Mohammed Arkoun: Naḥwa tāriḫ muqāran li-l-adyān at-tauḥīdīya. Hg. und übers. von Hāšim Ṣāliḥ, Bairūt: Dār as-Sāqī 2011, 431 S., ISBN 978-1-85516-332-4
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Inger Marie Okkenhaug / Ingvild Flaskerud (eds.): Gender, Religion and Change in the Middle East. Two Hundred Years of History, Oxford: Berg Publishers 2005
Fritz Schulze / Holger Warnk (Hgg.): Religion und Identität. Muslime und Nicht-Muslime in Südostasien, Wiesbaden: Harrassowitz 2008
Li Guo: Sports as Performance. The Qabaq-game and Celebratory Rites in Mamluk Cairo, Schenefeld: EB-Verlag 2013
Nathan Hofer: The Popularisation of Sufism in Ayyubid and Mamluk Egypt, 1173-1325, Edinburgh: Edinburgh University Press 2015
Zu dem heiß diskutierten Thema 'Kampf der Kulturen' trägt auch der algerische Intellektuelle und kulturelle Grenzgänger Mohammed Arkoun (1928-2010) bei. Mit dem nach seinem Tod im Jahr 2011 in arabischer Fassung publizierten Werk Naḥwa tārīḫi muqāran li-l-adyān at-tawḥīdiyya (Die monotheistischen Religionen im historischen Vergleich) [1] präsentiert er uns ein neues Konzept für den interreligiösen Dialog der Völker im Mittelmeerraum [2], um die gemeinsamen Wurzeln der Zivilisation in eine ebenfalls gemeinsame Zukunft zu überführen. Den Kern dieser Vision sieht Arkoun in der Entwicklung einer kritischen Geschichtswissenschaft, in der die jeweils wichtigsten mittelalterlichen Denker des Mittelmeerraumes - Thomas von Aquin (1225-1274), Ibn Maimun (1135/38-1204) und Ibn Rušd (1126-1198) - als Ausgangspunkt herangezogen werden sollten. Arkoun hebt deren soziologisch-gesellschaftlichen (Miss)Erfolg als eines der wichtigsten Merkmale für eine Neubewertung und ein damit einhergehendes Neudenken der ideologisierten Strukturen und historischen Funktionen von traditionellem Islam und säkularen Religionen hervor. Diese veränderte wissenschaftliche Perspektive verspreche, laut Arkoun, einen Referenzrahmen für rationale Kritik und ermögliche somit, das Erbe der Orthodoxie und des klassisch-theologischen Denkens zu verlassen und die Prinzipien des Humanismus für ein gegenseitiges Verständnis der Religionen in den Vordergrund zu stellen.
Naḥwa tārīḫi muqāran li-l-adyān at-tawḥīdiyya baut auf älteren Werken des Autors auf, so etwa auf seinen Arbeiten Pour une critique de la raison islamique (Kritik der islamischen Vernunft, 1984), Humanisme et Islam: Combats et propositions (Humanismus und Islam: Konflikte und Lösungsansätze, 2006) und Islam: To Reform or to Subvert (Islam: Reformieren oder unterwandern?, 2006). Darüber hinaus verweist Arkoun in diesem Buch auf für ihn wichtige Sekundärquellen zum Thema, wie etwa auf Kants Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft (2004). Wichtig zu nennen seien außerdem La Prison Juive (Das jüdische Gefängnis, 2005) von Jean Daniel und Quand notre monde est devenu chrétien (Als unsere Welt christlich wurde, 2007) von Paul Veyne.
Sehr aufschlussreich ist der Schlussteil des Buches, in dem Arkoun zum einen seine persönlichen Erfahrungen mit den beiden Orientalisten Louis Massignon (1883-1962) und Youakim Moubarrac (1924-1995) wiedergibt. Zum anderen finden sich dort zwei Interviews, die der Übersetzer Hāšim Ṣalāḥ mit Arkoun selbst geführt hat.
