Steven A. Epstein: An Economic and Social History of Later Medieval Europe, 1000-1500, Cambridge: Cambridge University Press 2009, XI + 290 S., ISBN 978-0-521-70653-7, GBP 17,99
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Oscar Gelderblom: Cities of Commerce. The Institutional Foundations of International Trade in the Low Countries, 1250 - 1650, Princeton / Oxford: Princeton University Press 2013
Thomas Ertl / Thomas Frank / Samuel Nussbaum (eds.): Busy Tenants. Peasant Land Markets in Central Europe (15th to 16th Century), Stuttgart: Franz Steiner Verlag 2021
Isabella Lazzarini / Armando Miranda / Francesco Senatore (a cura di): Istituzioni, scritture, contabilità. Il caso molisano nell'Italia tardomedievale, Roma: Viella 2017
Der Titel von Epsteins Buch grenzt an Understatement: Epstein zeigt, dass Wirtschaftsgeschichte eine Perspektive auf die Geschichte darstellt, aus der man alle Aspekte des Lebens betrachten kann. Das Thema des Buches seien "people's decisions and choices" (184), und die betreffen nun einmal jeden Aspekt menschlichen Handelns.
Man nehme als Beispiel den Zusammenhang zwischen dem internationalen Wollmarkt und den Kriegen des englischen Königs: Epstein beschreibt, dass nur die Erhebung einer Exportsteuer auf Wolle es Edward I. ermöglichte, seine Kämpfe in Schottland und Frankreich fortzuführen. Da die Steuer nur von ausländischen Kaufleuten erhoben wurde, mussten sie ihre Wolle an die flandrischen Tuchhersteller teurer verkaufen. Das steigerte die Wettbewerbsfähigkeit der englischen Tuchhersteller, die günstiger produzieren konnten. Wolle finanzierte den Krieg, umgekehrt wirkte der Krieg subventionierend auf die englische Tuchproduktion.
Wirtschaftliche Begebenheiten stellt Epstein also stets in ihren größeren Zusammenhang. Die vielfältigen Beispiele ordnet er dabei mit Hilfe von zwei Leitfragen: (1) Warum erlebte Europa seit dem Ende des Spätmittelalters einen so beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwung? (2) Welche kurz- und langfristigen Auswirkungen zeitigte die Pest des 14. Jahrhunderts? Der ersten Frage widmen sich die Kapitel 1-5. Die Suche nach den Ursachen des "rise of the west" beschäftigt Historiker seit mindestens einem Jahrhundert. Epstein fasst die Frage sehr weit: Warum konnte ausgerechnet Europa, im Mittelalter den asiatischen und arabischen Kulturen technologisch unterlegen und intellektuell höchstens gleichwertig, in der Neuzeit die Welt dominieren? Kapitel 1 umreißt den Ausgangspunkt des Buches, indem es die europäische Wirtschaft nach der Krise des 10. Jahrhunderts beschreibt; die nächsten Kapitel legen die Vielfalt europäischer Phänomene und Forschungsfragen in den Bereichen des Ackerbaus, des Handels, der Technologie und des wirtschaftlichen und sozialen Denkens dar.
Der zweiten Frage wird in den Kapiteln 6-8 nachgegangen. Epstein möchte die These prüfen, dass der Arbeitskräftemangel, den die Pest verursacht habe, technologische Entwicklungen hin zu weniger arbeitskräfteintensiven Prozessen angestoßen habe. Dazu gibt er in Kapitel 6 einen Überblick über all' die Fragen, die über die Hungersnöte und Pestzüge des 14. Jahrhunderts heiß diskutiert werden. Kapitel 7 fragt nach technologischen, Kapitel 8 nach politischen Veränderungen in deren Folge. Dabei folgt Epstein einem schon länger anhaltenden Trend der Wirtschaftsgeschichtsschreibung, der unsichtbaren Hand des Marktes nicht sehr viel, der regulierenden Hand des Staates hingegen entscheidende Einflusskraft zuzuerkennen.
