Dirk Schmaler: Die Bundespräsidenten und die NS-Vergangenheit - zwischen Aufklärung und Verdrängung (= Beiträge zur Aufklärung der NS-Herrschaft; Bd. 1), Bruxelles [u.a.]: Peter Lang 2013, 144 S., ISBN 978-3-6316-3557-5, EUR 26,95
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Richard von Weizsäcker: Der Weg zur Einheit, München: C.H.Beck 2009
Verein Aktives Museum (Hg.): Vor die Tür gesetzt. Im Nationalsozialismus verfolgte Berliner Stadtverordnete und Magistratsmitglieder 1933-1945, Berlin: Verein Aktives Museum 2006
Volker Koop: Kai-Uwe von Hassel. Eine politische Biographie, Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2007
Die Publikation des Politologen Dirk Schmaler, der als Redakteur bei der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung tätig ist, erschien als erster Band einer neuen Reihe, deren Ziel darin besteht, Beiträge zur Aufarbeitung der nationalsozialistischen Herrschaft in der Bundesrepublik Deutschland zu leisten. Der Fokus soll auf der rechtsstaatlichen Ahndung von Verbrechen liegen, die während der NS-Diktatur verübt wurden; intendiert ist eine kritische Justizgeschichte. Grundlegend neue Forschungsergebnisse sind von dieser Reihe wohl nicht zu erwarten - es scheint, als wolle man in kompakter Form einschlägige Themen für ein größeres, nicht nur wissenschaftliches Publikum aufbereiten. An einem solchen Vorhaben gibt es nichts auszusetzen; der Erfolg hängt aber natürlich auch in diesem Fall von der Umsetzung ab. Bei dem Buch von Schmaler hat der Rezensent erhebliche Zweifel, ob das Ziel erreicht wurde. Dem Verfasser gelingt es zwar, den Wandel im Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit von den fünfziger Jahren bis heute anhand von öffentlichen Äußerungen der Bundespräsidenten, vor allem zum 8. Mai, eindringlich darzustellen, doch insgesamt werden viele Erwartungen nicht erfüllt.
Erstens bleibt festzuhalten, dass dem Werk ein sehr viel gründlicheres Lektorat gut getan hätte. Offenbar haben weder der Autor noch der Herausgeber noch die zuständige Redakteurin den Text jemals gründlich gelesen. Eine Fülle von grammatikalischen und Rechtschreibfehlern zieht sich durch den Band. Das führt teilweise zu kuriosen Formulierungen, etwa "nurapp" (103) anstatt "nur knapp" oder "trozt mach" (127) anstatt "trotz manch". Bei einem sorgfältigeren Lektorat wären sicherlich auch einige inhaltliche Fehler aufgefallen. So war Alfred Dregger nicht "der CDU/CSU-Vorsitzende" (79), sondern von 1982 bis 1991 der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag. Zu Gustav Heinemann heißt es an einer Stelle unvermittelt: "Auch die späteren Militäreinsätze der Bundeswehr waren aus der Sicht Heinemanns pro[b]lematisch." (60) Welche Militäreinsätze? Auslandseinsätze der Bundeswehr erfolgten erst viele Jahre nach dem Tod Heinemanns. Fehler und unklare Aussagen können passieren - in dieser Häufung sind sie aber ein Ärgernis.
Zweitens fällt auf, dass der Autor die einschlägige Literatur zum Amt des Bundespräsidenten und dessen Inhabern nicht vollständig zur Kenntnis genommen hat. So fehlen in seiner Liste der verwendeten Literatur etwa die wissenschaftlichen Biographien über Heinrich Lübke von Rudolf Morsey (Paderborn 1996) und über Karl Carstens von Tim Szatkowski (Köln 2007). Das ist umso erstaunlicher, als Schmaler gerade im Falle von Carstens zu äußerst dezidierten Auffassungen kommt. Der eine oder andere Blick auf die bisherigen Forschungsergebnisse hätte sicher dabei geholfen, vorschnelle Urteile und falsche Behauptungen zu vermeiden. So legt Schmaler dar, Carstens habe seine Mitgliedschaft in der NSDAP später bestritten. (73) Das entspricht nicht den Tatsachen. Carstens leugnete diese Mitgliedschaft nie. Er wies allerdings darauf hin, dass sein Antrag auf Aufnahme in die NSDAP - den er Ende 1937 unter äußerem Druck stellte, um sein berufliches Fortkommen zu sichern - erst zu Beginn der 1940er Jahre wirksam wurde, als er bereits zur Wehrmacht eingezogen worden war. Nach dem Wehrgesetz von 1935 ruhte die Zugehörigkeit zur NSDAP während des aktiven Wehrdienstes. Der Rezensent vertritt die Meinung, dass diese formaljuristische Sichtweise keinesfalls die Tatsache des Aufnahmeantrags verdecken sollte. Aber es ist doch so, dass derartige, schwer zu beurteilende Fragen eine umfassende und ausgewogene Bewertung erfordern. Verkürzte und folglich ungenaue Darstellungen helfen dabei nicht weiter.
