die Stellung halten. Kriegserfahrungen und Lebensgeschichten von Wehrmachthelferinnen, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2009, 349 S., 11 s/w-Abb., ISBN 978-3-525-36167-2, EUR 19,95
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Jutta Mühlenberg: Das SS-Helferinnenkorps. Ausbildung, Einsatz und Entnazifizierung der weiblichen Angehörigen der Waffen-SS 1942-1949, Hamburg: Hamburger Edition 2010, 576 S., 53 Abb., ISBN 978-3-86854-239-4, EUR 39,90
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Michael Wildt: Geschichte des Nationalsozialismus, Stuttgart: UTB 2008
Bernhard Gotto: Nationalsozialistische Kommunalpolitik. Administrative Normalität und Systemstabilisierung durch die Augsburger Stadtverwaltung 1933-1945, München: Oldenbourg 2006
Markus Fleischhauer: Der NS-Gau Thüringen 1939-1945. Eine Struktur- und Funktionsgeschichte, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2010
René Küpper: Karl Hermann Frank (1898-1946). Politische Biographie eines sudetendeutschen Nationalsozialisten, München: Oldenbourg 2010
Stefan Dąmbski: Egzekutor, Warszawa: Ośrodek KARTA 2010
Alojzy Twardecki: Die Schule der Janitscharen. Aus dem Polnischen übersetzt von Christoph Koch, Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2013
Heike Amos: Vertriebenenverbände im Fadenkreuz. Aktivitäten der DDR-Staatssicherheit 1949 bis 1989, München: Oldenbourg 2011
Christine Hikel / Nicole Kramer / Elisabeth Zellmer (Hgg.): Lieschen Müller wird politisch. Geschlecht, Staat und Partizipation im 20. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2008
Franka Maubach / Christina Morina (Hgg.): Das 20. Jahrhundert erzählen. Zeiterfahrung und Zeiterforschung im geteilten Deutschland, Göttingen: Wallstein 2016
Wie das Verhalten des weiblichen Teils der deutschen Bevölkerung unter der NS-Herrschaft einzuschätzen sei, ist eine Frage, die die historische Zunft erst über lange Zeit kaum interessierte und dann polarisierte. Der sogenannte Historikerinnenstreit der ausgehenden 1980er Jahre drehte sich um die Frage, ob die deutschen Frauen eher Täterinnen oder Opfer waren. Diese dichotome Perspektive war wenig gewinnbringend, so dass sich die wissenschaftlichen Publikationen nach dieser Debatte dieser Engführung weitgehend entzogen. Schritt für Schritt konnte seitdem das Wissen um unterschiedliche politische Einstellungen und Verhaltensweisen desjenigen weiblichen Teils der deutschen Bevölkerung erweitert werden, der weder aus rassistischen noch politischen Gründen aus der NS-Volksgemeinschaft ausgeschlossen wurde. [1]
In den letzten Jahren erhielt das Forschungsfeld mit einschlägigen Publikationen, die hier zu besprechen sind, neuen Auftrieb: Den Frauen an der Heimatfront widmet sich das 2011 erschienene Buch von Nicole Kramer, das auf ihre Dissertationsschrift an der LMU München zurückgeht. Die Studien von Franka Maubach und Jutta Mühlenberg fokussieren hingegen die Frauen an der Front bzw. im Einsatz für das NS-Regime. Maubach untersucht in ihrer bereits 2009 publizierten Arbeit, ebenfalls auf der Grundlage ihrer Dissertation (Universität Jena), die Erfahrungen der Helferinnen der Wehrmacht. Mühlenberg hingegen widmet sich dem SS-Helferinnenkorps. Auch diesem 2011 erschienenen Buch liegt eine Dissertationsschrift zugrunde, angenommen an der Universität der Bundeswehr Hamburg.
