Adamantios Skordos: Griechenlands Makedonische Frage. Bürgerkrieg und Geschichtspolitik im Südosten Europas, 1945-1992 (= Moderne europäische Geschichte; Bd. 2), Göttingen: Wallstein 2012, 440 S., ISBN 978-3-8353-0936-4, EUR 39,90
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Makedonien spielte in der Geschichte Griechenlands nicht nur in der Antike eine zentrale Rolle, sondern auch in der Moderne, und dies nicht nur als geographischer Raum, sondern auch als sinnstiftendes Element der neugriechischen Identität. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstanden mit Griechenland, Serbien und Bulgarien drei Staaten, die um das noch osmanische Gebiet von Makedonien rivalisierten. Auf dem Berliner Kongress 1878 wurde der Erosionsprozess des Osmanischen Reiches auf dem Balkan gestoppt, aber die Auseinandersetzung um Makedonien ging weiter, wenn auch auf nicht-kriegerische Weise.
Den neuen "makedonischen Kampf" führten die Volksschullehrer aller drei Staaten. Ihre Aufgabe war es, Proselyten hervorzubringen. Da die Bevölkerung dieses Raumes mehrsprachig war, aber nach dem osmanischen Milletsystem alle dem Millet Rum (orthodox) angehörten, griffen die damals üblichen Kriterien der Definition einer Nation (Rasse, Sprache, Religion) nicht in ausreichender Weise. Letztlich hatten die Bewohner also keine festgelegte Identität. Man fand ein neues Kriterium, die Geschichte. Und von allen drei rivalisierenden Staaten hatten die Griechen hier die attraktivste. Wer von den anderen konnte schon Alexander den Großen oder die Philosophen als Bezugspunkte vorweisen? Außerdem waren die griechischen Schulen besser. Sie wurden finanziell von Athen unterstützt. Es war kein Wunder, dass in dieser ersten Runde des makedonischen Kampfes die griechischen Schulen die prägendste Kraft entwickelten und vielen Bewohnern des makedonischen Raumes eine griechische Identität vermittelten, obwohl sie ethnisch betrachtet eher Bulgaren oder Serben waren.
Bewegung in diese erstarrte Lage brachten die Balkankriege 1912/13. Das Osmanische Reich verlor Makedonien und Westthrakien, aber die Sieger zerstritten sich und neue Rivalitäten brachen aus. Bulgarien verlor seinen Zugang zur Ägäis und suchte von nun an nach Bündnispartnern, die ihm wieder dazu verhelfen sollten, was im Ersten und Zweiten Weltkrieg an der Seite Deutschlands auch vorübergehend gelang.
Mit der Entstehung der Sowjetunion und der Bildung der Komintern kam ein neues Element hinzu. Der Generalsekretär der Komintern war der Bulgare Georgi Dimitrow, der seinerseits Pläne für die Schaffung einer Balkansowjetunion entwickelte, der Bulgarien, Jugoslawien und Griechenland angehören sollten. Da die griechische Kommunistische Partei (KKE) schwach war, konnte Dimitrow ihr seinen Kurs oktroyieren. Damit erweiterte sich die Bedrohung Makedoniens um eine weitere, innergriechische Komponente. Der griechische Staat schlug aber hart zurück, und die KKE erlebte eine erste vernichtende Niederlage.
Im Zweiten Weltkrieg wurde die Lage noch komplizierter, denn nun mischten auch noch die Jugoslawen mit. Josip Broz Tito wollte nach dem Krieg eine jugoslawische Föderation aufbauen, zu der ein Bundesstaat Mazedonien gehören sollte. In diesem sollten alle slawisch sprechenden Makedonier vereint werden, also auch die slawische Minorität im griechischen Makedonien. Letztere hatte mit Zustimmung der linksorientierten griechischen Widerstandsbewegung (EAM/ELAS) im Kampf gegen die Besatzungsmacht eine eigene Widerstandsbewegung (SNOF) aufgebaut. Als diese am Ende des Krieges pro-jugoslawische Ambitionen entwickelte, löste die ELAS sie allerdings kurzerhand auf.
