William Darymple / Yuthika Sharma (eds.): Princes and Painters in Mughal Delhi, 1707 - 1857, New Haven / London: Yale University Press 2012, XI + 212 S., ISBN 978-0-300-17666-7, USD 60,00
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Bei der besprochenen Publikation handelt es sich um den Begleitband zu der Ausstellung "Princes and Painters in Mughal Delhi, 1707-1857", die vom 7. Februar bis 6. Mai 2012 im Asia Society Museum in New York stattfand. Den zeitlichen Rahmen der Ausstellung bildet die Zeitspanne der letzten Mogulherrschaft in Nordindien, beginnend mit dem Tod Aurangzebs 1707 bis zur Auflösung der Herrschaft dieser muslimischen Dynastie durch die britischen Kolonialherrn im Jahre 1857. Die behandelte Periode wird in der kunstgeschichtlichen Forschung zur Mogulzeit bisher weitgehend ignoriert. Dies mag auch daran liegen, dass diese letzte Phase der Mogulherrschaft allgemein als politischer und sozialer Bruch mit einem damit einhergehenden kulturellen Niedergang bewertet wird. Sehr bemerkenswert also, dass sich die Ausstellung der Malerei im Mogulreich während der 150 Jahre andauernden Übergangszeit widmet. Ziel der Schau war es, die dynamischen Prozesse der höfischen und nicht-höfischen künstlerischen Produktion zu beleuchten, die unter dem Einfluss der Patronage verschiedener Mogulherrscher, regionaler indischer Fürsten und europäischer Auftraggeber in Indien entstanden. (10) Den Kern des Ausstellungsbandes bildet ein Katalog mit 96 Stücken aus unterschiedlichen internationalen Sammlungen. Bei den dargestellten Objekten handelt es sich mehrheitlich um Malereien von Künstlern, die in die Kontexte der politischen und gesellschaftlichen Prozesse dieser Zeit, mit besonderem Bezug zu der nominellen Hauptstadt des Mogulreiches Delhi, einzugliedern sind. Der Katalog beinhaltet neben der Malerei jedoch auch eine kleine Anzahl von Photographien und Kleinkunstobjekten. Die Edition des Bandes übernahm der bekannte Reisebuchautor und Historiker William Dalrymple zusammen mit der Kunsthistorikerin Yuthika Sharma. Neben den beiden Editoren behandeln Malini Roy, Jean-Marie Lafont, Sunil Sharma und J.P. Losty die künstlerischen, politischen und sozialen Kontexte in sechs kurzen Essays.
In der Einleitung führen Willam Dalrymple und Yuthika Sharma in die Geschichte der Stadt Delhi ein (1-13), die mit der Gründung Shahjahanabads Mitte des 17. Jahrhunderts zu einem letzten prachtvollen politischen und künstlerischen Zentrum der Mogulherrscher in Nordindien wurde. Nach dem Tod Aurangzebs im Jahre 1707 setzte, wie gesagt, der politische Zerfall des Mogulreiches ein. (3-4) Innerhalbe der nächsten zwölf Jahre folgte eine Reihe schwacher Mogulherrscher auf dem Thron in Delhi, die in der Regel jeweils nur sehr kurz regierten. Mächtige Höflinge wie die Sayyid Barha-Brüder hielten de facto die Fäden in den Händen. Die Macht lokaler Fürsten wuchs in dieser Zeit beständig. Obwohl die Mogulherrscher weiterhin Künstler am Hof zur eigenen Herrschaftslegitimierung förderten, emigrierte eine Vielzahl berühmter Kunstschaffender, wie zum Beispiel Bhawanidas, an die Höfe regionaler Potentaten. (4) In Folge der Verschiebung der Patronagesysteme vom Zentrum in die Peripherie veränderte sich auch der Stil an den Hofwerkstätten in Delhi. Erst mit Muhammad Shah (reg. 1719-1748) kam es zu einem Wiedererstarken der Zentralmacht in Delhi. Das Rote Fort wurde wieder zu einem administrativen Zentrum und zu dem wichtigsten Ort des imperialen Hofzeremoniells. Unter Muhammad Shah betrieb man in Anlehnung an die Zeit vor 1707 auch den Wiederaufbau der Hofateliers. Zu den bekanntesten Künstlern, die der Padishah förderte, gehörten zum Beispiel Nidha Mal, Chitarman, Faqirullah, Hunar und Bhupal Sing. Und zu den intellektuellen und künstlerischen Zirkeln, die sich infolge erneuter herrscherlicher Patronage in Delhi entwickelten, kamen bekannte Mystiker, Dichter und Gelehrte wie Shah Waliullah (lebte 1702-1762), Khwaja Mir Dard (lebte 1721-1785) und Mir Taqi Mir (lebte 1723-1810).
