Bronwen Everill / Josiah Kaplan (eds.): The History and Practice of Humanitarian Intervention and Aid in Africa, Basingstoke: Palgrave Macmillan 2013, XV + 250 S., ISBN 978-1-137-27001-6, GBP 57,50
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Stefano Recchia / Jennifer M. Welsh (eds.): Just and Unjust Military Intervention. European Thinkers from Vitoria to Mill, Cambridge: Cambridge University Press 2013
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Der Blick des "Westens" auf den afrikanischen Kontinent ist häufig geprägt von der Wahrnehmung einer nicht enden wollenden Kette humanitärer Katastrophen. Bilder von vom Hunger ausgezehrter Kinder am Horn von Afrika sowie riesigen Flüchtlingsströmen im Zuge ständiger kriegerischer Auseinandersetzungen im Gebiet der Großen Seen dominieren und befeuern immer wieder die politischen Debatten über die Notwendigkeit humanitärer Hilfe von außen für die notleidende afrikanische Bevölkerung. Europas und Amerikas Beziehungen zu Afrika sind nach Ansicht von Bronwen Everill, Assistant Professor für Global History an der Warwick University, und Josiah Kaplan, Research Associate am Department of International Development der Oxford University, daher seit der Kolonialzeit eng mit dem Konzept des "humanitarianism" verwoben. Ihr kürzlich erschienener Sammelband The History and Practice of Humanitarian Intervention and Aid in Africa setzt sich daher zum Ziel, dieses Beziehungsgeflecht und die ihm zugrundeliegenden Strukturen einer kritischen Untersuchung zu unterziehen. Die beiden Herausgeber wählen dabei bewusst einen sehr breiten methodischen Zugang: "We adopt a unified concept of humanitarianism which sees humanitarian military interventions as part of a series of related activities - or 'interventions' in African societies, which includes not only military action, but also economic aid, political support and state-building and assistance." (1). Durch die im Sammelband gemeinsam vertretenen Beiträge von Historikern und Politikwissenschaftlern soll darüber hinaus ein interdisziplinärer Dialog stattfinden, der es ermöglicht, die verschiedenen Evolutionsschritte und Kontinuitätslinien humanitärer Praktiken von den Anfängen der Kolonialzeit im 19. Jahrhundert bis heute nachzuvollziehen. Beide Herausgeber betonen in diesem Zusammenhang die zentrale Bedeutung einer langfristigen historischen Perspektive für eine tiefgründige Analyse ihres Forschungsgegenstandes.
Inhaltlich umfasst der Sammelband insgesamt zehn Beiträge, die leider zur Verwirrung des Lesers weder einer erkennbaren thematischen noch chronologischen Ordnung folgen. Der geographische Fokus richtet sich auf verschiedene Fälle in sub-Sahara Afrika, wobei - vor allem auf Grund des sehr breiten Zugangs - ein beachtliches Themenspektrum abgedeckt wird. Den Auftakt bildet die vergleichende Studie zu den Siedlungen für befreite Sklaven im Kontext des Kampfes gegen den Sklavenhandel in West-, Süd-, und Ostafrika im 19. Jahrhundert (Bronwen Everill, 23-42) gefolgt von einem Aufsatz über medizinische Kampagnen gegen Lepra im kolonialen Uganda ab den 1920er Jahren (Kathleen Vongsathorn, 43-66). Der daran anschließende Beitrag beschäftigt sich mit dem privaten Wohltätigkeitsengagement Deutscher, Österreicher und Schweizer im heutigen Kenia (Nina Berman, 67-92), während Kapitel 4 die britische Militärintervention in Sierra Leone von 2000 bis 2002 in den Blick nimmt (Josiah Kaplan, 93-119). Der internationale Kampf gegen die Hungerkatastrophen am Horn von Afrika, genauer gesagt in Äthiopien im Jahr 1984-85 und die "Operation Restore Hope" in Somalia im Jahr 1992 (Christopher Clapham, 120-139) werden genauso thematisiert wie die zahlreichen humanitären Krisen im postkolonialen Kongo (Claude Kabemba, 140-157) und die verschiedenen Missionen der Vereinten Nationen im südlichen Afrika - konkret in Namibia, Angola und Mozambique - ab den 1970er Jahren (Christopher Saunders, 158-175). Der nigerianische Bürgerkrieg von 1967 bis 1970 (Michael Aaronson, 176-196), besser bekannt unter dem Begriff des Biafra-Konflikts, fehlt ebenso wenig wie die "good governance"-Debatte ab den 1990er Jahren in Bezug auf die Staaten in sub-Sahara Afrika (Claire Leigh, 197-216). Ein sehr kurzer historischer Abriss über die Entwicklung der humanitären Intervention, der leider zentrale historische Arbeiten aktuellen Datums hierzu nicht berücksichtigt [1], schließt den Sammelband ab (Richard Drayton, 217-231).
