Ursula Prutsch: Iberische Diktaturen. Portugal unter Salazar, Spanien unter Franco, Innsbruck: StudienVerlag 2012, 234 S., ISBN 978-3-7065-5112-0, EUR 29,90
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Die in Graz und Wien ausgebildete, jetzt am Amerika-Institut der LMU München US-amerikanische und lateinamerikanische Geschichte lehrende Verfasserin legt mit diesem Band ein kompakt und kenntnisreich geschriebenes Übersichtswerk vor, das sich, ganz im Sinne des Verlagsnamens, an ein Publikum an höheren Schulen und Hochschulen sowie gebildete Allgemeininteressenten wendet. Die Publikation trägt damit einer allgemeinen Entwicklung Rechnung, die sich beispielsweise darin äußert, dass an den meisten größeren Universitäten inzwischen die Zahl der Hispanistik-Studierenden weit höher liegt als die der Französisch-Studierenden, ja, selbst die Lusitanistik erheblich an Zulauf gewonnen hat, so dass für Übersichtsdarstellungen dieser Art eine rasch angewachsene Nachfrage besteht.
Zu Recht verweist die Verfasserin in ihrem 2011 gezeichneten kurzen Vorwort auf die Aktualität der Thematik, die enorme internationale Literaturflut dazu und auf die bis in die Gegenwart reichenden Diskussionen über den Umgang mit dem Salazar- bzw. Franco-Regime in Portugal und Spanien.
Diese sehr zutreffenden Vorbemerkungen wurden inzwischen angesichts teils gewalttätiger Demonstrationen in den Staaten des europäischen Südens im Zeichen der Eurokrise bestätigt, die hier und da schon wieder zu Beschwörungen einer Faschismusgefahr führten. In Spanien ist das Erbe des Franco-Regimes etwa insofern noch spürbar, als 2012 die Königliche Akademie der Geschichte in Madrid ein von ihr publiziertes vielbändiges Geschichtslexikon teilweise zurückziehen musste, nachdem publik wurde, dass ein großer Teil der Artikel zu den politischen Akteuren aus der Franco-Zeit von Historikern verfasst worden war, die während der Franco-Zeit ihre wissenschaftliche Karriere gemacht hatten. Dessen ungeachtet gliedert die Verfasserin ihr Werk, dem Obertitel entsprechend, als zwei in sich abgeschlossene Fallbeispiele.
Der zeitlichen Abfolge entsprechend ist ein erster, knapp 100 Seiten umfassender Teil der "Diktatur in Portugal" gewidmet, der in 13 Abschnitten, zum Teil wohl aus didaktischen Gründen unter Aufnahme von in Anführungszeichen gesetzten zeitgenössischen Schlüsselbegriffen betitelt, zentrale Aspekte des Regimes von António Oliveira Salazar behandelt, welcher von Juli 1932 bis September 1968 regierte. Thematisiert werden ferner die sechs Jahre dauernde Phase der Agonie des Systems unter Marcelo Caetano bis zur Nelkenrevolution von 1974 sowie die anschließende Übergangsphase zur Demokratie. Von der Vorgeschichte mit ihren ökonomischen Krisen und politischen Turbulenzen über das politische System des Estado Novo und den ihn prägenden Korporativismus, die Massenorganisation der Legião Portuguesa, die Jugendorganisation des Systems (Mocidade Portuguesa) über die "neue Frau" mit Fragen der Gender- und Familienpolitik sowie die ideologischen Säulen Katholizismus, Agrarromantizismus und Nationalismus in einem Kolonialreich spannt die Verfasserin einen weiten Bogen. Weitere Themenfelder sind der "Repressionsapparat des Estado Novo", das Verhältnis zu den "Juden, Widerstand und Exil", das "lange Ende einer Kolonialmacht", das "Erbe der Nelkenrevolution" und "Aufarbeitungsprozesse: Zwischen Revisionismus und Totalitarismusdiskurs".
Anschließend folgt, annähernd in gleicher Länge und bezüglich Form und Inhalt ähnlich gegliedert wie der Portugal betreffende Teil, "Spanien unter Franco", beginnend mit zwei längeren Abschnitten zur Vorgeschichte ("Ein polarisiertes Land - Spanien bis zum Beginn des Bürgerkriegs" und "Bürgerkrieg" überschrieben). Entsprechend wird auch gegen Ende dieses Abschnitts etwas ausführlicher auf "Die letzten Jahre des Regimes - Zwischen Öffnung und Repression" und das Thema "Der verhandelte Umbruch - ein 'Pakt des Schweigens'?" eingegangen, bevor abschließend auch hier auf rund acht Seiten die "Prozesse der Vergangenheitsbewältigung und Demokratisierung" vorgestellt werden.
