Rezension über:

Jens Kunze (Bearb.): Das Leipziger Schöffenbuch 1420-1478 (1491). Edition (= Quellen und Forschungen zur Geschichte der Stadt Leipzig; Bd. 4), Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2012, XXXIV + 425 S., 4 Farbabb., ISBN 978-3-86583-650-2, EUR 64,00
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Rezension von:
Christian Speer
Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität, Halle-Wittenberg
Redaktionelle Betreuung:
Ralf Lützelschwab
Empfohlene Zitierweise:
Christian Speer: Rezension von: Jens Kunze (Bearb.): Das Leipziger Schöffenbuch 1420-1478 (1491). Edition, Leipzig: Leipziger Universitätsverlag 2012, in: sehepunkte 13 (2013), Nr. 10 [15.10.2013], URL: https://www.sehepunkte.de
/2013/10/23282.html


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Jens Kunze (Bearb.): Das Leipziger Schöffenbuch 1420-1478 (1491)

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Der hier zu besprechenden Edition stellt der Bearbeiter Jens Kunze die Worte des Leipziger Historikers Gustav Wustmann (1901) voran (V): "Wollte man das Buch veröffentlichen, um es der stadtgeschichtlichen Forschung zugänglich zu machen, so könnte das nur so geschehen, dass man es vollständig abdrucken ließe und gut bearbeite." Der vollständige Abdruck liegt nun mit der Arbeit Kunzes vor. Auf eine "gute Bearbeitung" im Sinne einer Kommentierung wurde verzichtet.

Der äußerst knappen Einleitung (IX-XXIII), folgen die Editionsrichtlinien (XXIV-XXV), das Abkürzungsverzeichnis (XXVI) sowie das Quellen- und Literaturverzeichnis (XXVII-XXXIV). Die Textedition (1-364) wird von einem Index ("Personen - Orte - ausgewählte Sachen", 366-415) und dem Abbildungsteil (417-425) abgeschlossen.

In der Einleitung wird kurz auf die Geschichte und Bedeutung der Stadt Leipzig und ihres Schöffenstuhles eingegangen, danach folgen eine knappe Handschriftenbeschreibung und kursorische Angaben zum Inhalt des Pergamentkodex, der selbstverständlich eine Reinschrift ist (Kunze äußert XV nur die "Vermutung"). Gleich der erste Satz der Inhaltsbeschreibung bedarf hier einer Präzisierung. Kunze schreibt XV von "519 Einträgen", die "jeweils auf einen Tag, den Gerichtstag datiert wurden". Mit Einträgen meint er nicht verschiedene Sachverhalte bzw. Verhandlungen vor Gericht, sondern den vollständigen Text eines Gerichttages, an dem eine Vielzahl verschiedener Fälle, meist der freiwilligen Gerichtsbarkeit, von den Schöffen protokolliert wurde. Nach Kunze (XV) seien die meisten Eintragungen "Eheverträge". Dass dieser moderne Terminus weniger geeignet ist, spätmittelalterliche Verhältnisse zu beschreiben, zeigt sogleich das von ihm zitierte Beispiel, bei dem es sich nicht um einen Ehevertrag, sondern um eine Vergabung von Todes wegen handelt. Weitere Schwerpunkte der Eintragungen bilden "Hypotheken", "gelegentlich werden auch Testamente, Stiftungen, Einsetzung und Entlassung von Vormündern im Schöffenbuch vermerkt". Genauere Zahlen werden nicht angegeben. Warum ab den 1460er Jahren Einträge zu Grundbesitzangelegenheiten hauptsächlich in ein anderes Stadtbuch (Ratsherrenbuch) Eingang finden, wird nicht erklärt oder diskutiert. Ebenso wenig begründet der Bearbeiter seine Aussage, dass der XVII zitierte Reinigungseid "eigentlich nicht" ins Schöffenbuch "gehöre". Es folgen Ausführungen zum Quellenwert des Gerichtsbuches für "orts-, siedlungs-, sozialgeschichtliche sowie genealogische Forschungen". Allerdings wird allen, die mehr als nur nach Namen suchen, der Zugriff auf den Text schwer gemacht, da sowohl die Textgestaltung als auch der Index diskussionswürdig sind.

Die Textgestaltung der Edition orientiert Kunze am Aufbau der Handschrift, in dem er für jeden Gerichtstag eine laufende Nummer vergibt, Blattzahl und Seite benennt sowie das Datum angibt. Die in den Editionsrichtlinien erwähnten Regesten (XXIV) sind allerdings nirgends zu finden. Anmerkungen werden in Variantenapparat und Sachanmerkungen unterschieden. Letztere wurden so selten gesetzt, dass man nicht von einer kommentierten Edition sprechen kann.

Die Wahl eines anderen Drucklayouts, die Nummerierung eines jeden einzelnen Textes / Sachverhalts und eine sachlichen Zuordnung in einer Überschrift (etwa: Auflassung, Kauf, Satzung, Vergabung von Todes wegen etc.) hätten es jedem Leser einfacher gemacht, das Buch inhaltlich zu erschließen. Selbst die vom Original vorgegebenen hilfreichen Zwischenüberschriften "Donationes ...", wie sie in den Abbildungen auf Seite 422-425 dokumentiert sind, reiht der Bearbeiter unkommentiert in den Fließtext ein.