Die interessanten Einzelbeiträge bieten erhellende Einsichten und zum Teil neue Perspektiven auf wichtige Episoden der Beziehungen Europas und Amerikas zum afrikanischen Kontinent an. Allerdings trübt die große Themenvielfalt ohne klare konzeptionelle Verzahnung das Gesamtbild des Sammelbandes. Der überdehnte Ansatz, Flüchtlingshilfe, medizinische Seuchenbekämpfung, privates Wohltätigkeitsengagement, internationale Hungerhilfe, die Diskussion über "good governance" sowie militärische Interventionspolitik alles zusammen unter dem Begriff der humanitären Intervention zu subsummieren, führt dazu, dass die Begrifflichkeiten ihre klaren Konturen und Präzision einbüßen. Zweifellos ist es ein hochinteressantes und äußerst lohnenswertes Unterfangen, die verschiedenen humanitären Konzepte und Praktiken in ihrem gegenseitigen Wechselspiel näher zu analysieren. Die Frage, warum dies aber auf Kosten einer Auflösung bzw. willkürlichen Vermischung von bereits in der Wissenschaft etablierten Begriffen wie "humanitarian aid", "humanitarian relief", "humanitarian assistance" und "humanitarian intervention" geschehen muss, bleibt unbeantwortet. Der analytische Mehrwert dieses Zugangs erschließt sich dem Leser nicht, der sich vielmehr mit einer wachsenden begrifflichen Ratlosigkeit konfrontiert sieht. Zudem wird das Versprechen einer historischen, zwei Jahrhunderte überspannenden Tiefenperspektive weitgehend nicht eingelöst. Lediglich ein Beitrag beschäftigt sich genuin mit dem 19. Jahrhundert, während die übrigen Essays fast ausschließlich ihren Schwerpunkt in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, konkret ab Mitte der 1960er Jahre, haben. Dieser eingeschränkte zeitliche Fokus bedeutet auch, dass die für das Verhältnis zwischen Europa und Afrika prägende Epoche der Dekolonisation leider weitgehend ausgespart bleibt. Aber gerade in dieser entscheidenden Zeitspanne von 1945 bis Mitte der 1960er Jahre dehnten internationale Organisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz ihre Aktivitäten im großen Stil auch auf den afrikanischen Kontinent aus. [2] Trotz dieser Einschränkungen muss als eindeutiges Verdienst des Sammelbandes festgehalten werden, dass er einen interdisziplinären Dialog anstößt. Die inspirierenden Einzelbeiträge des Bandes liefern sicherlich eine wertvolle Grundlage für zukünftige intensive Diskussionen in einem sowohl für die Geschichts- als auch für die Politikwissenschaft vielversprechendem Forschungsfeld.
Anmerkungen:
[1] Brendan Simms / David J. B. Trim (eds.): Humanitarian Intervention. A History, Cambridge / New York 2011; Davide Rodogno: Against Massacre. Humanitarian Interventions in the Ottoman Empire 1815-1914, Princeton / Oxford 2012.
[2] Fabian Klose: The Colonial Testing Ground. The International Committee of the Red Cross and the Violent End of Empire, in: Humanity 2 (1) (2011), 107-126.
Fabian Klose