In ihrem Essay thematisiert Malini Roy (17-23) das Aufleben der Maltraditionen als Reminiszenz an die glorifizierte Vergangenheit der Moguln. Es ist daher nicht erstaunlich, dass zu den bevorzugten Darstellungsformen klassische Hofszenen wie private und öffentliche Versammlungen oder darbars, aber auch Herrscherportraits gehörten [Abb. 6-15]. Es finden sich darüber hinaus verschiedene barahmasa- oder ragamala-Malereien unter den Werken der höfischen Künstler, die eindeutig einen Einfluss aus der rajputischen Maltradition aufweisen. (21) Diese Phase des künstlerischen Aufblühens der Hofkunst nahm ein abruptes Ende mit der katastrophalen Invasion Delhis durch Nadir Shah 1739 und der damit einhergehenden großflächigen Zerstörung der Stadt. Als Sinnbild dieser schrecklichen Zeit wurde der Raub des Staatsschatzes einschließlich des Pfauenthrons und des Koh-i Noor empfunden. (8) Poeten wie Mirza Rafi Sauda (lebte 1713-1781), Mir Taqi Mir oder Khwaja Mir Dard beklagten die Situation in Delhi, das zum großen Teil aus Ruinen bestehe. Viele Künstler und Intellektuelle wanderten zu diesem Zeitpunkt endgültig an die konkurrierenden Höfe in Indien - wie dem von Awath - ab, um hier ein Auskommen zu erhalten. Trotz des Verlustes der politischen Macht, der auch in Folge weiterer verheerender gewaltsamer Übergriffe durch verschiedene marodierende Truppenverbände, wie zum Beispiel unter dem afghanischen Heerführer Ghulam Qadir 1788, zunahm, besaß die Person des Mogulherrscher bis zu ihrer Absetzung 1857 durch die britische Kolonialmacht als herrscherliche Autorität weiterhin ein hohes Prestige in Indien. Dies führte dazu, dass sich verschiedene politische Gruppen wie die Marathen, die Franzosen und später die Briten als Schutzmacht des Mogulherrschers darzustellen und zu etablieren versuchten. In ihrem kurzen Artikel (25-31) geht Jean-Marie Lafont auf die Rolle der Franzosen in Nordindien und am Mogulhof ein. Leider thematisiert sie nicht explizit die Vitae und Oeuvres der einzelnen Künstler, die in dieser Zeit für die Franzosen arbeiteten, so dass der Bezug zwischen der Kunsttradition und den politischen Ereignissen unklar bleibt. Die in diesem Aufsatz behandelten Aufnahmen dienen vielmehr lediglich als visuelle Kulisse für die geschilderten historischen Ereignisse. 1803 konnten sich die Briten gegen die Marathen durchsetzen und hielten somit de facto die Macht in Nordindien in ihren Händen. Shah Alam II empfing General Gerard Lake in diesem Jahr feierlich im Roten Fort. Sir David Ochterlony (lebte 1758-1825) übernahm ab diesem Zeitpunkt die Position eines Gesandten und örtlichen Vertreters der britischen East Indian Company in Delhi (Abb. 26-29).