Insgesamt gliedert sich die Studie in ein kurzes Vorwort und sechs Kapitel. Im ersten Kapitel ("Die Frage der Ethik im islamischen Denken") stellt Arkoun die zentrale These auf, dass im zeitgenössischen islamischen Denken Ethik ausgeschlossen wurde und nicht mehr existent sei. Als Grund hierfür meint der Autor nennen zu können, dass man zunächst die Philosophie, insbesondere die Ibn Rušds sowie Ibn Miskawayhs (932-1030) mit ihrem gemeinsamen Kerngebiet Logik, aus der islamischen Glaubensdoktrin verbannt habe. Weiter weist er auf die Ausgrenzung der Muʿtazila als rationalistisch ausgerichtete Schule zum Ende des "goldenen Zeitalters des Islams" im 13. Jahrhundert und auf den Sieg der Orthodoxie über die Vernunft nach al-Ġazzālī (1058-1111) hin. Zum Ende des Kapitels arbeitet Arkoun dann heraus, inwieweit die Austreibung der Ethik aus dem islamischen Denken die geistige und sozio-politische Geschichte der islamischen Welt beeinflusst hat. Hierbei stellt er Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhāb (1703-1792) und seine Anhänger in den Vordergrund, die mit ihrem reformistischen Gedankengut den Anstoß für eine Entwicklung gegeben hätten, die langfristig zu einer geistigen Rückwärtsgewandtheit, zu einer Epoche des theologischen Scholastizismus mit seiner Redseligkeit und fundamentalistischen Einstellung, zu salafistischen Strömungen und schließlich zu internationalem Terror führten. Den Verlust der Ethik hebt er durch einen Vergleich mit dem Christentum hervor, in dem Muḥammad Ibn ʿAbd al-Wahhābs Zeitgenosse Immanuel Kant (1724-1804) für genau die entgegengesetzte Entwicklung stehe.
Im zweiten Kapitel Gedanken zur Geschichte des Mittelmeerraumes geht der Autor auf die Hauptursachen für das Scheitern des interreligiösen Dialogs sowie implizit auch auf die Gründe für die sozio-politisch und wirtschaftlich gegensätzlichen Entwicklungen in der westlichen und islamischen Welt ein. Dabei postuliert Arkoune, dass sich die monotheistischen Religionen im geographischen Mittelmeerraum nur dann begegnen und langfristig friedlich miteinander leben können, wenn auch die gegensätzliche geschichtliche Erfahrungen in Abend- und Morgenland kompensiert und die im Laufe der Zeit entstandene Lücke zumindest teilweise geschlossen wird. Um diese Theorie weiter zu reflektieren, leitet Arkoun zu dem für seine Argumentation grundlegenden Kapitel Die drei Intellektuellen des Mittelalters über, in welchem er zunächst die historischen Entwicklungen der drei monotheistischen Religionen skizziert. Wie weiter oben bereits erwähnt, hebt der Autor als gemeinsames Charakteristikum den gesellschaftlichen (Miß)Erfolg der drei genannten Denker hervor. Abschließend analysiert Arkoun Chancen für den interreligiösen Dialoges. Die Konzepte der drei Religionsgelehrten beruhten darauf, ihre jeweiligen Ansätze in einen rational-philosophischen Referenzrahmen zu stellen. Der Autor untersucht zunächst ihre Konzepte wie auch den Stellenwert der Philosophen sowohl innerhalb ihrer sozio-historischen und gesellschaftlichen Systeme als auch transhistorisch und -kulturell. Er plädiert letzten Endes, wie bereits angedeutet, dafür, diese Persönlichkeiten und ihr Schaffen als Basis einer kritischen Geschichtswissenschaft zu nehmen. Arkoun zufolge sollte die aus diesen Fällen ableitbare "Soziologie des Erfolges bzw. des Scheiterns" als eigenständige Wissenschaft und als Teil einer angewandten und zugleich kritischen Islam- und schließlich auch einer vergleichenden Religionswissenschaft begründet und etabliert werden, um zu neuen Lösungsansätzen für den durchaus spannungsgeladenen interislamischen und interreligiösen Dialog zu kommen. Der Verf. möchte damit über epistemologische Grenzen hinaus einen inter- und multidisziplinären Ansatz verfolgen, in dem die Geisteswissenschaften - er nennt etwa die Geschichte, Linguistik, Philosophie und Soziologie - zu einem Neu- und Umdenken der Funktion von traditionellem Islam und säkularen Religionen im wissenschaftlichen Kontext führen sollen. [3]
Im vierten Kapitel Das Bild des Anderen: das gegenseitige imaginäre Bild von Islam und Westen traktiert Arkoun zunächst die gemeinsame historische Kulturgeschichte und stellt ihr dann die besonders nach dem zweiten Weltkrieg als Ergebnis institutionalisierter Ignoranz aufkommende gegenseitige Abneigung und Skepsis gegenüber. Dabei arbeitet er die neue Dichotomie Islam vs. Westen heraus, wobei er auch Bezug auf die internationale Politik nimmt, die im Laufe der Zeit den Antagonismus zwischen westlicher und islamischer Welt vergrößert und dadurch den interreligiösen Dialog stark beeinträchtigt habe. Dem Bild eines festgefahrenen fundamentalistischen Islam, dessen Orthodoxie unreflektiert zu einem in sich geschlossenen System wurde, das sich nach dem Einfluss durch Ibn Rušd nicht mehr entwickelt habe, stellt Arkoun einen positivistisch-rationalistischen Westen gegenüber, der mit seiner Verwissenschaftlichungstendenz jegliches religiöse Denken ausgeschlossen habe. Diese starre Positionierung, für die, nach Arkoun, u.a. der Palästinakonflikt wie auch die Lage in Afghanistan und dem Irak nach 9/11 symptomatisch sind, gelte es in einem Gespräch über die fehlerhafte historische Entwicklung der monotheistischen Religionen zu überwinden. Auf der Basis der von ihm beschriebenen Haltungen des fundamentalistischen Islamismus, des rationalistischen Säkularismus sowie des jüngeren Globalismus formuliert Arkoun abschließend einen Neo-Humanismus, in dessen Zentrum die These steht, dass dem Mensch als solches entweder kein Stellenwert im Kontext der Postmoderne beigemessen oder er zumindest aus einem abwegigen intellektuellen Blickwinkel betrachtet wird.
