Uwe Ohainski (Bearb.): Urkundenbuch des Augustinerchorfrauenstifts Dorstadt (= Veröffentlichungen der Historischen Kommission für Niedersachsen und Bremen; 258), Hannover: Hahnsche Buchhandlung 2011, 435 S., ISBN 978-3-7752-6058-9, EUR 39,00
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Am 6. März 1810 säkularisierte Hieronymus Napoleon I., König von Westphalen, nach 600- jähriger Existenz als geistliche Stiftung Arnolds von Dorstadt, das gleichnamige Augustinerchorfrauenstift. Nach dem Willen des Stifters sollte der Konvent den Regeln des heiligen Augustinus und der vita communis verpflichtet leben. Bei der Gründung 1189 erhielt das Kloster ein Dotationsgut von 45 Hufen. Bis 1250 wuchs dieser Grundbesitz durch Schenkung, Kauf und Tausch auf etwa 159 Hufen an. Bis 1300 kamen weitere 54 Hufen hinzu, und um 1350 war der bis zur Auflösung nachzuweisende klösterliche Gesamtbesitz von 241 Hufen weitgehend erreicht. Hinzu kamen Einnahmequellen aus Zehntrechten und eigenkirchlichen Besitzungen (zwei Pfarrkirchen und eine Kapelle).
Seit Ende des 14. Jahrhunderts wurde es für das Stift attraktiver, anstatt langfristig Kapital in Grundvermögen zu binden, was zudem ernteabhängig war, sich in der aufkommenden Geldwirtschaft, u.a. in Braunschweig und Goslar zu engagieren. Das von den bis dahin zumeist aus Braunschweig stammenden Pröpsten (rectores ecclesiae) als Leiter des Stiftes, Siegelführer und der Rechtsvertretung nach außen praktizierte Handlungsmuster beim Gütererwerb strebte nach Zentralisierung des Grundvermögens auf möglichst wenige, dem Kloster nahe gelegene Besitzungen und Orte, anstelle von entfernt liegendem Streubesitz. An der Spitze des Konventes standen die Priorinnen den zumeist rund 20 Ordensfrauen vor. Die Zahl der Canonissen stieg nie über 30 an. Die Dorstädter Priorin ging im Mittelalter in freier Wahl aus dem Konvent hervor, es gab im Stift kein Adelsprivileg für die Klosterführung. Nach Ende der Hildesheimer Stiftsfehde fiel Dorstadt, das bis dahin zum Hochstift Hildesheim gehört hatte, 1523 an das Fürstentum Braunschweig-Wolfenbüttel. Um dem Braunschweiger Einfluss zu entgehen, schloss sich Stift Dorstadt der Windesheimer Kongregation an, die das Haus 1630 de jure inkorporierte. Die Pröpste stammten nun durchweg aus Augustinerchorherrenstiften, die der Kongregation angehörten. Nach der Reformation bliebt das Wahlrechts des Konventes erhalten, allerdings übten jetzt herzogliche Räte die Aufsicht aus. Mit der Rekatholisierung wurde das ursprüngliche Konventswahlrecht wieder eingeführt. Die Chorfrauen der Anfangsjahre entstammten edelfreien und Ministerialenfamilien der Umgebung, seit dem 14. Jahrhundert bis zur Reformation traten vor allem braunschweigische Bürgerstöchter in das Kloster ein. 1568 wurde das Stift evangelisch, dadurch erhielt der Konvent Zuwachs von Töchtern adliger Familien aus den Wolfenbüttler Landen und in der katholischen Zeit seit 1629 von Töchtern aus Beamtenfamilien des Bistums Hildesheim.
Der Braunschweiger Bankier Wilhelm Löbbecke kaufte nach einer öffentlichen Ausschreibung 1810 das Gesamtanwesen für 330.000 Francs zur Nutzung als landwirtschaftlicher Betrieb und Rittergut. Bei dieser Gelegenheit erwarb er auch das Stiftsarchiv der Canonissen. 1802/03 wurde für Dorstadt ein jährlicher Überschuss von rund 5.100 Reichstalern aus dem Stiftsvermögen ermittelt. Die Gebäude und das Archiv des ehemaligen Augustinerchorfrauenstiftes befinden sich weiterhin im Eigentum der Familie Löbbecke. 1919 brannte die barocke Klosterkirche mit ihrer prächtigen Orgel nieder, lediglich ein Teil der Apsis blieb erhalten.
Das vom Bearbeiter sich selbst gesetzte Ziel der Edition versteht sich als dauerhafte Sicherungsmaßnahme und setzt auf die bequeme Zugänglichkeit des Urkundenmaterials für künftige Forschungen. Die Historische Kommission für Niedersachsen und Bremen nahm das zu besprechende Werk in ihre Reihe der "Roten Urkundenbücher" der Kommissionsveröffentlichungen als Band 258 auf. Ebenfalls Aufnahme fand das Buch in die Quellen und Erörterungen zur Braunschweigischen Landesgeschichte als deren Band 47.
In die Edition wurden insgesamt 324 Urkundenummern des Stiftes Dorstadt aufgenommen, die dem Prinzip der reinen Fondsedition folgt. Der Erhaltungszustand der Originale wird vom Bearbeiter als im Allgemeinen sehr gut bezeichnet, lediglich an den Siegeln gab es infolge deren Austrocknung Schäden. Die Urkundenüberlieferung bricht 1660 gänzlich ab. In den Anhang des Buches wurden zusätzlich ein Urkundeninventar und ein Sachinventar des Stiftes, weiterhin die Aufzeichnung der Gründungslegende sowie ein im Stift selbst abgefasster Bericht über die Tätigkeit der zwischen 1644 bis 1813 amtierenden Pröpste eingestellt.
Dem geschichtlichen Überblick (9-44), folgt die Edition der 324 Urkunden (45-318), der beschriebene Anhang (319-343), ein zuverlässiger Index der Personen und Orte (345-414), ein Index ausgewählter Wörter und Sachen (415-429), sowie schließlich der Nachweis der erhaltenen Siegel (431-435).
Die Publikation schließt eine wichtige Lücke in der Überlieferung der Kirchen- und Landesgeschichte im südlichen Niedersachsen. Erstaunlich ist, dass die Edition des Urkundenmaterials des Dorstädter Stiftsarchivs bisher nicht vorlag, da die Archivalien für nahezu alle größeren Urkundeneditionen der in der Umgebung liegenden Herrschaften intensiv genutzt wurden. Der Bearbeiter Uwe Ohainski kann dank zahlreicher Unterstützung, insbesondere durch die Familie von Hans-Jost von Löbbecke, eine gelungene Edition zur Erinnerung des Augustinerinnenstiftes Dorstadt vorlegen, der zahlreiche Nutzer gewünscht werden.
Klaus Wollenberg