Die unterschiedlichen thematischen Schwerpunkte und methodischen Zugänge machen die drei anzuzeigenden Publikationen zu einer sehr fruchtbaren Gesamtlektüre, doch auch einzeln wissen die Studien zu überzeugen. Die breiteste Gruppe nimmt Nicole Kramer in den Blick: Alle Volksgenossinnen an der Heimatfront - so der Titel - interessieren die Autorin, wobei Mobilisierungsstrategien durch das Regime ebenso untersucht werden wie die erfahrungsgeschichtliche Dimension berücksichtigt wird. Kramer sieht das Ziel ihrer Studie darin, am Beispiel der Frauen die umfassenden Mobilisierungsanstrengungen in der Kriegsgesellschaft zu verdeutlichen. Dazu zeichnet sie im ersten empirischen Kapitel zunächst die Geschichte und das Tätigkeitsfeld der NS-Frauenorganisationen seit der Machtübertragung nach, um dann auf die Funktionen und Funktionalisierungen nach Beginn des Zweiten Weltkrieges zu sprechen zu kommen. In Abgrenzung zur älteren frauen- und geschlechtergeschichtlichen NS-Forschung, die vor allem den Zwangscharakter der Mobilisierung betont hatte, kann Kramer herausarbeiten, welche (teilweise gegenläufigen) Motivationen hinter dem weiblichen Engagement steckten. So rekonstruiert sie beispielsweise die Erfahrung des Ersten Weltkrieges als Wendepunkt in der politischen Biographie vieler engagierter Frauen, der sie zur nationalsozialistischen Bewegung gebracht habe (53). Die Teilnahme an NS-Frauenabenden ist wiederum weder ausschließlich mit der Kategorie der ideologischen Überzeugung noch derjenigen des Zwanges zu erklären. Vielmehr hatten die Teilnehmerinnen ganz unterschiedliche Interessen, darunter auch gesellschaftlichen Austausch und Freizeitvergnügen (68f.). Der "Hilfsdienst" der Nationalsozialistischen Frauenschaft und des Deutschen Frauenwerkes entwickelte sich nach 1939 zu einem wichtigen Baustein der Kriegsgesellschaft, dessen Beitrag für Front und Heimatfront nicht zu unterschätzen war.
Kapitel III widmet Kramer dem Engagement von Frauen im zivilen Luftschutz, da der Reichsluftschutzbund ihrer Einschätzung nach zu den zentralen Institutionen der Mobilisierung der "Volksgenossinnen" gehörte. Ein wichtiges Ergebnis der detaillierten Argumentation ist, dass "die Wehrhaftmachung der weiblichen Bevölkerung nicht nur auf der Ebene der Propaganda stattfand." (146). Kapitel V dreht die Perspektive um und untersucht Frauen als Opfer von Ausbombung und Evakuierung. Im vierten Kapitel nimmt die Autorin Frauen als Kriegshinterbliebene in den Blick, indem sie Benachrichtigungsstrategien beim Tod von Ehemann oder Sohn ebenso untersucht wie die vorgegebene und tatsächliche Semantik von Todesanzeigen und die Gestaltung der Todesfeiern. Die sozialstaatliche Komponente bildet den zweiten Kapitelschwerpunkt. Auch hier kann Kramer eindrücklich die Initiative von Frauen belegen, die sich der NS-Rhetorik bedienten, um ihre Versorgungsinteressen durchzusetzen. Das Buch schließt mit einem Kapitel zu der Narrativierung des weiblichen Einsatzes in der NS-Zeit nach 1945, womit der Bogen zur Erinnerungsgeschichte geschlagen wird, die von der Kriegswirklichkeit selbst deutlich abwich.
Wie Frauen selbst ihren Kriegseinsatz erinnerten und in ihre Lebensgeschichte einordneten, steht im Mittelpunkt von Franka Maubachs Arbeit. Ihr Untersuchungsinteresse gilt der Erfahrungsgeschichte der Helferinnen der Wehrmacht, also einer Gruppe von ca. 500.000 Frauen, die zumeist jung und ungebunden waren und in den Dienst der Wehrmacht traten. Durch ihren Einsatz konnten mehrere Hunderttausend Männer für den Dienst mit der Waffe freigestellt werden. Basis der Untersuchung sind hauptsächlich Ego-Dokumente in Form von Tagebüchern und Memoiren, maßgeblich aber lebensgeschichtliche Interviews mit ca. 40 Frauen, ergänzt durch behördliche Überlieferung. Drei Aspekte sind bei den Interviews und ihrer Verarbeitung positiv hervorzuheben: Erstens hat Maubach die Lebenserinnerungen der Wehrmachtshelferinnen für die Forschung "gerettet", da angesichts des fortgeschrittenen Alters der Beteiligten solch fundierte Interviews bald nicht mehr möglich sein werden. Zweitens hat sie ihre Sammlung dem Archiv für Biographie und Geschichte in Lüdenscheid übergeben, so dass die Materialien weiterhin für die Forschung zugänglich sind. Und drittens hat Maubach ihre Rolle als Interviewerin im Buch vorbildlich reflektiert.
