Norbert Campagna: Staatsverständnisse im spanischen 'siglo de oro' (= Staatsverständnisse; Bd. 52), Baden-Baden: NOMOS 2013, 246 S., ISBN 978-3-8329-7882-2, EUR 29,00
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Norbert Campagna, der Verfasser des anzuzeigenden Bandes, als professeur-associé an der Universität Luxemburg, Studienrat in Esch und Autor von 23 Büchern vorgestellt, die Denker von Machiavelli bis Carl Schmitt und Themen von 'Souveränität' bis 'Staatsraison' behandeln, kündigt sich als didaktisch erfahrener Systematiker, nicht aber als schwerpunktmäßig im spanischen 'Goldenen Zeitalter' breit forschender Wissenschaftler an. In einem knappen Vorwort begründet er denn auch recht lakonisch seine Motivation zur Beschäftigung mit der Thematik wie folgt: "[Weil] das politische Denken im Spanien des 16. und 17. Jahrhunderts mich interessiert, dann weil ich dort jene Fragen behandelt finde, die mich seit Jahren interessieren, allen voran die Frage nach dem Verhältnis zwischen Politik und Moral". (9) Die Ursache dafür, dass aus dem Band kein "Kollektivband" wurde, resultiere daraus, dass er "die Epoche und die in ihr über das Politische nachdenkenden Autoren derart spannend fand", dass er sich "mit den meisten selbst auseinandersetzen wollte" (10). Diese Auseinandersetzung gliedert Campagna in 15 Seiten Einleitung und 5 je +/- 30 Seiten umfassende Kapitel, bevor ein zwölfseitiges Literaturverzeichnisses den Band beschließt. Dieses ist eher nach didaktischen, keineswegs nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten gegliedert.
Die den historischen Kontext vorstellende Einleitung behandelt in einem ersten Teil die betrachtete Zeitspanne mit knapper Charakteristik ihrer einzelnen Phasen und die ihr vom Verfasser zugeordneten Autoren, bevor im zweiten Teil die Trennung von Theologie und Philosophie unter dem Aspekt fachspezifischer Gesichtspunkte skizziert und daran anschließend der thematische Zuschnitt der einzelnen Kapitel begründet wird. Zentral ist für Campagna dabei die Verwurzelung des politischen Denkens im christlichen Glauben und die daraus folgende Entfaltung des Denkens zwischen Theologie und Philosophie auf dem Weg vom spätmittelalterlichen Standesdenken in die vom Absolutismus geprägte Moderne, ohne freilich das nicht spannungsfreie Verhältnis von Staat und Kirche zu beleuchten. Von den spanischen Gesamtdarstellungen zum Thema benutzt der Autor vorwiegend ältere Arbeiten aus den 1960er und 1970er Jahren sowie neuere speziellere Werke zu einzelnen Autoren und Themengruppen. Die umfangreiche neuere spanische und internationale historische Literatur, die das Spanien der Frühen Neuzeit seit nahezu zwei Jahrzehnten als "Imperium" oder als "zusammengesetzte Monarchie" begreift, zieht er nicht heran. [1]
Diese eher vordergründigen Anmerkungen müssen der inhaltlichen Vorstellung des Werkes vorangestellt werden, weil sich Campagna damit als Verfechter eines veralteten Konzeptes von "Spanien" zu erkennen gibt, das Kastilien als größtes Teilkönigreich der frühneuzeitlichen spanischen Monarchie mit dem heutigen Staat Spanien identifiziert. Das mindert nicht a priori seine Interpretation, erfordert aber den Hinweis, dass das verbindende Element seiner Darstellung letztlich der Katholizismus, bzw. katholische Staatlichkeit, aus einer vorwiegend zentralen Perspektive ist. Dabei wird nicht in Rechnung gestellt, dass das diesbezügliche Denken aus den spezifischen politischen Gegebenheiten der von Rom über Neapel, die Niederlande, die Iberische Halbinsel und Amerika bis zu den Philippinen reichenden Monarchie resultierte. In diesem Herrschaftsgebilde war "Spanien" nicht nur ein äußerst umstrittener, sondern ein politischer Begriff: Theologisches Denken entsprang stets aus einem latenten Spannungsverhältnis von Zentrum und Peripherie und von Staat und katholischer Kirche.
In Kapitel 1 setzt Campagna sich mit Alonso de Castrillo, einem Mönch des Trinitarierordens und seiner 1521 erschienen Schrift "Tractado de republica" auseinander. Er bezeichnet ihn als ersten modernen spanischen Autor, der sein Werk vor dem Hintergrund der Comunidades de Castilla (1519 - 1521) gegen Karl V. publizierte. In Kenntnis zahlreicher anderer zeitgenössischer Bewertungen und der in ihr begegnenden radikalen volksdemokratischen Postulate analysiert Campagna den Traktat vor allem wegen dessen Bestreben, eine vermittelnde Position zwischen Herrscher und Beherrschten einzunehmen und sucht diese Sichtweise durchgehend durchzuhalten. Da sich die Bewegung in eine ganze Reihe vergleichbarer Erhebungen in den Niederlanden und in Italien bis hin zum deutschen Bauernkrieg einordnen lässt, vermag der Verfasser mit seinem breiten Hintergrundwissen ungeachtet eher dürftiger Kenntnisse historischer Zusammenhänge und Hintergründe überzeugend die inhaltliche Analyse der im Zentrum des Kapitels stehenden Schrift vorzunehmen.
