Mikołaj Gładysz: The Forgotten Crusaders. Poland and th Crusader Movement in the Twelfth and Thirteenth Centuries, Leiden / Boston: Brill 2012, XXV + 433 S., ISBN 978-90-04-18551-7, EUR 182,00
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
Wie entstand das Phänomen der Kreuzzüge im Mittelalter? In welchen Formen entwickelten und veränderten sich Kreuzzüge? Welche Folgen für die beteiligten Akteure und die betroffenen Gebiete zogen sie nach sich? Dies sind nur einige der Fragen, die in den vergangenen Jahren immer wieder in einschlägigen Forschungsarbeiten behandelt wurden. Dabei haben neben Untersuchungen zu politischen, wirtschaftlichen und religiösen Aspekten vor allem Diskussionen um die kulturelle Bedeutung der Kreuzzüge für die Reiche des mittelalterlichen Europa an Bedeutung gewonnen. Gleichwohl darf die Frage, inwiefern Polen im 12. und 13. Jahrhundert von Kreuzzügen und Kreuzzugspropaganda tangiert und beeinflusst wurde, durchaus als Randthema, als in der Forschung kaum beachtete Marginalie bezeichnet werden.
Diesem Themenkomplex wendet sich das Buch des Danziger Historikers Mikołaj Gładysz zu, das bereits 2002 in polnischer Sprache erschienen ist und nun in englischer Übersetzung vorliegt. In seiner Studie, die auf einer Dissertation aus dem Jahr 2000 beruht, spürt Gładysz Formen der direkten und indirekten Beteiligung Polens an Kreuzzügen zwischen 1095 und 1291 nach. Nur vermeintlich legt der gewählte Untersuchungszeitraum nahe, dass sich der Verfasser in traditioneller Sicht auf die Orientkreuzzüge konzentrieren könnte; Gładysz sieht sich vielmehr einem umfassenden Verständnis von Kreuzzügen verhaftet und versteht diese als dynamisches kulturelles Phänomen, das sich in der westlichen Christenheit auf der Grundlage älterer Konzepte, konkret des Heiligen Krieges und des Pilgertums, entwickelt habe (2). Unter dem Begriff "Kreuzzüge" seien mithin alle (kriegerischen) Initiativen zur Verteidigung der Christenheit zu fassen, die auf Grundlage einer päpstlichen Lizenz stattfanden und den Teilnehmern heilswirksame Vergünstigungen verhießen. Statt einzelner Ereignisse interessieren Gładysz grundlegende Strukturen ebenso wie ihre Verwirklichung in unterschiedlichen kulturellen und politischen Kontexten. Im Mittelpunkt seiner Untersuchung steht folglich das, was er als "formula behind the crusading expeditions" (4) bezeichnet - eben jenes Zusammenspiel von päpstlicher Lenkung, eidlicher Verpflichtung der Teilnehmer und Heilsverheißung, das der Verfasser nicht nur in den Levantezügen zur Befreiung oder Verteidigung des Heiligen Landes erkennt, sondern auch in Unternehmungen, die der Bekämpfung von Heiden oder Häretikern in Europa galten.
Erwartet man nach dieser offenen Begriffsbestimmung jedoch einen einseitigen Fokus auf die Geschichte der Preußenzüge und die Beteiligung polnischer Herrscher und Fürsten daran, so verkennt man den umfassenden Anspruch des Autors. Gładysz prüft in chronologischer Abfolge vielmehr kleinere Zeitabschnitte hinsichtlich der Entwicklung des zeitgenössischen Verständnisses und der organisatorischen Struktur der Kreuzzüge im europäischen Kontext. Um das Verhältnis Polens zu dieser Entwicklung auszuloten, konzentriert sich der Verfasser vor allem auf drei Fragen, nämlich wie der Aufruf zu Kreuzzügen Polen konkret tangierte, wie die "Ideologie" der Kreuzzüge die zeitgenössische Rezeption beeinflusste und auf welchen weiteren Wegen Kreuzzugsideen nach Polen diffundierten.
Schon diese breite Perspektive deutet an, dass nach einer polnischen Beteiligung an den Kreuzzügen auf mehreren Ebenen gefragt werden muss - eine Notwendigkeit, die der dürftigen Quellenlage geschuldet ist. So lässt sich eine direkte Kreuzzugsbeteiligung eines polnischen Fürsten gesichert erst mit der Teilnahme Mieszkos III. am Wendenkreuzzug im Jahr 1147 nachweisen; hinsichtlich eines mögliches Engagements Henryks von Sandomierz während der Levante-Kreuzzüge jener Zeit muss sich der Verfasser dagegen auf hypothetische Schlussfolgerungen zurückziehen (vergleiche Kapitel 2). Auch den Befund, dass weitere Hinweise auf eine Beteiligung polnischer Fürsten an den Kreuzzügen des 12. Jahrhunderts nur marginal belegt sind und sich diese Beteiligung im europäischen Vergleich überdies gering ausnahm, geht Gładysz offensiv an: Er argumentiert, dass in Polen als einem noch "jung christianisierten" Land (hier wird das bekannte Diktum Jerzy Kłoczowskis vom "jüngeren Europa" aufgegriffen) westliche Vorstellungen und Ideale von Rittertum erst langsam etabliert, gerade durch die Teilnehmer an den Kreuzzügen aber dann zunehmend verbreitet worden seien - die Idee der Kreuzzüge sei mithin auch ein Aspekt eines "Kulturmodells" westlicher Vorstellungen gewesen (386).