Das fünfte Kapitel Meine Beziehung zu Youakim Moubarac und Louis Massignon handelt von Arkouns Begegnung mit den französischen Orientalisten Massignon und seinem libanesischen Schüler Moubarac. Arkoun analysiert die Denkkonzepte beider Orientalisten kritisch, nachdem er die Bedeutsamkeit beider Persönlichkeiten für ihn selbst sowie ihre humanistischen Beiträge zum interreligiösen und interkulturellen Dialog kurz dargestellt hat. Von weitreichender Bedeutung sind für ihn insbesondere Moubaracs Dialogbeiträge zum israelisch-palästinensischen Konflikt und dem christlisch-islamischen Dialog sowie Massignons Beiträge zu humanistischen Lösungen der kolonialen Spannungen in Nordafrika, besonders in Algerien. Trotz ihrer kritischen Islamforschung, formuliert Arkoun die These, dass sie zu sehr von der Mystik der abrahamitischen Ökumene geprägt waren. Somit konnte eine kritische Geschichtswissenschaft über die islamische Orthodoxie keine Berücksichtigung in ihren Forschungen finden.
Das letzte Kapitel gibt zwei Interviews von Arkoun wieder. Im ersten merkt er kritisch an, dass sein historisch-epistemologisches Konzept hinsichtlich der Geschichte des islamischen Denkens bis jetzt weder von der arabischen noch von der westlichen Wissenschaft rezipiert worden sei. Dies führt er vor allem auf die institutionalisierte Ignoranz der postkolonialistischen Regierungschefs zurück, die den verbreiteten religiös-traditionellen Diskurs in den jeweiligen Bildungssystemen unterstützt und somit jeglichen kritisch-wissenschaftlichen Denken bekämpft hätten. Aber auch die wechselseitigen islamistischen und westlichen Gewaltexzesse im politischen Alltag seien dafür verantwortlich. Im zweiten Interview ruft Arkoun nochmals auf zu einem grundlegenden Überdenken des Islams als erstarrtes kulturelles und religiöses System, um die willkürlich etablierten ideologischen Strukturen zu überwinden.
Insgesamt liefert die Studie von Arkoun eine gelungene Einführung in seine Konzepte zum interreligiösen Dialog, in denen er die Entwicklung einer gemeinsamen kritischen Geschichtswissenschaft für die Völker des Mittelmeerraumes als Lösung besonders betont. Mit Blick auf den Titel des Werkes liegt der Schwerpunkt nicht nur im eigentlichen Vergleich der Entwicklungsgeschichte der monotheistischen Religionen, sondern gibt mit gut verständlichen Überblicken über einzelne Themengebiete dem Leser die Möglichkeit, sich ein Bild von der Spannbreite der von ihm beschriebenen Diskurse zu machen und einen Einblick in sein Verständnis der Ethik im islamischen Denken zu erhalten.
Anmerkungen:
[1] Basierend auf einem Manuskript in Französisch.
[2] Dabei geht Arkoun von einem vergrößerten Mittelmeerraum aus, der auch alle angrenzenden Staaten insgesamt einbezieht.
[3] Arkoun, 2011, 2. Kapitel (241-266) und 3. Kapitel (269-309). Siehe auch Artikel von Ursula Günther in: http://ursulaguenther.files.wordpress.com/2010/09/zum-potenzial-von-mohammed-arkouns-ansatz-fur-dialogkonzepte.pdf
Amal El Hajoui