Für die Darstellung wählt Maubach ein Phasenmodell, wobei sie sich erst mit Fragen nach Vorprägungen und Mobilisierungsgründen (Kapitel II), dann mit den Einsätzen selbst (Kapitel III) als dem Kern der Arbeit, und schließlich mit den Nachwirkungen (Kapitel IV) beschäftigt. Analog zu Nicole Kramers Befunden spielte für zahlreiche aktive Helferinnen der Erste Weltkrieg eine wichtige Rolle. Zudem unterstreicht Maubach die Bedeutung der Organisationen des BDM als Vergemeinschaftungsinstanz mit spielerisch-vormilitärischen Zügen sowie die Fortführung der Sozialisation im Reichsarbeitsdienst. Kameradschaftserfahrungen spielten in beiden Organisationen eine große Rolle. Des Weiteren versucht die Autorin, Motivationen, die aus familiär-persönlichen Konstellationen erwuchsen, zu klassifizieren: "Vaterdefizienz" (46), also das Versagen der Väter in Führungsrollen aufgrund der Arbeitslosigkeit in den 1920er Jahren, sei eine verbindende Erfahrung vieler junger Frauen gewesen, die später in den Einsatz zogen. Hierbei ist ein untergeordneter Kritikpunkt an der insgesamt gut lesbaren Studie zu formulieren: Die Wortneuschöpfungen oder Wortneukombinationen Maubachs. Hinter ihnen verbirgt sich sicherlich der Versuch, sich etablierten (Denk-)Kategorien über (weibliches) Verhalten im Nationalsozialismus zu entziehen, doch in der Ausführung überzeugt es nicht immer.
Im Kapitel über die Einsätze selbst kann Maubach das touristische Interesse der jungen Frauen - vor allem an Paris -, sowie die Abenteuerlust herausarbeiten. In den besetzten Territorien im Osten oszillierte das Verhalten der Helferinnen zwischen dem Auskosten rassistischer Überlegenheitsgefühle - was Ergebnisse von Elizabeth Harveys Studie bestätigt [2] - und dem Unbehagen an der Umwälzung traditioneller Geschlechter- und Sozialordnungen durch das rassistische Regime. Kulturhistorisch von besonderem Interesse ist die Sündenbockfunktion der Wehrmachtshelferinnen. Je prekärer die militärische Lage wurde, desto brüchiger ihr Ansehen. Als "Helferin-Hure" (233) stigmatisierten weite Teile der Gesellschaft die Frauen gegen Kriegsende. Maubach geht erfreulicherweise über die Zäsur des Kriegsendes hinaus und fragt in einem weiteren Kapitel nach den Nachwirkungen des Einsatzes auf das Selbstverständnis der Frauen, auf die Gestaltung von Partnerschaft und Erwerbsleben - ein wichtiger Blick auf (Dis-)Kontinuitäten. Ob dabei ihre These einer Verbindung zwischen Selbstermächtigungsprojekt der Helferinnengeneration und dessen Quasi-Fortführung durch die Frauenbewegung der 1960er und 1970er Jahre trägt, müssen künftige Forschungen zeigen.
Jutta Mühlenberg untersucht die zahlenmäßig kleinste Gruppe: Die Angehörigen des SS-Helferinnenkorps der Waffen-SS, wovon es nach ihren Berechnungen mindestens 2.375 gegeben hat (29). Ihre Studie ist aber weniger eine Erfahrungsgeschichte, sondern sie strebt eine "Organisationsgeschichte des SS-Helferinnenkorps" (15) an. Doch auch Mühlenberg versucht, sich auf Grundlage der bestehenden Willensäußerungen von Frauen im Rahmen administrativer Vorgänge an ihre Motivationen anzunähern.
