Elizabeth A. New (ed.): Records of the Jesus Guild in St Pauls Cathedral, c.1450-1550. An Edition of Oxford, Bodleian MS Tanner 221, and Associated Material (= London Record Society Publications; Vol. LVI), Woodbridge / Rochester, NY: Boydell & Brewer 2022, XIV + 311 S., 6 s/w-Abb., ISBN 978-0-900952-62-3, GBP 60,00
Buch im KVK suchen
Bitte geben Sie beim Zitieren dieser Rezension die exakte URL und das Datum Ihres Besuchs dieser Online-Adresse an.
Arnd Reitemeier (Hg.): Klosterlandschaft Niedersachsen, Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte 2021
Birgitta von Schweden: Werke I + II. Aus dem Lateinischen übersetzt von Apollonia Buchinger OSsS. Mit einer Einleitung von Wilhelm Liebhart, St. Ottilien: EOS Verlag 2021
Stefanie Albus-Kötz: Von Krautgärten, Äckern, Gülten und Hühnern. Studien zur Besitz- und Wirtschaftsgeschichte des Prämonstratenserstifts Adelberg im Mittelalter 1178-1535, Ostfildern: Thorbecke 2014
Der zu besprechende Band enthält die Edition der überlieferten Urkunden der 'Fraternity of the Holy Name', besser bekannt als die 'Jesus Guild', 'Jesus-Bruderschaft' in der Krypta der St. Paul's Cathedral (London). Die historischen Dokumente entstammen der zweiten, dritten und vierten Dekade des 16. Jahrhunderts. Ergänzt werden sie durch Abschriften einiger dem 15. Jahrhundert zuzurechnenden Urkunden.
Religiöse Fraternitäten (Bruderschaften) waren im spätmittelalterlichen England ein bekanntes Phänomen - zumeist von Laien gegründet, in der Mitgliedschaft offen für Männer und Frauen. Dennoch hat sich die Bezeichnung "Bruderschaft" für diese Gemeinschaften durchgesetzt. Die Begriffe "fraternity","brotherhood" und "guild" wurden synonym für solche Zusammenschlüsse verwendet, auch wenn die Gruppen Frauen als vollberechtigte Mitglieder in ihre Reihen aufnahmen (2, n. 4).
Ihre Aufgaben sahen Fraternitäten, auch die Jesus Guild, im Abhalten von Gottesdiensten, dem öffentlichen Erinnern an die Seelen Verstorbener und dem Abhalten von Gebetsstunden für Wohltäter und Mitglieder der Bruderschaft, dargeboten im Zentrum der englischen Hauptstadt London. Vermutlich war die Jesus Guild die bekannteste Organisation des 15. und 16. Jahrhunderts, die mit dem Kult des Heiligen Namens verbunden war. Die Verehrung der zweiten Person der Dreieinigkeit, Jesus, blühte während des Spätmittelalters im Rahmen christlichen Frömmigkeitsstrebens förmlich auf - Jesus als der lebende und zugleich leidende Mensch.
Die älteste nachweisbar zu datierende Guild zu Ehren des Heiligen Namens wurde 1387 in Sheringham (Norfolk) gegründet. Seit der Mitte des 15. Jahrhunderts und insbesondere im frühen 16. Jahrhundert wurde landesweit eine Vielzahl von Jesus-Fraternitäten gegründet. Das früheste Datum der Londoner Jesus-Guild stammt aus dem Jahr 1455. Die Bruderschaft war in der Jesus-Kapelle innerhalb der Krypta von St. Paul's untergebracht, wo bereits eine früher gegründete Fraternität, die "Guild of St. Anne", ansässig war, die bald von der Jesus Guild "aufgesogen" wurde. Zu jener Zeit standen zwei königliche Beamte, Henry Benet ("clerk of the Privy Seal"), und Richard Ford ("Remenbrancer of the Exchequer" - Verwalter der Staatskasse) der Guild vor.
Feste und Gottesdienste wurden üblicherweise in der Krypta der Kathedrale abgehalten, seit den 1530er Jahren in der neu errichteten Saddlers' Hall. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts geriet die Jesus Guild in ernsthafte Schwierigkeiten, da Gelder von den Vorstehern unterschlagen und das Bruderschaftssiegel missbräuchlich verwendet worden war. Deshalb erfolgte 1506 eine Neuorganisation der Fraternität: Neue Strukturen wurden geschaffen, Schenkungen an die Guild wurden für die Stifter transparenter und jährliche Rechnungsabschlüsse, von denen einige in die vorliegende Edition aufgenommen wurden, eingeführt. Nach 1506 besoldete die Guild keine eigenen Priester mehr, stattdessen bezahlte man Angestellte und Priester der Kathedrale, um Gottesdienste und weitere Aktivitäten abhalten zu können. Nochmals 1514 wurden einige Ordnungsstrukturen verändert, die vermutlich den wirklichen Wendepunkt der reformierten Jesus Guild darstellen.
