Alexander Burka: Was blieb vom Fenster in den Westen? Zur Auslandskulturpolitik Österreichs in Ostmitteleuropa seit 1945 am Beispiel Polens und der Tschechoslowakei/Tschechiens (= Politik und Demokratie; Bd. 23), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2011, 395 S., ISBN 978-3-6316-1624-6, EUR 57,80
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Im Jahr 1995 feierte das Österreichische Kulturinstitut Warschau sein 30jähriges Bestehen. In seiner Gratulation würdigte der damalige polnische Außenminister Władysław Bartoszewski die außergewöhnliche Rolle des ÖKI sowie des 1986 eröffneten Österreichischen Leseraums in der Krakauer Universität als "Mittler in die freie Welt" während der Zeit des Kommunismus. Es seien vor allem die österreichischen Einrichtungen gewesen, die vor 1989 Studierenden, Intellektuellen und Oppositionellen in sonst nicht vorhandener Fülle und Vielfalt Zugang zu westlicher Philosophie und Theologie, Soziologie und Geschichte, aber auch Politikwissenschaft ermöglicht hätten, erklärte der frühere Regimekritiker (243f.). Dass diese Wertschätzung ausgerechnet dem neutralen Österreich zukam, das während des Kalten Kriegs eher ein politisches Leichtgewicht in Europa darstellte, erstaunt nur auf den ersten Blick. Denn als Nachfolgestaat des aufgelösten Habsburgerreiches vertraten seine Kulturpolitiker durchaus den Anspruch einer fortlebenden "Kulturnation" mit Strahlkraft auf den gesamten Donauraum - und seine Einrichtungen etablierten sich im Schatten der deutsch-deutschen Kulturkonkurrenz als eigenständige deutschsprachige "Fenster in den Westen".
Dieser bislang kaum beachteten Rolle Österreichs widmet sich Alexander Burka in seiner vorliegenden Dissertationsschrift. Seine forschungsleitenden Fragestellungen greifen dabei in mehrere Richtungen aus. So fragt er nach dem "Österreich-Bild" und seinem Wandel in der Programmarbeit, aber auch nach den Auswirkungen des erweiterten Kultur-Begriffs auf Konzeption und Praxis der Außenkulturarbeit ab den 1970er Jahren. Darüber hinaus untersucht er die Wirkmächtigkeit der thematischen Referenzfelder "gemeinsame Geschichte" und "gemeinsamer Kulturraum" sowie "Europa" als Gegenstand und Brücke bilateraler Kulturbeziehungen. Strukturiert wird seine Analyse durch einen gleichermaßen synchronen wie diachronen Vergleich der kulturellen Auslandsbeziehungen Österreich-Polen und Österreich-Tschechoslowakei/Tschechien. Im Mittelpunkt dabei steht die österreichische auswärtige Kulturpolitik (AKP).
In neun, teils chronologisch, teils systematisch angelegten Kapiteln schlägt Burka einen beziehungsgeschichtlichen Bogen, der nahezu das ganze 20. Jahrhundert umfasst. Für den Bereich der Auslandskulturpolitik lassen sich drei große Phasen ausmachen: die Zeit von Kriegsende bis Mitte der 1970er Jahre, dann die folgende Zeitspanne bis zum Zusammenbruch der kommunistischen Regime 1989/90 und schließlich die Jahre bis 2005. Rahmen und Hintergrund bilden vor 1989/90 der Kalte Krieg bzw. der Ost-West-Konflikt in einer bipolaren Welt, in die sich das seit 1955 wieder vollständig souveräne Österreich als "neutraler" Staat verortete. Damit befand sich Österreich in einer grundlegend anderen Position als die Bundesrepublik Deutschland oder die DDR, die je nach Bündniszugehörigkeit den (außen)politischen Prinzipien, Logiken und Zwängen des Kalten Kriegs folgen wollten und mussten.