Weitaus überzeugender als diese recht vage dichotome Kulturdeutung ist Gładysz' Darstellung der Fokusverschiebung päpstlicher Kreuzzugspolitik im 13. Jahrhundert und ihrer Folgen für Polen. Durch die Anerkennung der baltischen Züge gleichsam als Supplement für die Kreuzzüge in die Levante sei Polen in der päpstlichen Kreuzzugspolitik eine weitaus größere Bedeutung beigemessen worden. Den polnischen Fürsten, die sich an Kreuzzügen etwa gegen die Prußen beteiligten, vermochte die Kreuzzugspropaganda eine neue Legitimationsgrundlage in den Kämpfen gegen die paganen Nachbarn zu verleihen. Schließlich sollte sich durch die dauerhafte Präsenz von Kreuzrittern in Polen, dies ist Gładysz' zweiter großer Befund, das Verhältnis Polens zu Kreuzzugsinitiativen grundlegend verändern: Ihre Aktivität bot den polnischen Adeligen die Möglichkeit zur direkten Beteiligung an Kämpfen oder eben auch zu deren Unterstützung durch eine nachhaltige Stiftungstätigkeit. Überdies vermochte die Idee des Kreuzzugs gegen die heidnischen Nachbargebiete auch politisch integrierend zu wirken, wie etwa das auf Initiative vor allem des Deutschen Ordens und der Dominikaner erreichte Zusammenwirken fünf eigentlich miteinander in Konflikt stehender Piastenfürsten im preußischen Kreuzzug 1235 zeigt (235). Die Propaganda und Durchführung von Kreuzzügen wurde, so lassen sich Gładysz' Ausführungen knapp zusammenfassen, also zu einem politischen Instrument, das in ganz unterschiedlichen Kontexten eingesetzt werden konnte. Zweifellos liegt Gładysz richtig, wenn er - in Folge der zunehmenden Abwendung päpstlicher Politik von den Levante-Kreuzzügen - gerade für das 13. Jahrhundert Kreuzzugsbewegungen als ein präsentes Element sowohl im politischen als auch im religiösen Leben Polens charakterisiert und damit auch das päpstliche Engagement in Nordeuropa verständlich macht; gleichzeitig greift sein breites Verständnis von Kreuzzügen gerade in Bezug auf die Konflikte im 13. Jahrhundert an mancher Stelle etwas zu weit - Kapitel 9, das die Ereignisse der Jahre 1240-1248 behandelt, heißt bezeichnenderweise dann auch "Crusading on All Fronts" (213).
Im letzten Kapitel, das die Entwicklung der Kreuzzüge bis zum Fall von Akkon beschreibt, findet auch ein knapper Ausblick auf die folgenden Jahrhunderte Platz. Gładysz argumentiert hier einmal mehr, dass durch den Kollaps der Kreuzfahrerstaaten in der Levante der Gravitationspunkt päpstlicher Kreuzzugspolitik endgültig verschoben worden sei. Während in Europa immer wieder unterschiedliche "Kreuzzugsfronten" eröffnet worden seien, habe sich das "traditionelle" Konzept der Kreuzzüge als einer von den Päpsten ausgerufenen und gesteuerten Massenbewegung auf lange Sicht nicht als politisches Instrument, wohl aber als ständiges Element kirchlicher Rhetorik erhalten können (383).
Bei der Lektüre des Buches bilden die enthaltenen Karten und vor allem die chronologische Übersicht über Kreuzzüge und polnische Kreuzfahrer eine dienliche Unterstützung. Bedauerlich ist freilich, dass die der Arbeit zugrundeliegende Literatur seit dem Jahr 2000 nur in Einzelfällen ergänzt wurde. Zwar begründet der Verfasser dies damit, dass sein Themenschwerpunkt Polen von keinen neueren Publikationen grundlegend neu beleuchtet worden sei; aber gerade die Diskussion zur europäischen Dimension der Kreuzzüge hat sich in den vergangenen zehn Jahren doch derart weiterentwickelt, dass das Unterlassen einer Aktualisierung gerade mit Blick auf Gładysz' dezidiert europäische Perspektive als Versäumnis verstanden werden muss.
Nichtsdestotrotz vermag Gładysz mit seiner Arbeit dem Anspruch, Erkenntnisse über die unterschiedlichen Wege zu gewinnen, auf denen die Bewegung der Kreuzzüge Polen im 12. und 13. Jahrhundert tangierte und beeinflusste, gerecht zu werden. Seine zumeist klug abgewogene, an manchen Stellen freilich etwas zu hypothetische Argumentation offenbart, dass sich polnische Fürsten nicht nur direkt an Preußen- und auch Levantekreuzzügen beteiligten, sondern auch indirekt über Land-, Geld- oder Stiftungsgaben. Gerade am Beispiel der Predigtorganisation zeigt sich, dass das kulturelle Leben im mittelalterlichen Polen vielleicht stärker von den Kreuzzügen beeinflusst war als bisher angenommen.
Julia Burkhardt