Die Musik spielte in der Jesus Kapelle eine bedeutende Rolle und stand auf hohem Niveau. Man leistete sich gut ausgebildete Chormitglieder nebst einer eigenen Orgel und schaffte zahlreiche Manuskripte und Musikhandschriften an. In der Öffentlichkeit wurden die Messen und religiösen Rituale der Jesus Guild regelrecht beworben und durch Werbetafeln bekanntgemacht.
Die Mitglieder der Jesus Guild werden von Susan Brigden als religiös konservativ und zugleich wohlhabend eingestuft. Insbesondere nach der Reorganisation wurde die Bruderschaft attraktiver für eine breite Anhängerschaft und Personen aus den reichsten Organisationen - zugleich nahm man aber auch Mitglieder auf, die in prekären wirtschaftlichen Verhältnissen lebten. Dadurch gerät die "andere", die soziale Seite der Guild ins Blickfeld.
Wie bei allen anderen religiösen Bruderschaften auch kamen die Aktivitäten der Jesus Guild Ende 1548 infolge eines Parlamentsbeschlusses zum Ende, durch königlichen Entscheid wurde sie jedoch 1556 wiederbelebt. Jetzt wurde allerdings eine radikal veränderte Organisationsstruktur mit einem Präsidenten, Vizepräsidenten und einem Rektor (alle waren Kleriker, entstammten aber nicht dem Kathedralklerus) geschaffen. Zusätzlich wurden zwei Master, vier Warden, zwei Senior- und zwei Juniorvertreter von den Laien (Bruderschaftsmitgliedern) gewählt. Hinzu kamen noch zwölf beratende Assistenten.
Über zwanzig Jahre hinweg, 1514/15 bis 1534/35, haben sich die Jahresrechnungen der Bruderschaft erhalten. Sie bilden einen wichtigen Bestandteil der vorliegenden Edition.
Kurze Auszüge aus der Handschrift Bodleian MS Tanner 21 wurden bereits im späten 19. Jahrhundert von William Sparrow Simson, dem seinerzeitigen Sub-Dean der St.-Pauls-Kathedrale veröffentlicht. Er war zugleich Archivar der Bruderschaft und konnte deshalb auf den reichen Urkundenbestand zurückgreifen. Zwischenzeitlich ist diese Druckfassung vergriffen und zudem wenig zugänglich, sodass die vorliegende neue Edition von Elizabeth A. New mit dem Ziel angegangen wurde, den umfangreichen Archivbestand der Jesus Guild einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Die Bodleian Library besitzt heute einen großen Bestand mittelalterlicher Manuskripte, der aus der Bibliothek des früheren Bischofs Thomas Tanner (1674-1735) stammt.
Alle zwanzig Abrechnungen folgen der gleichen Aufmachung und starten mit dem Verweis auf die beiden amtierenden Vorsteher. Anschließend wird mit der Nennung des Überschusses des vorausgegangenen Jahres fortgefahren, gefolgt von den im Laufe des Jahres zurückgezahlten Schulden an die Bruderschaft. Es schließen sich die Auflistungen der jährlichen Einnahmen und Ausgaben sowie die Bezeichnung der neu bewilligten Kredite an. Grundsätzlich sind die Abrechnungen in englischer Sprache geschrieben, es finden sich jedoch auch die üblichen lateinischen Standardworte und Phrasen. Der Editionstext ist, soweit notwendig, komplett ins Englische übersetzt.
Die Abrechnungen ermöglichen es, die finanzielle Situation und das Alltagsgeschäft der Jesus Guild im frühen 16. Jahrhundert darzustellen. Zugleich bieten sie eine enorme Fülle an Informationen über den Londoner Handel, das Handwerk und die Gewerbe der Zeit. Dabei wird Licht auf jene Menschen geworfen, die in Kontakt mit der prestigeträchtigen Bruderschaft traten.
Im Anhang I findet sich die Bestätigung der Kirchengemeinde St. Faith, die ebenfalls in der Krypta von St. Paul's untergebracht war, ausgestellt von der königlichen Kommission für Kirchengüter aus dem Jahr 1552. Das Dokument ist wertvoll, weil es detaillierte Beschreibungen der Kapelle enthält, in der sich auch die Jesus-Bruderschaft traf. Der Anhang II enthält kurze Biographien aller Vorsteher ("wardens") der Guild, die im edierten Text namentlich nachgewiesen werden konnten.
Ein ausgewähltes Glossar und ein ausführlicher Index mit Personen- und Ortsverzeichnis komplettieren die interessante und informative Edition zur Geschichte christlicher Bruderschaften und deren Eingebundensein in die Gesellschaft und Wirtschaft des 16. Jahrhunderts in England.
Klaus Wollenberg