Der Schwerpunkt der Ausstellung liegt deutlich auf den auf die wachsende britische Dominanz in Nordindien folgenden politischen und künstlerischen Prozessen und Ereignissen zu Beginn des 19. Jahrhunderts bis 1857. Einen wichtigen Raum nehmen hierbei die als "company paintings" bezeichneten Auftragsarbeiten der ortsansässigen Briten ein, die zwar als Vertreter ihres Landes fungierten, jedoch zum Teil stark einheimische Sitten, Gebräuche und Lebensgewohnheiten der verblassenden höfischen Kultur des Mogulhofes übernahmen. Die Adaption regionaler Traditionen schloss auch die Förderung einheimischer Künstler mit ein. Der in Boston geborene Sir David Ochterlony zum Beispiel trug, wie britische Zugereiste erschreckt mitteilen, einheimische Kleidung, heiratete mehrere indische Frauen, hatte mit ihnen eine Vielzahl von Kindern und ließ für sich und seine Hauptfrau ein Grabbau in einem Garten errichten. (8) Einer seiner Assistenten, William Fraser (lebte 1784-1835), ein Absolvent des Fort Willams College und Gelehrter für die persische Sprache, wurde zu einem der wichtigsten Unterstützer lokaler indischer Gelehrter, Dichter und Künstler, so zum Beispiel von dem Dichter Mirza Asadullah Khan Ghalib (lebte 1797-1869). In dem sogenannten "Fraser Album" sowie in weiteren Alben, die von ihm in Auftrag gegeben wurden, illustrierten und dokumentierten verschiedene Meister lokaler Malschulen Menschen und Begebenheiten abseits der fürstlichen Höfe in Indien. So finden sich in ihnen etwa Portraits von Soldaten, Abbildungen der Dorfbevölkerung, Tänzerinnen, Heiligen und Angehörigen des Hofes (Abb. 41-57).
Weitere wichtige europäische Förderer verschiedener indischer Kunstprojekte und Künstler waren Vertreter der britischen East India Company wie Colonel James Skinner (lebte 1778-1841), Sir Charles Metcalf (lebte 1785-1846) und Sir Thomas Metcalf (lebte 1795-1853). Sunil Sharma beschreibt in seinem Beitrag (33-39) die Zeit James Skinners und der beiden Metcalf-Brüder, ihre Beziehungen zu der Kunstszene in Delhi, und das intellektuelle und künstlerische Klima, das zu dieser Zeit herrschte. Besonders ab den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts nahm der Einfluss der Macht der East India Company stetig zu. Am deutlichsten wird dies in dem Aufbau des Delhi-College, einer Institution, in der unter britischer Leitung indische Gelehrte und Poeten mit europäischen Wissenschaftlern einen stetigen und umfangreichen Kontakt unterhielten. Als wichtige nichtliterarische Publikationen auf Urdu und Persisch, die aus der Zusammenarbeit von westlichen und indischen Gelehrten hervorgingen, sind die topographischen Arbeiten Sair al-manzil von Mirza Sangin Beg und die Asar al-sanadid von Syed Ahmed Khan (34) zu nennen. Colonel James Skinner, der eine enge Verbindung zu der einheimischen intellektuellen Elite pflegte, schrieb die Werke Tashrih al-aqwam und die Tazkirat al-umara (35), die er von einheimischen Künstlern mit Illustrationen versehen ließ. (Abb.61-62)
Wie der folgende Artikel von Yuthika Sharma zeigt, arbeitete eine Reihe von Künstlern sowohl für britische Auftraggeber als auch für den Mogulhof in Delhi. (41-50) Als Beispiel zieht die Autorin Ghulam Ali Khan heran, der neben Ghulam Murtaza Khan und Khairullah zu den wichtigsten Malern am Hof gehörte. Unter dieser Gruppe von Kunstschaffenden entstand eine neue Form der höfischen Malerei. (41) Besonders bei Ghulam Ali Khan zeigt sich die Vermischung von traditioneller Kunst mit den Techniken und Darstellungsformen (Abb. 58-60, 64, 67, 72), die von den europäischen Patronen für ihre Werke gewünscht oder erwartet wurden. So kann man sehen, dass in traditionsgebundene Arbeiten für den Hof in Delhi und Alwar - wie in die Darstellung einer darbar oder eines gulistan des Sadi (im Auftrag des Raja Banni Singh) (49, Fig. 12) - Elemente aus den architektonischen Auftragszeichnungen für die englischen Geldgeber (42-43) einflossen. Weitere Beispiele sind Portraitzeichnungen des letzten Mogulherrschers Bahadur Shah Zafar, in denen ebenfalls europäische Formen dieser Gattung durchscheinen. In den Bildern von James Skinner oder den Darstellungen seiner militärischen Paraden erkennt man dahingegen deutlich den Einfluss der traditionellen Hofmalerei. (44-46) Leider wird in der gesamten Ausstellung kaum das Thema aufgegriffen, in wie weit die europäischen Auftraggeber an die regionale indigene Sprache der Macht, die sich in den künstlerischen Arbeiten ausdrückte, anknüpfen wollten oder diese bewusst verwendet haben. Der Artikel von Yuthika Sharma unterstreicht jedoch sehr gut das innovative, transkulturelle und transkünstlerische Klima, welches bis 1857 in Nordindien herrschte.