Drittens ist die inflationäre Verwendung des Begriffs "konservativ" auffällig. Wenn Richard von Weizsäcker als "der konservative Bundespräsident" (14) charakterisiert wird, dann stellt sich die Frage, was ein Leser mit einer solchen Beschreibung eigentlich anfangen soll. Das Öffnen einer solchen Schublade, in die der Betreffende dann einfach kommentarlos hineingesteckt wird, führt zu keiner Erkenntnis. Davon abgesehen, dürften viele in Weizsäckers politischer Heimat, der CDU, das ganz anders gesehen haben. Weizsäcker nahm beispielsweise in den 1970er Jahren eine deutschland- und ostpolitische Haltung ein, die sich stark an diejenige der sozial-liberalen Koalition bzw. Regierung anlehnte. In der CDU und vor allem der CSU stieß er damit wiederholt auf Skepsis bis Ablehnung.
Viertens fällt immer wieder unangenehm auf, dass der Autor rigoros und einseitig urteilt: "Die öffentliche und innere Annahme von Schuld und Verantwortung ist [...] der einzige Weg, sich von der Schuld zu befreien, und gleichzeitig die Voraussetzung für einen funktionierenden Staat mit demokratischen und aktiven Staatsbürgern." (24) Schmaler sieht insbesondere die 1950er und die erste Hälfte der 1960er Jahre durch Verdrängung, Abwehr von Schuld und restaurative Tendenzen gekennzeichnet. Mit anderen Worten: Ein vorbildlicher Staat konnte damals kaum entstehen. Die Geschichte der Bundesrepublik kann gewiss nicht in allen ihren Teilen als Erfolgsgeschichte geschrieben werden. Dass die junge Bundesrepublik ein Rechtsstaat mit einer demokratischen Grundordnung war, sollte aber anerkannt werden. Über einen "unverstellten Blick auf die deutsche Vergangenheit" (105), den Schmaler immer wieder vehement einfordert, verfügt er selbst offenkundig nicht.
Fünftens erfasst Schmaler die Rolle, die der erste Bundespräsident, Theodor Heuss, bei der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus spielte, nicht adäquat. Seine "Feldzüge gegen das Vergessen", wie Heuss sie selbst nannte, gingen stets mit Versuchen zur Neubestimmung der nationalen Identität einher. Sein Anliegen, die Erinnerung an die nationalsozialistischen Verbrechen wach zu halten, dieser Erfahrung aber auch eine positive geschichtliche Tradition gegenüberzustellen, die an die deutsche Kulturnation und die Revolution von 1848/49 anknüpfte, wies den richtigen Weg. Deshalb erscheint seine Interpretation des 8. Mai 1945, dass die Deutschen an diesem Tag "erlöst und vernichtet in einem" gewesen seien, auch heute noch bedenkenswert. Dass das erste Staatsoberhaupt die Frage nach Schuld oder gar individueller Schuld weniger überzeugend beantwortete, kann diese Denkanstöße kaum schmälern. Die Einschätzung des Verfassers, es sei erst bei Heinemann in der ersten Hälfte der 1970er Jahre darum gegangen "erstmals Wege zu finden, eine positive Identifikation mit der deutschen Geschichte trotz des Dritten Reichs möglich zu machen" (65), ist nicht haltbar, wenn man die Intentionen von Heuss genauer unter die Lupe nimmt.
Fazit: Nimmt man alle diese Einwände zusammen, ergibt sich nicht gerade ein guter Eindruck. Dem Autor ist es nicht gelungen, das Thema in differenzierter Weise zu erfassen. Sein Buch stellt keinen verheißungsvollen Auftakt für die angekündigte Buchreihe dar. Das ist umso bedauerlicher, als das Thema gut gewählt wurde.
Tim Szatkowski