Kim Christian Priemel (Hg.): Transit / Transfer. Politik und Praxis der Einwanderung in die DDR 1945-1990, Berlin: BeBra Verlag 2011, 304 S., ISBN 978-3-937233-87-1, EUR 24,95
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Dierk Hoffmann: Otto Grotewohl (1894-1964). Eine politische Biographie, München: Oldenbourg 2009
Udo Grashoff: Schwarzwohnen. Die Unterwanderung der staatlichen Wohnraumlenkung in der DDR, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2011
Jochen Staadt (Hg.): "Die Eroberung der Kultur beginnt!". Die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten der DDR (1951-1953) und die Kulturpolitik der SED, Frankfurt a.M. [u.a.]: Peter Lang 2011
Claudia Dittmar: Feindliches Fernsehen. Das DDR-Fernsehen und seine Strategie im Umgang mit dem westdeutschen Fernsehen, Bielefeld: transcript 2010
Michael Meyen / Anke Fiedler: Wer jung ist, liest die Junge Welt. Die Geschichte der auflagenstärksten DDR-Zeitung, Berlin: Ch. Links Verlag 2013
Der hier zu besprechende Band gehört zu den Publikationen des Instituts für angewandte Geschichte in Frankfurt an der Oder und demonstriert exemplarisch die verdienstvolle Arbeit dieser noch jungen Institution. Der Herausgeber und die Autorinnen und Autoren gehen in diesem Sammelband der Frage nach, wie bzw. unter welchen politischen und alltäglichen Umständen in der DDR - die angesichts der permanenten Ausreisebewegung unter keinen Umständen als Einwanderungsgesellschaft bezeichnet werden kann - Migranten unterschiedlichster nationaler und sozialer Herkunft Aufnahme fanden. Darüber hinaus wird vom Herausgeber der Anspruch erhoben, dass dieses Wissen um Aufnahmewege und Aufnahmepraxis von Migranten grundsätzlichen Aufschluss über die gesellschaftliche Wirklichkeit im SED-Staat liefern kann. Die Beiträge stammen mehrheitlich von Absolventen der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt an der Oder und werden durch zwei externe, thematisch kompatible Gastbeiträge ergänzt.
Das Buch gliedert sich in drei Abschnitte. Im ersten Teil finden sich Beiträge, welche sich mit der vom Herausgeber als privilegiert qualifizierten Migration in der SBZ/DDR beschäftigen. Gemeint sind damit Re-Migranten nach dem Ende der NS-Diktatur und politische Flüchtlinge aus anti-kommunistischen Diktaturen, die während des Kalten Krieges im SED-Staat Aufnahme fanden. Auf der Basis eines sozialhistorischen und somit nicht-ethnischen Verständnisses von Migration wurden in diesem Abschnitt auch Beiträge über deutsche Vertriebene und Spät-Aussiedler aus Polen integriert. Der zweite Abschnitt liefert verschiedenste Darstellungen zu Arbeitsmigranten in Ostdeutschland während der SED-Herrschaft. Dabei reicht die Spannweite von einer erneuten Betrachtung der Anwerbeabkommen über Beiträge zur Arbeits- und Wohnsituation der sogenannten Vertragsarbeiter bis hin zu einem Artikel zur Erfassung von Ausländerkriminalität in der DDR. Im letzten und dritten Abschnitt des Buches werden je ein Beitrag über die Darstellung von in Ostdeutschland lebenden Ausländern in der überregionalen Tagespresse des SED-Staates und ein Forschungsüberblick zur Migration in die DDR geboten.
Für die Leserinnen und Leser wird in diesem Buch ein vielschichtiges und spannungsreiches Bild des Migrationsregimes in der DDR vorgestellt. Aus den Beiträgen wird durchgängig ersichtlich, dass sich zwischen dem propagierten Anspruch der Staatspartei, in der DDR antifaschistische, internationalistische und solidarische Verhältnisse geschaffen zu haben, und der alltäglichen Praxis zuweilen eine tiefe Kluft auftat. Zugleich wird erneut deutlich, dass der totalitäre Durchherrschungsanspruch der Staatspartei in der Lebenswelt der DDR-Gesellschaft zu widersprüchlichen und zuweilen auch paradoxen Alltagspraxen im Umgang mit Migranten führte. Diese Befunde sind zumindest für Zeithistoriker - die sich mit der DDR-Geschichte befasst haben - keine vollkommene Überraschung. Vielmehr lassen sie sich in eine zeithistorische Forschungsrichtung einordnen, die Herrschaftsordnungen entlang ihrer sozialen Praxis untersucht. Allerdings wird der in der Einleitung erhobene Anspruch, eine vertiefende oder sogar eine neue Perspektive auf den Gegenstand zu bieten, in keinem der Beiträge auf begrifflicher oder gar analytischer Ebene tatsächlich eingelöst. Obwohl die methodischen Anlagen der Artikel von klassischer Politikgeschichte bis hin zu Mikro- und biografischen Einzelstudien reichen, verweilen deren Autoren zumeist in der Feststellung bzw. Beschreibung von vielerlei Mehrdeutigkeiten.
Dennoch bietet der Band bemerkenswerte Einblicke in das alltägliche Leben von Migranten in der DDR-Gesellschaft und liefert einen überaus gründlichen Überblick zur neueren und neuesten Forschung zu diesem Untersuchungsgegenstand. Auch weil die Beiträge in diesem Band weitgehend frei von einer romantisierenden Sicht auf den Staatssozialismus in Ostdeutschland sind, ist das Buch hervorragend geeignet, fundiertes historisches Wissen über den Gegenstand für die politische Bildungsarbeit, die höhere Schulausbildung und auch für die universitäre Lehre zu liefern.
Patrice G. Poutrus