Das SS-Helferinnenkorps wurde 1942 gegründet - zu einem Zeitpunkt, als der Personalbedarf im Nachrichtenwesen sehr hoch war und die Waffen-SS ihre Feldverbände vergrößern wollte. Die Ausbildung erfolgte auf der Reichsschule-SS in Oberehnheim. Die Frauen wurden nach Abschluss durch Gelöbnis Mitglied der Waffen-SS und der Sippengemeinschaft der SS und kamen schließlich auf unterschiedlichen Dienststellen zum Einsatz. Mühlenberg geht in zwei großen Kapiteln der Frage nach, wie die Frauen zur Waffen-SS kamen, und welche Frauen es waren. Häufig gab es eine Nähe zur SS im persönlichen Umfeld: Väter, Brüder oder Verlobte waren Mitglieder, oder die Frauen waren bereits als Ehefrau in die SS-Sippengemeinschaft aufgenommen worden. Andere kamen über den BDM oder die NS-Frauenschaft zur Bewerbung. Mühlenberg arbeitet die Zusammenarbeit zwischen BDM und SS heraus, was der verbreiteten Ansicht des vorgeblich unpolitischen BDM widerspricht (110): Aus den Reihen der Mädchenorganisation seien mehrere Hundert Mädchen für das SS-Helferinnenkorps ausgewählt worden. Schließlich gab es auch Bewerbungen ohne institutionelle und familiäre Bindung, motiviert von Karrierestreben oder Abenteuerlust. Um den soziokulturellen Hintergrund der Frauen zu beschreiben, geht die Autorin kollektivbiographisch vor. Auf Grundlage diverser Personalakten und zugehöriger Splitterüberlieferung erstellte Mühlenberg eine personenbezogene Datenbank, die statistische Rückschlüsse zulässt. Dies bildet eine Stärke und zugleich eine Schwäche der Darstellung. Auf der einen Seite liefert die Autorin damit valide Informationen und kann beispielsweise die überwiegend städtische Herkunft der Frauen (131) oder die formal eher geringe Bildung in der Volksschule (135) belegen. Auf der anderen Seite verliert sie sich in einer sehr kleinteiligen (prozentualen) Argumentation, die manchmal etwas ermüdet. Insgesamt ist die knapp 600-Seiten dicke Studie zu detailliert, eine etwas knappere Darstellung hätte der Stringenz nicht geschadet.
Weitere Kapitel widmen sich dem Aufbau der Reichsschule - durch Häftlinge aus dem KZ Natzweiler - sowie dem Lehrcurriculum, der Uniformierung, den Konfliktfeldern in der Ausbildung sowie dem Einsatz der SS-Helferinnen. Über siebzig Frauen waren an zentraler Stelle in den besetzten Gebieten tätig, auf den Dienststellen der Befehlshaber der Sicherheitspolizei (276), weitere Hunderte in anderen Positionen im besetzten Europa. Ihre Mitwisserschaft könne nur von ihrem Tätigkeitsfeld, der Nachrichtenübermittlung, abgeleitet werden. Ego-Dokumente oder Aussagen vor Gericht fehlen (285).
Auch Mühlenberg geht über das Kriegsende hinaus und untersucht noch detaillierter als die anderen beiden Autorinnen, was mit den Frauen nach 1945 geschah. Zwar hofften auch die SS-Helferinnen, als Frauen generell als unschuldig wahrgenommen zu werden, doch ging diese Rechnung im Fall der US-amerikanischen Besatzungsbehörden nicht auf. Knapp 170 ehemalige SS-Helferinnen waren beispielsweise in einem Frauenlager in Ludwigsburg interniert. Eine einheitliche Regelung, wie das SS-Helferinnenkorps einzuschätzen und die weiblichen Angehörigen zu verurteilen seien, gab es aber nicht. Die Spruchkammern urteilten unterschiedlich. Fundiert zeichnet Mühlenberg die Entlastungsstrategien nach, zu denen Zwang und Geschlechterstereotype gehörten. Interessant ist ihr Befund, "dass das Spruchkammerpersonal in seinen Begründungen Geschlechterstereotype nur dann aufgriff, wenn solche Strategien von Frauen bedient wurden." (401)
Die Gesamtschau auf die Publikationen eröffnet fruchtbare Perspektiven, kristallisieren sich doch ähnliche Beweggründe des Engagements heraus, aber auch ähnliche methodische Probleme, Mitwisserschaft und Mittäterschaft zu konzeptionalisieren. Alle drei Studien sind, ungeachtet kleinerer Kritikpunkte, als wichtige Beiträge zur NS-Forschung einzuordnen - nicht nur für den frauen- oder geschlechtergeschichtlichen Zweig. Vielmehr geht es um Fremd- und Selbstmobilisierung im Nationalsozialismus, verdeutlicht am Beispiel (eines Teiles) der zur "Volksgemeinschaft" gehörigen weiblichen Bevölkerung. Es ist zu hoffen, dass auch diese Ergebnisse in eine zunehmend geschlechterintegriert arbeitende NS-Forschung Eingang finden.
Anmerkungen:
[1] An dieser Stelle sei lediglich verwiesen auf Sybille Steinbacher: Einleitung. In: Volksgenossinnen: Frauen in der NS-Volksgemeinschaft, hg. von Sybille Steinbacher: 9-26. Beiträge zur Geschichte des Nationalsozialismus, Bd. 23, Göttingen 2007.
[2] Vgl. Elizabeth Harvey: Women and the Nazi East. Agents and Witnesses of Germanization, New Haven 2003. Seit 2009 liegt das Buch auch in deutscher Übersetzung vor.
Maren Röger