Eve Tavor Bannet: Transatlantic Stories and the History of Reading, 1720-1810. Migrant Fictions, Cambridge: Cambridge University Press 2011, IX + 295 S., ISBN 978-1-10700-746-8, GBP 55,00
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Das Korpus populärer Romane, das die Literaturwissenschaftlerin Eve Tavor Bannet in diesem Buch untersucht, weist in zweierlei Hinsicht eine transatlantische Dimension auf. Zum einen handelt es sich um fiktionale Texte, deren Protagonisten und Protagonistinnen sich als Migranten - Händler, Seeleute, Soldaten, Siedler, Kontraktarbeiter, Sträflinge oder Sklaven - in der atlantischen Welt des 18. Jahrhunderts bewegten. Dabei handelte es sich Bannet zufolge um 'faktenbasierte' Fiktionen, d.h. um Texte, die reale Konstellationen, Entwicklungen und Problematiken in der englischen und angloamerikanischen Gesellschaft literarisch verarbeiteten. So kamen die Helden und Heldinnen der untersuchten Romane oft aus einfachen Verhältnissen, und während einigen der soziale und wirtschaftliche Aufstieg in der atlantischen Welt gelang, scheiterten auffallend viele mit ihren Ambitionen oder entzogen sich bewusst den Erwartungen und Konventionen der gesellschaftlichen Eliten. Zum anderen wurden diese Texte über Jahrzehnte hinweg auf beiden Seiten des Atlantiks immer wieder neu aufgelegt. Diese Neuauflagen - so ein zentrales Argument der Studie - waren keine bloßen Nachdrucke, sondern kreative Adaptionen, im Zuge derer die 'ursprünglichen' literarischen Texte kontinuierlich umgestaltet, an veränderte Zeitumstände und neue Rezipientenkreise angepasst und neu kontextualisiert wurden. Indem sie die Drucker und Verleger, die diese Werke in England und in der jungen amerikanischen Republik herausbrachten, als kritische Leser und kreative Neuschöpfer literarischer Texte begreift, rückt Bannet ihre Studie in die Nähe einer Sozialgeschichte des Buchs und des Lesens, wie sie etwa Roger Chartier vertritt.
Die genannten Themen und Argumente entfaltet die Autorin in neun Kapiteln, die sich jeweils einer kleinen Gruppe von thematisch verwandten Werken widmen. Das erste Kapitel untersucht Nachschöpfungen von Daniel Defoes Robinson Crusoe, die bestimmte Ereignisse und Situationen bewusst abwandelten, um ein 'realistischeres' Bild der atlantischen Welt zu zeichnen. Anstatt sich auf den Individualisten Robinson auf seiner einsamen Insel zu konzentrieren, schildern die Bearbeitungen zahlreiche Begegnungen des Titelhelden mit Muslimen, Afrikanern, Kariben, Spaniern und Portugiesen und lassen den atlantischen Raum somit wesentlich 'multinationaler' erscheinen als in Defoes Roman. Die im zweiten Kapitel behandelten Romane Noble Slaves (1722) und Charlotta Dupont (1723) von Penelope Aubin porträtieren Heldinnen in einer von Spaniern, Portugiesen und Muslimen beherrschten atlantischen Welt, die sich dem Druck ausgesetzt sehen, zu konvertieren und sich an andere Kulturen anzupassen, um ihre weibliche Ehre und Tugend zu bewahren. William Rufus Chetwoods Captain Boyle (1726) und den wahrscheinlich von Pierre Longueville verfassten Roman The Hermit (1727) betrachtet Bannet als literarische Verarbeitungen einer 'parallel Atlantic economy', in der Händler, Schmuggler, Freibeuter und soziale Außenseiter über nationale Grenzen hinweg kooperierten (Kapitel 3). Eine weitere Gruppe von populären Romanhelden wie Isaac Bickerstaffs Ambrose Gwinett (1770) und den Robert Goadby zugeschriebenen Bampfylde Moore-Carew (1745) charakterisiert die Autorin als 'fortune's footballs' - Gestalten, die durch ein widriges Schicksal und ein ungerechtes englisches Gesellschafts- und Rechtssystem entwurzelt und den Gefahren und Unwägbarkeiten der atlantischen Welt ausgesetzt werden (Kapitel 4).
Die drei folgenden Kapitel befassen sich mit Texten, die verschiedene Formen von Unfreiheit in der atlantischen Welt thematisieren. In Edward Kimbers Mr Anderson (1754) und anderen Romanen über Dienstknechte und -mägde erscheint die Flucht der Protagonisten angesichts der physischen Gewalt sowie der ökonomischen und sexuellen Ausbeutung ihrer Herren als einziger legitimer Ausweg (Kapitel 5). Die in England lebenden und schreibenden afrikanischstämmigen Autoren James Albert Ukawsaw Gronniosaw, John Marrant, Olaudah Equiano und Ottabah Cugoano entwarfen in den Schilderungen ihrer afrikanischen Heimatregionen ein positives Gegenbild zu der Armut und Unterdrückung, die sie in England und im britischen Empire erlebten. In ihrer Kritik an der Sklaverei betonten Gronniosaw, Marrant und Cuogano auch die Gemeinsamkeiten zwischen Afrikanern und anderen unterprivilegierten Gruppen (Kapitel 6). In den Schriften des Mohegan-Indianers Samson Occom, der in den 1760er Jahren nach England reiste, um Geld für ein Schulprojekt seines Mentors Eleazar Wheelock zu sammeln, kommt die sukzessive Entfremdung zwischen dem Autor und seinen englischen und amerikanischen Patronen zum Ausdruck, die Occom schließlich zum Rückzug aus der 'weißen' Gesellschaft veranlassten.
In den beiden letzten Kapiteln (8 und 9) stellt Bannet mit dem aus Schottland stammenden und während der Amerikanischen Revolution in Philadelphia tätigen Robert Bell einen Buchdrucker und Verleger in den Mittelpunkt. Anhand zweier Themenbereiche veranschaulicht sie, wie sich Bells editorische und publizistische Strategien auf die Darstellung von Themen auswirkten, die amerikanische Leser während des Unabhängigkeitskrieges gegen Großbritannien bewegten. Eine Gruppe von Schriften, die Bell 1778 veröffentlichte, diente Bannet zufolge dazu, das aristokratische europäische Ideal der politeness zu kritisieren und amerikanische Ideale republikanischer Einfachheit, Tugendhaftigkeit und Natürlichkeit zu propagieren. In seiner zweibändigen Neuausgabe von Samuel Jackson Pratts Roman Emma Corbett (1782/83) schließlich wurden Krieg und militärisches Heldentum entmythologisiert.
Insgesamt verbindet die Autorin ihre Inhaltsanalysen der behandelten literarischen Werke geschickt mit der Darstellung von deren historischen Kontexten, Produktions- und Rezeptionsbedingungen. Ihr Buch erhellt damit eine Vielzahl aufschlussreicher Bezüge und Wechselwirkungen zwischen der Welt populärer Lesestoffe und der atlantischen Welt des 18. Jahrhunderts.
Mark Häberlein