Ein zumindest dem Anspruch nach vergleichend angelegtes Resümee, eine recht umfangreiche, die Internationalität der Historiographie widerspiegelnde Bibliographie und ein unkommentiertes Personenregister beschließen einen Band, der seiner Methodik nach zwischen politikwissenschaftlicher Systematik und historisch erläuternder Erzählung konzipiert ist. Wie einleitend betont, ist die Verfasserin mit den Forschungsproblemen gut vertraut, vermeidet aber aufgrund der didaktischen Orientierung weitgehend Forschungskontroversen, soweit sie nicht in den Untertiteln mit Schlagworten ausgedrückt werden und dann erzählend vorgestellt werden können.
Obwohl der Band zweifellos didaktisch, inhaltlich und gut lesbar daher kommt, sind für den Historiker vor allem zwei Dinge kritisch zu sehen, nämlich das weitgehende Fehlen von Außenpolitik, die allenfalls beiläufig und mehr implizit angesprochen wird, und die deutlich erkennbare Intention, das Portugal Salazars und das Spanien Francos als zwei abgeschlossene Fallstudien zum Thema Diktatur vorzustellen. Warum "iberische Diktaturen", wenn im gleichen "kurzen 20. Jahrhundert" vergleichbare Diktaturen auch in Italien und Griechenland existierten, von Deutschland ganz zu schweigen? Italien trug ebenso wie das Deutsche Reich entscheidend zur Entstehung des Franco-Regimes bei, und zwischen der griechischen und der spanischen Monarchie bestanden gar enge dynastische Verbindungen. Die "iberischen Diktaturen" überlebten nicht zuletzt aus außenpolitischen Gründen den Zweiten Weltkrieg, da sie von den Alliierten im Zeichen des heraufziehenden Ost-West-Konflikts aus strategischen Gründen verschont wurden. Die portugiesischen Inselgruppen im Atlantik, mitsamt den west- und ostafrikanischen Kolonien, und die spanischen Kanareninseln mitsamt den amerikanischen Militärstützpunkten auf dem spanischen Festland waren unverzichtbar für die USA zur großräumigen Eindämmung der sowjetischen Expansion in einem Zeitalter, in dem transatlantische Militärtransporte ohne dazwischen liegende Landstützpunkte auf dem Luft- und Seeweg allenfalls mit enormem logistischen und zeitlichen Aufwand zu bewältigen waren. Die konservativ-katholisch orientierten Diktaturen als Verbündete auf der iberischen Halbinsel erlaubten es, den Mittelmeerraum und Afrika strategisch zu sichern.
Die Integration der "Bewältigungsprozesse" nach dem Fall beider Diktaturen in deren Gesamtdarstellung mag es der Verfasserin aus einer eher systematisch-politikwissenschaftlichen Perspektive ersparen, deren bedeutende innenpolitische Rolle bis in die Gegenwart gesondert darzustellen. Aus historischer Sicht ist dies nicht zu befürworten - schon deshalb nicht, weil wesentliche Stützen der Diktatur Francos wie der Korporatismus oder das Opus Dei auch andernorts in Europa und in Lateinamerika eine wichtige Rolle spielten oder gar weiter expandierten. Da zudem die iberischen Diktaturen auch für die deutsche Nachkriegsära eine gewisse Rolle spielten [1] und deutsche Parteistiftungen in den Transitionsprozessen auf der iberischen Halbinsel von Bedeutung waren, wäre es angezeigt gewesen, diese Passagen mit den zeitlich und räumlich weiteren Kontexten zu einem etwas umfangreicheren resümierenden Teil zusammenzufassen. Der direkte Vergleich beider Systeme fällt auf vier Seiten relativ unergiebig aus. Dessen ungeachtet ist das Buch sowohl für den Unterricht an höheren Schulen und Universitäten als auch zur Information des nicht fachkundigen, gebildeten Laien uneingeschränkt zu empfehlen.
Anmerkung:
[1] Vgl. z. B. Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, 2. Aufl. München 1997.
Horst Pietschmann