In dem vorletzten Essay geht J.P. Lost auf die Gruppe von Künstlern um Mazhar Ali Khan und deren Auftraggeber Sir Thomas Metcalf ein (53-59), die in Anlehnung an Darstellungsformen europäischer topographischer Pläne Architekturaufnahmen von Delhi und seiner Umgebung anfertigten. Zu diesen Arbeiten gehörten neben architektonischen Panoramaansichten des Roten Forts (54, Fig. 2) auch pittoreske Zeichnung von Bauten wie Sita Ram Darstellung von Safdar Jangs Mausoleums (55, Fig.4) oder die Holzschnitte von Mirza Shah Rukh für die Asar al-sanadid (56, Fig.5).
In dem letzten Beitrag des Ausstellungsbandes befasst sich William Dalrymple mit dem Untergang des Mogulhauses im Jahr 1857, der bekanntlich durch den Sepoy Aufstand eingeleitet wurde (61-67). In der gewaltsamen Absetzung des Herrschers durch die britischen Kolonialherren und der großflächigen Zerstörung Delhis sieht Dalrymple den beginnenden Untergang der Hofkultur und der damit verbundenen künstlerischen und literarischen Tradition (65-66).
Insgesamt gibt die Publikation einen umfassenden Einblick in die Kunstproduktion von 1707-1857 in Nordindien und speziell in Delhi. Der Katalog mit seinem sehr guten Bildmaterial unterstützt diesen Einblick. Viele Abbildungen besitzen eine ordentliche Beschreibung und einige Zusatzinformationen zu den Künstlern oder den Inhalten der Objekte. Bei einigen Bildern (z.B. Abb. 10-19) fehlen jedoch Erklärungen und Erläuterungen. Eine einheitliche Vorgehensweise im gesamten Katalog wäre wünschenswert gewesen. Positiv hervorzuheben ist neben der sehr guten drucktechnischen Qualität der Publikation und der Abbildungen der Appendix mit Karten von Indien und Delhi, einer genealogischen Darstellung der Mogulherrscher und einem kleinen Glossar, der die Lektüre dieser Publikation deutlich erleichtert. Problematisch ist die unterschiedliche Qualität der Essays. So geben die Artikel von William Dalrymple und Jean-Marie Lafont kaum Informationen über die Künstler und die Traditionen, unter deren Einfluss ihre Werke entstanden. Vielmehr wirken die Illustrationen zu den Artikeln lediglich wie eine visualisierte Kulisse für die angesprochenen historischen, zumeist politischen Fakten. Andere Beiträge - wie die von Yuthika Sharma, Sunil Sharma und Malini Roy - zeigen deutlich differenzierter die komplexen und diversen Strukturen und Einflüsse, unter dem die Kunst in dem genannten Zeitraum in Delhi entstand. Insgesamt hätte eine umfassendere und tiefergehende Beschäftigung mit den individuellen Lebensgeschichten der Kunstschaffenden und Auftraggeber sowie ihrer Kontextualisierung innerhalb der historischen Ereignisse des behandelten Zeitrahmens einen deutlichen wissenschaftlichen Mehrwert leisten können. Die Frage, in wie weit die Kunstobjekte als Legitimierungsstrategie von den verschiedenen Akteuren instrumentalisiert wurden, bleibt weitgehend unbeantwortet. Dies wäre besonders in Bezug auf die britischen Kolonialherrn ein weiterer interessanter wissenschaftlicher Mehrwert gewesen. Diesbezüglich bedienen sich die Autoren bei der Darstellung der Briten in Nordindien einer Vielzahl von gängigen Klischees. Trotz dieser kritischen Anmerkungen vermittelt die Publikation mit dem schönen Katalog einen sehr guten Eindruck von den transkulturellen und vielschichtigen Kunsttraditionen, die sich in dieser Zeitspanne entwickelten.
Daniel Redlinger