Nur wenigen Handbüchern gelingt es, die grundlegenden Forschungsfragen, an denen sich ein wissenschaftliches Feld ausrichtet, so konsequent einzubeziehen. Epstein liefert jedoch keine eigene Antwort auf die Fragen, er stellt nicht einmal unterschiedliche Antwortmöglichkeiten oder bisherige Thesen der Forschung zusammen. Bereits auf S. 9 zählt Epstein ohne nähere Ausführungen auf, was den Grund gelegt habe für die europäische Dominanz: Eigentumsrechte, Konfliktlösungsmechanismen, Vermittlungsinstitutionen wie Zünfte, politische Praktiken wie der Protektionismus. Eine Auseinandersetzung mit diesen, jeweils in der Forschung heiß diskutierten Faktoren erfolgt aber nicht. Im letzten Kapitel verweist er vage darauf, dass diese Frage in den Zuständigkeitsbereich der neuzeitlichen Geschichtswissenschaft falle. Ebenfalls im letzten Kapitel stellt Epstein die These in den Raum, dass die Pest einen entscheidenden Einfluss auf die europäische Entwicklung gehabt habe, wohingegen er in den vorgehenden Kapiteln differenzierter urteilt: Technologischer Wandel, so schreibt er zum Beispiel in Kapitel 7, könne nicht nur von der Pest angestoßen worden sein, da zahlreiche Entwicklungen schon vor 1348 begonnen hätten. Auch die Verknüpfung beider Fragen muss der Leser selber herstellen: Technologische Innovationen bilden offenbar für Epstein die Ursache für den europäischen Aufstieg. Insgesamt fehlt dem Buch eine explizite Bilanz, eine klare Synthese des großen Bogens, den Epstein von der Völkerwanderung bis zur europäischen Expansion schlägt. Das letzte Kapitel präsentiert Facetten des 15. Jahrhunderts, die nur implizit anklingen lassen, wie sich das Gesicht Europas im Verlauf der letzten Jahrhunderte geändert hatte. So könnten sich gerade die Leser etwas enttäuscht fühlen, die ansonsten an Epsteins frageorientierter Einführung eine besondere Freude haben dürften.
Der Autor schafft es nämlich, methodische Reflexionen unaufdringlich in den Text einzuflechten, ohne in Relativismus zu verfallen. Die Notwendigkeit methodischer Reflexion sieht Epstein als Grundvoraussetzung allen historischen Arbeitens an, wie er in der Auseinandersetzung mit Pirenne auf den Punkt bringt: "Pirenne claimed to be guided by the facts rather than theories. In practice, this means that he was in the grip of theories that he did not understand or had suppressed." (5) Insbesondere wendet sich Epstein zu Anfang fast jedes Kapitels den jeweiligen Quellenproblemen zu. Außerdem betont er stets die Schwierigkeit von Verallgemeinerungen, die nichtsdestotrotz zum Verständnis notwendig seien. Die Vielfalt aller Bereiche des europäischen Handels lasse jede Auswahl etwa bei der Beschreibung der Handelswaren oder der Typen von Städten willkürlich werden, müsse aber für einen Überblick dennoch nach möglichst nachvollziehbaren Kriterien getätigt werden.
Epsteins Buch zeigt, dass eine Reflexion des eigenen Vorgehens sich und den Leser nicht in einleitenden Methodenkapiteln erschöpfen muss und kann. Immer wieder machen nonchalante Formulierungen elegant auf Forschungsprobleme aufmerksam, ohne sie langwierig referieren zu müssen. "All things being equal (which they never are)" (42), kommentiert zum Beispiel die Diskussion um die Auswirkungen von Klimaveränderungen. "The German Empire, that vast but ill-defined state" (107) erspart eine Auseinandersetzung mit der deutschen Staatlichkeitsdiskussion, ohne sie völlig unerwähnt zu lassen.
Teils der Quellenlage, teils den Sprachkenntnissen geschuldet, legen die meisten europäischen Wirtschaftsgeschichten, so auch Epsteins, den Fokus auf Westeuropa. Insbesondere das nördliche Osteuropa wird kaum behandelt. Byzanz und das islamische Spanien nehmen eine gewisse Zwitterstellung ein. Einerseits erwähnt Epstein bei vielen Aspekten, etwa den Zünften oder dem ökonomischen Denken, wie sie sich dort gestalteten. Andererseits fungieren diese Erwähnungen häufig lediglich als externe Faktoren oder als Gegenbeispiele zu Phänomenen, die in Westeuropa zu beobachten sind. Unter Europa versteht Epstein den Raum, dessen politische Gebilde in der Frühneuzeit zu weltweiter Dominanz gelangten. Europa wird mithin retrospektiv aus der Perspektive der Neuzeit definiert.
Epsteins unterhaltsame Schrift eignet sich insgesamt hervorragend für Studierende, denen man ein lebendiges Bild nicht nur vom Spätmittelalter, sondern auch von dessen Erforschung nahebringen möchte. Zudem sei sie jedem ans Herz gelegt, der sich überzeugen möchte, dass auch Einführungsbücher facettenreich, problemorientiert und methodisch reflektiert geschrieben werden können.
Ulla Kypta