Trotz der welthistorischen Zäsur von 1945 und der nachfolgenden Teilung Europas begannen die außenkulturpolitischen Beziehungen zwischen den drei Ländern aber nicht bei "Null". Der frühere Rang Österreichs als eine historische "Kulturgroßmacht" schuf vielfältige Verbindungslinien, die insbesondere zur Tschechoslowakei, wo viele Familien verwandtschaftliche Beziehungen nach Österreich unterhielten, besonders dicht waren. Burka identifiziert als zentrales Moment in der inhaltlichen Ausgestaltung die gemeinsame Vergangenheit als Nachfolgestaaten des zerschlagenen Vielvölkerstaates der Habsburgermonarchie (222ff.). Immer wieder wurden in Ausstellungen, Symposien oder Thementagen kulturell verbindende Phänomene oder Persönlichkeiten aus den Tagen vor und nach 1918 zum Gegenstand gemacht, sei es mit Franz Kafka, Alfred Kubin oder Ödön von Horvath. Damit wurde allerdings zugleich ein historisches Österreich-Bild wachgehalten, das zeitgenössische Inhalte einer Landespräsentation überdeckte. Seine Ursache hatte dies aber auch in den Erwartungen und Wünschen der sozialistischen Gastgeberländer, die die westliche Selbstdarstellung weitmöglich zu kontrollieren suchten.
Die Kulturbeziehungen zu Polen gestalteten sich zumindest bis 1989 weitaus vielfältiger und reger als jene gegenüber der ČSSR. Die Gründung des Österreichischen Kulturinstituts in Warschau 1964/65 setzte eine verhältnismäßig fortlaufende Institutionalisierung des Kulturaustauschs in Gang, die mit dem Leseraum in der Krakauer Universität und der eigenen Kulturabteilung des Generalkonsulats in Krakau 1986 bzw. 1990 und schließlich der Eröffnung der Österreich Institute in Warschau, Krakau und Breslau 1997 und 2005 manifeste Stützpunkte etablieren konnte. Auf Basis des Neutralitätsstatus und mit wohlwollender Duldung durch das kommunistische Regime ermöglichten diese einen kulturellen Aktionsradius, der deutlich höher lag als der anderer westeuropäischer Länder (350). Der Katholizismus, aber auch das Fehlen einer konfliktbehafteten unmittelbaren Nachbarschaft (bei gleichzeitiger historisch-kultureller Nähe) förderten in besonderer Weise die staatlichen Kulturkontakte.
Das Bild, das Österreich von sich präsentierte, variierte letztlich je nach Land. So wurde in Polen eine weitaus aktuellere und zeitgenössischere Republik gezeigt, als dies in der ČSSR der Fall war. Insbesondere in der Literatur und in den Bildenden Künsten wurden, meist entweder in Lese- und Vortragsreihen oder Ausstellungen in großen polnischen Städten, zeitgenössische Künstler und Themen vorgestellt bzw. problematisiert, die wiederum den erweiterten Kunstbegriff bzw. die neuen Leitlinien der Außenkulturdarstellung spiegelten (215ff.). Im Fall der ČSSR dagegen spricht Burka von einem "wenig facettenreichen Österreichbild" (218), das nahezu bis 1989 vorherrschte. Österreichische Biedermeierkunst, Architektur der Jahre 1860-1930 oder "150 Jahre Pferdeeisenbahn" bildeten Ausstellungsthemen, die die westlich geprägte Entwicklung der Gegenwart weitgehend ausblendeten und (kunst-)politisch völlig unverfänglich blieben. Ausstellungen des Malers Friedensreich Hundertwasser in Prag und Brno 1986/87 deuteten zwar den beginnenden Wandel an, dieser konnte sich jedoch erst nach dem Systemwechsel durchsetzen (218ff.).