Als im großen Bürgerkrieg (1946-1949) aufgrund der Fehleinschätzungen von KKE-Generalsekretär Nikolaos Zachariadis der Partisanenarmee (DSE) die Reserven ausgingen, setzte er einen Beschluss des Plenums des Zentralkomitees der KKE durch, der den Slawomakedoniern große Zugeständnisse machte. Dies war neben dem sogenannten Paidomazoma (Evakuierung der Kinder aus der Kampfzone in die Staaten des Ostblocks) der zweite große Fehler der KKE-Führung, denn er lieferte der Regierungspropaganda ein weiteres zugkräftiges Argument, um die KKE als antinational zu verdammen.
Nach dem Ende des Bürgerkrieges verschwand das makedonische Problem für mehrere Jahrzehnte aus dem Bewusstsein der griechischen Öffentlichkeit. Erst als in den 90er Jahren des letzten Jahrhunderts Jugoslawien zerfiel und die mazedonische Teilrepublik ein unabhängiger Staat wurde, brach der Konflikt erneut aus, denn dieser neue Staat wollte sich Mazedonien nennen. Als man in Skopje auch noch Alexander den Großen als Ahnen beanspruchte und Karten mit einem Großmakedonien veröffentlichte, das bis zum Olymp reichte, schrillten in Athen die Alarmglocken. Man befürchtete einerseits Expansionsgelüste und andererseits war man in der eigenen historischen Identität getroffen. Alexander war schließlich ein Grieche gewesen. Der Streit um den Namen des neuen Staates besteht nach wie vor.
In der vorliegenden Studie untersucht Adamantios Skordos den letzten aktuellen Konflikt und seine Vorgeschichte. Nach einer fünfzigseitigen eher theoretischen Einleitung beginnt die eigentliche Darstellung (Teil 1) erst mit der Zeit des Bürgerkriegs und beschränkt sich weitestgehend auf den Konflikt mit Jugoslawien. Im zweiten Teil wird die "Erinnerungskultur" über diesen Kampf in der Zeit vom Ende des Bürgerkriegs (1949) bis zum Zusammenbruch der Militärdiktatur (1974) beschrieben. Teil 3 analysiert die Veränderungen in der Sichtweise des Problems bis 1991. Der vorletzte Teil gibt einen Überblick über die Entwicklung der Makedonischen Frage unter ausgewanderten Makedoniern in Übersee. Das Schlusskapitel ist der aktuellen Auseinandersetzung gewidmet.
Skordos' Studie liefert einen Teil jener notwendigen Erklärungen, die Anfang der 1990er Jahre in Westeuropa fehlten, als in Griechenland die "Makedonienhysterie" ausbrach. Sie hilft den immer noch nicht beigelegten Namensstreit zu verstehen. Man darf gespannt sein, ob der gegenwärtige Premierminister Andonis Samaras, dessen politischer Stern mit diesem Namensstreit aufzugehen begann, den Konflikt lösen oder lieber weiterhin am Köcheln halten wird.
Da Skordos' Darstellung erst mit dem Bürgerkrieg richtig einsetzt, mangelt es ihr an Erkenntnissen aus den beiden früheren Phasen, die zum tieferen Verständnis des Konfliktes notwendig sind. Bei der verwendeten Literatur fehlen die wichtigen Dokumentationen über die Kommunistische Partei Griechenlands (KKE) wie die Episima Keimena beider KPs [1] und die Quellenedition von Alekos Papapangiotou [2] sowie die vielbändige KKE-Geschichte von Katsoulis [3]. Dasselbe gilt für eine Anzahl älterer Studien zum Makedonienkonflikt wie z. B. To KKE kai i Makedonia von Zafeiropoulos [4]. Die seit fast 20 Jahren in der Bundesrepublik erscheinende Zeitschrift Thetis und die Monographienreihe Peleus, die sich mit der griechischen Welt beschäftigen, scheinen dem Autor unbekannt zu sein. Ein weiterer empfindlicher Mangel des ansonsten guten Buches ist es, dass ein Namensindex fehlt.
Anmerkungen:
[1] KKE: To KKE. Episima Keimena. VI: 1945-1949, Athen 1987; KKE esoterikou: To KKE. Episima Keimena. V: 1940-1945, Athen 1973.
[2] Alekos Papapanagiotou (ed.): To Kommounistiko Komma Elladas ston polemo kai stin antistasi 1940-1945, Athen 1974.
[3] Giorgos Katsoulis: Istoria Tou Kommounistikou Kommatos Elladas, 7 Bände, Athen 1974/75.
[4] Dimitrios Zafeiropoulos: To KKE kai i Makedonia, Athen 1948.
Heinz A. Richter