Ebenso hätten Anmerkungen zum Inhalt den Leser auf Besonderheiten oder inhaltliche Zusammenhänge des Leipziger Schöffenbuchs aufmerksam machen können. Stattdessen entfallen von den insgesamt gezählten 44 Sachanmerkungen 41 auf die Umrechnungen bzw. Kommentierungen von Datumsangaben. Drei weitere Anmerkungen verweisen kommentarlos auf Parallelstellen in einer anderen Edition. Das ist alles! Der Bearbeiter setzt offenbar voraus, dass jedem Interessierten Begriffe wie "volbort" (29), "pitczhyren" (292) oder "vorspreche" (313) vollkommen klar sind, und dass jeder weiß, was sich hinter "conventh unde die gancze sammnunge zcur Zcelle" (171) verbirgt. Auf "ungewöhnliche Schreibweisen" (XXV) wird gelegentlich durch "[!]" hingewiesen etwa 331 "Benedictus [!]" oder 345 "18 ½ [!]". Allerdings ist nicht nachvollziehbar, was an diesen zeitgenössisch üblichen Schreibweisen ungewöhnlich ist.

Der Mangel einer fehlenden Kommentierung wiegt vor allem deshalb schwer, da der Bearbeiter in der Einleitung keine detaillierten Einblicke in Inhalt und Struktur des Schöffenbuchs gewährt und damit vergleichende Untersuchungen erschwert werden. Dieser Kritikpunkt wird auch nicht vom Index kompensiert, da neben Namen nur "ausgewählte Sachen" aufgenommen wurden, aber für die "Auswahl" dem Leser keine Anhaltspunkte gegeben werden. Wer also den inhaltlichen Zugang nicht über Namen eingrenzen kann, muss die Edition mehr oder weniger vollständig lesen. Gleiches gilt für jene, die an der Leipziger Topographie interessiert sind. Die in der Liste der "Erstnennungen von Straßen und Plätzen" (XXI) aufgezählten Namen finden sich nicht im Index! Bisweilen ist der Aufbau des Index auch verwirrend, dazu einige Beispiele: Der S. 75 in Nr. 116 genannte "Michel Muller uff der Thomasmoel" ist im Index weder unter "Müller" noch die Mühle unter "Thomas" oder "Mühle" zu finden, sondern unter Moller. Der "Jorgen" (Emerich) von S. 292 wird nicht zu "Georg", sondern zu "Jörg" normalisiert. Dem Eintrag "Forwergk sieh Vorwerg" folgt der Eintrag "Forwerk siehe Forberger". Frankfurt am Main findet man unter "Frankfurt, Stadt in Hessen" und Torgau unter "Torgau Stadt in Torgau".

Kopfzerbrechen bereitet auch folgender Fall: In Nr. 496 wird ein "magister Staniszlay vonne Sepeidenitz" genannt. Im Index sind jeweils extra "Sepeidenitz" und die Genitivform (!) "Staniszlay, Magister" (warum nicht normalisiert zu Stanislaus?) zu finden. Personen ohne Nachnamen werden im Index sonst immer mit dem Ort der angegebenen Herkunft indexiert, in diesem Fall aber nicht. Die merkwürdige Form "Sepeidenitz" wird von Kunze nicht kommentiert. Sie sieht verdächtig nach einem Lesefehler von "Schweidnitz" aus. Schweidnitz ist im Index jedoch nicht vermerkt. Es findet sich aber der Eintrag "Sweidenitz, Stanislai von der, Magister, Kollegiat des Fürstencollegs" mit Verweis auf Nr. 505. Warum für die Indexeinträge weder die Schreibweise der Stadt (Schweidnitz) noch des Namens (Stanislaus) normalisiert wurden und warum Kolleg in einer Zeile einmal mit "K" und einmal mit "C" geschrieben wird, erschließt sich dem Rezensenten nicht. Vergleicht man nach all der Verwirrung die Texte inhaltlich, zeigt sich, dass sie beide von ein und derselben Person - Magister Stanislaus aus Schweidnitz - handeln.

Im Ganzen betrachtet ist die Herausgabe eines Stadtbuches immer eine mühevolle und daher eine verdienstvolle sowie lobenswerte Leistung und Kunze bietet mit seiner Arbeit sicher einen soliden Text des Schöffenbuchs. Aber gerade in Anbetracht der Masse der überlieferten Gerichts- bzw. Stadtbücher, wünscht man sich doch von einer Edition, dass sie dem Leser durch ausführliche Einleitung, sachlich ausgewogene Kommentierung und verlässliche Indexierung den Einstieg für vergleichende Untersuchungen erleichtert. Für einen sozialhistorischen Zugriff hätte man sich in der Einleitung beispielsweise ein paar mehr Worte und ein paar mehr Zahlen darüber gewünscht, was in welcher Häufigkeit vor Gericht entschieden oder der Sicherheit halber in das Schöffenbuch eingetragen wurde, wie sich die Gerichts- und Verwaltungspraxis konkret darstellte oder wie oft und zu welchen Themen Auswärtige das Gericht der Handels- und Messestadt Leipzig nutzen. Das Buch bietet dafür genug aussagekräftige Passagen und sollte nicht nur zur Erforschung Leipzigs herangezogen werden.

Christian Speer