Das 2. Kapitel ist der Armutsfrage im spanischen Staatsdenken des 16. Jahrhunderts gewidmet. Von dem Humanisten Juan Luis Vives über den zum Dominikanerorden gehörenden Spätscholastiker Domingo de Soto und seiner Kontroverse mit Juan de Robles bis hin zu anderen Autoren aus späterer Zeit verfolgt Campagna die Frage, ob Betteln erlaubt oder verboten sein solle und skizziert die zu diesem aus der christlichen "caritas" resultierenden Problemkomplex vorgetragenen Lösungsvorschläge. Die Debatte spitzte sich angesichts dramatischer Preissteigerungen, verschärfter staatlicher Besteuerung und hoher Kreditaufnahmen sowie amerikanischer Edelmetallzuflüsse und im Gefolge der Staatspleiten Philipps II. zu. Diese Phänomene finden jedoch nur in einem kurzen Abschnitt zum spanischen Wirtschaftsdenken der Epoche Beachtung - übrigens ohne aktuelle Literaturbezüge. [2] Das ist misslich, weil sich gerade hier Aktualitätsbezüge etwa zur jüngsten europäischen Finanzkrise am Beispiel der spanischen Monarchie besonders aufdrängen. Zugleich übersieht Campagna, dass die Zuständigkeit für die Armenfürsorge in jener Epoche zwischen Staat und Kirche heftig umstrittenen war und zahlreiche Autoren jeweils Stellungnahmen für und wider beide Seiten veröffentlichten.
In Kapitel 3 behandelt der Verfasser die Thematiken Staat, Theologie und Religion, wobei er in seinen einleitenden Bemerkungen von dem in Oxford lehrenden Juristen Alberico Gentili und seinem 1612 erschienen Werk De iure belli libro tres ausgeht. Er war bemüht, die Zuständigkeitsbereiche der Theologen abzugrenzen. Von dieser Abgrenzung in einem Text, der sich u.a. mit dem für Theologen zentralen Fragen des gerechten Krieges befasst, blendet Campagna zunächst auf bedeutende spanische Denker des 16. Jahrhunderts zurück, die sich mit der Frage des gerechten Krieges befasst hatten, um von einem Bezug auf Carl Schmitt zu den protestantischen Juristen des 17. Jahrhunderts überzuleiten, die, wie Hugo Grotius, die Sezession der Niederlande von der spanischen Krone zu rechtfertigen versuchten. Von den Kriegsgründen über die Frage von deren Gerechtigkeit spannt er dabei den Bogen zur Rolle der Theologen, in dem er zunächst die miteinander vermischten und sich nach und nach voneinander trennenden Sphären der christlichen Heilslehre, des positiven Rechts und zunehmend des politischen Denkens skizziert. Dem schließt sich eine Betrachtung über die politische Funktion der Religion und die Wahrheit an, gefolgt von der Untersuchung zur Problematik Staat und Religion und schließlich zu politischer und religiöser Macht.
Nach diesen als Hinführung dienenden Kapiteln wendet sich der Verfasser den ihn vor allem interessierenden Themenkomplexen zu. Nach einer einleitenden Erörterung der Frage der Souveränität blickt er in vier weiteren Abschnitten auf das Denken über die absolute Monarchie, die begrenzte Monarchie, die Universalmonarchie und den Souverän über die gesamte Welt sowie auf die Frage von Widerstand und Tyrannenmord, die vor allem bei den monarchomachisch gesonnenen Denkern des späten 16. Jahrhunderts aus dem Jesuitenorden erörtert wurden. Dem stellt er in Kapitel 5 zunächst die Kritik an Machiavelli und den so genannten políticos gegenüber, Autoren, die sich mit den Problemen der Monarchie befassen. Die folgenden Abschnitte definieren verschiedene Formen von Staatsräson. Den Abschluss bildet ein Abschnitt über den spanischen Tacitismus, die vielleicht breiteste mit Justus Lipsius in den Niederlanden verbundene Strömung des spanischen Geisteslebens im ausgehenden 16. Jahrhundert, die bereits zu dem Problem des Niederganges der Monarchie überleitete.
Als empirisch arbeitender, mit der frühneuzeitlichen spanischen Monarchie befasster Historiker erkennt der Rezensent an, dass Campagna seine Texte gut kennt. Ihre Kontexte aber beachtet er nicht und ordnet sie nach diskussionswürdigen Kategorien an. Die spanische Monarchie als europäische Hegemonialmacht erlebte im 16. und der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts auch im Geistesleben eine stürmische Entwicklung mit der Neugründung zahlreicher Universitäten, der Verbreitung des Buchdruckes bis nach Amerika und einer Fülle von Buchpublikationen zu all den behandelten Themen. Campagna wählte freilich vornehmlich Autoren aus dem Umkreis des Hofes in Kastilien und zentraler kirchlicher Institutionen. Viele von ihnen gehören zweifellos behandelt, bei anderen fragt sich der Leser, warum dieser und nicht jener Autor. Bezüglich der Verortung in den Zusammenhang der europäischen Ideengeschichte fragt sich verschiedentlich, wer wen beeinflusste und wer wo mit welchen Widmungen und der Erlaubnis welcher Zensurbehörden druckte. Campagna ist zuzustimmen, wenn er einleitend auf den Reichtum des philosophisch-theologischen und politischen Denkens jener Epoche auf der Iberischen Halbinsel verweist. Dem dürftig lektorierten Buch ist auf Grund seiner didaktischen Kompetenz zu wünschen, studentische und andere interessierte Leser zu vertieften Studien der Thematik zu motivieren.
Anmerkungen:
[1] Beispielsweise fehlt ein zentrales Buch wie Enrique García Hernán: Políticos de la Monarquía Hispánica (1469 - 1700). Ensayo y Diccionario, Madrid 2002.
[2] Vgl. z.B. Enrique Fuentes Quintana (ed.): Economía y economistas españoles. 2 Bände, Barcelona 1999.
Horst Pietschmann