Die österreichische AKP trat in den 1960er Jahren in eine konzeptionelle Diskussionsphase, die dann im Folgejahrzehnt zur Verabschiedung außenkulturpolitischer Leitlinien führte. Die Kultur wurde in den Rang einer "dritten Säule" der Außenpolitik erhoben, eine Entwicklung, die zeitliche Parallelen mit der bundesdeutschen aufwies. Gegenüber den sozialistischen Ostblock-Staaten existierte keine einheitliche inhaltliche und strategische Vorgehensweise. Stattdessen wurde länderindividuell agiert bzw. reagiert. Zentraler Angelpunkt der außenkulturpolitischen Überlegungen war die Akzentuierung eines gemeinsamen, historisch gewachsenen Kulturraums, der Österreich mit Polen und der ČSSR verband. Dazu wurde ein spezieller Mitteleuropa-Diskurs gepflegt, der in erster Instanz kulturell aufgeladen wurde. Dieser Ansatz "aus der Geschichte heraus" war zum einen politisch-strategisch motiviert, zum anderen diente er auch dazu, sich von der deutschsprachigen Konkurrenz der DDR-Kulturarbeit abzuheben. Für die SED bildeten beide Länder neben der Sowjetunion Schwerpunktregionen im Kulturaustausch, dagegen konnten hier bundesdeutsche Kulturinstitutionen bis 1989 keinen Fuß fassen. Insofern suchten österreichische Kulturfunktionäre auch mit Vorliebe solche Kulturschaffenden, die sich entweder familiär oder durch ihr Werk einer eindeutigen nationalen (also österreichischen) Zuordnung entzogen und quasi originäre "Kulturmittler-Qualitäten" besaßen (223).
Nach 1990 rückte Österreich stärker den Europa-Gedanken in den konzeptuellen Mittelpunkt seiner Auslandskulturarbeit (325ff.). Dabei präsentierte man sich als integrationsfördernder EG- bzw. EU-Brückenstaat, zeitweise sogar als Anwalt ost- bzw. südosteuropäischer Interessenlagen in Richtung Westen. Die innenpolitischen Entwicklungen rund um die umstrittene Regierungskoalition aus ÖVP und FPÖ im Jahr 2000 isolierten das Land allerdings phasenweise in der EU, worunter auch das außenkulturpolitische Image litt. Mit Initiierung der "Plattform Kultur - Mitteleuropa", der neben Österreich auch Tschechien und Polen sowie Slowenien, Slowakei und Ungarn angehören, wurde diesen Entwicklungen zumindest auf der politischen Ebene der AKP aktiv entgegen gewirkt.
Einmal mehr zeigt die Arbeit, dass gerade im Bereich der Außenkulturpolitik die Führungen der kommunistischen Ostblock-Länder sehr unterschiedliche Ziele, Strategien und Konzepte verfolgten. Stand der Bereich der Diplomatie und des Außenhandels stark unter der Beobachtung und Kontrolle des Kreml, schienen sich trotz ideologischem Ost-West-Krieg gerade im Kulturbereich erstaunlich vielfältige Handlungsspielräume in den RGW-Mitgliedsländern aufzutun. Dass sich der Autor den beiden osteuropäischen Ländern zuwendet, ist daher angesichts der nach wie vor geringen Forschungsdichte zur westlichen AKP im sozialistischen Europa (und umgekehrt) sehr verdienstvoll. Ebenso ist der gewählte Untersuchungszeitraum von über 60 Jahren beeindruckend, da er weit über die Zäsur von 1989 hinausgeht und dem Leser eine aufschlussreiche Langzeitperspektive von Wandel und Kontinuität offenbart.
Die politikgeschichtliche Untersuchung, die 2009 an der FU Berlin als Dissertation angenommen wurde, ist mit Fußnoten gesättigt und handwerklich solide gemacht, die Gliederung in ihrer Systematik lesefreundlich. Die eine oder andere Formulierung wirkt durch eingeflossenes "Stiftungs-Vokabular" etwas steif, insbesondere wenn es um die Zeit nach 1990 geht. Ansonsten überwiegt in Inhalt und Ausdruck ein eher dokumentarischer Stil. Das mag nicht zuletzt auch an der Trennung der politischen Seite der AKP von der eigentlichen kulturellen Programmarbeit liegen, und an dem breiten Raum, dem die institutionelle Genese der Außenkulturpolitik eingeräumt wird. Die Thematik ist analytisch gut aufgearbeitet. Stellenweise, so der Leseeindruck des Rezensenten, hätten der historische Zündstoff der Drei-Länder-Konstellation bzw. die Grundkonflikte im Sinne einer problemorientierten Darstellung noch stärker akzentuiert werden können. Manche Zäsur, mancher Wendepunkt würde dann noch strukturbildender zu Tage treten. Ungeachtet dessen leistet die Arbeit einen wichtigen Beitrag für die beziehungsgeschichtlichen West-Ost-Forschungen.
Peter Ulrich Weiß