Kirsten Bernhardt / Barbara Krug-Richter / Ruth-E. Mohrmann (Hgg.): Gastlichkeit und Geselligkeit im akademischen Milieu in der Frühen Neuzeit, Münster: Waxmann 2013, 176 S., ISBN 978-3-8309-2759-4, EUR 29,90
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Der Band geht auf einen Workshop zurück, der 2010 im volkskundlichen Teilprojekt des Sonderforschungsbereichs 496 "Symbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme vom Spätmittelalter bis zur Französischen Revolution" an der Universität Münster veranstaltet wurde. Die versammelten Beiträge blicken auf die Bedeutung von Gastlichkeit und Geselligkeit im Prozess der Sozialisation und ihre Funktion im Rahmen der Identitätsstiftung und -bildung, die unbestritten sind. Studien zu dieser Thematik haben sich nach der Einschätzung der Herausgeberinnen bislang im Besonderen mit der Entstehung institutionalisierter Formen der Gastlichkeit und Geselligkeit, wie beispielsweise Lesezirkeln und Salons, befasst.
Der vorliegende Band nun nimmt die Studentenschaft, den Professorenstand und die frühneuzeitliche Gelehrtenkultur in den Blick. Er umfasst, nach einer Einleitung von Kirsten Bernhardt und Barbara Krug-Richter, insgesamt acht Beiträge zur frühneuzeitlichen Universitätskultur, die unterschiedliche Forschungsstände repräsentieren. Auf der einen Seite präsentierten Gudrun Emberger (zum Gemeinschaftsleben im ältesten Tübinger Privatkollegium, dem Martinianum), Elizabeth Harding (zu den Tischgemeinschaften in den Professorenhäusern), Gabriele Jancke (zu Gastlichkeit und Geselligkeit in der Gelehrtenkultur) und Beate Kusche (zum Wohnen, Studieren und Arbeiten in den Leipziger Magisterkollegien) bereits zentrale Ergebnisse ihrer Forschungen. Auf der anderen Seite nutzten Tina Braun, Mathias Hensel und Kirsten Bernhardt den Workshop, um ihre Forschungsprojekte vorzustellen und zu diskutieren.
Tina Brauns Dissertationsthema sind die sich im schwedischen Uppsala entwickelnden "nationen" und die deren Identität fördernden Feste. Sie kann in einem Zeitraum von vierzig Jahren deren Entwicklung aus einfachem geselligem Beisammensein hin zu immer feierlicheren Veranstaltungen aufzeigen. Es handelte sich dabei um Festivitäten, die Studenten sowohl zu Beginn als auch zum Abschluss für die übrigen Mitglieder der Nation auszurichten hatten. Genügte anfangs, um 1660, der Genuss von Bier und Tabak, so gehörte später ein gut gedeckter Tisch, aber auch Dekoration und Musik ganz selbstverständlich zur Feier hinzu. Aufbauend auf den Ergebnissen seiner Magisterarbeit widmet sich Mathias Hensel dem Verhältnis zwischen der Stadt Jena und der dort um die Mitte des 16. Jahrhunderts gegründeten Hohen Schule. Wiewohl sehr viele Bürger von der Gründung profitierten, blieb das Zusammenleben von Stadt und Universität nicht konfliktfrei. Studentisches Leben in der Stadt war ein steter Konfliktherd, darunter auch die geselligen Treffen der Studenten in den Wirtshäusern, nächtliches Lärmen und Musik. Kirsten Bernhardt untersucht in ihrem Forschungsprojekt jene Formen studentischer Geselligkeit, die 1713 und 1726 als Protestaktionen eingestuft wurden und deshalb als deviantes Verhalten ihren Niederschlag in den Gerichtsprotokollen der Universität Leipzig gefunden haben. Auch hier spielten der Genuss von Bier und Tabak, aber auch Spazierengehen eine zentrale Rolle. Diese Münsteraner Tagungsbeiträge werden ergänzt durch den Beitrag von Christin Veltjen-Rösch, die sich in vergleichender Perspektive mit der akademischen Gerichtsbarkeit in Jena und Marburg befasst. Im Unterschied zu den vorausgehenden Perspektiven geht sie von der universitären Seite aus und stellt die Reglementierungen studentischer Geselligkeit in den Mittelpunkt ihres Interesses. Sie sind von der Sorge um den Ruf der Universität, der Wahrung der öffentlichen Ordnung in der Stadt sowie von den universitären Aufsichtspflichten getragen.
Die hier vorgestellten Studien zum studentischen Alltag, zu Festen, Tumulten, Konflikten und Gastlichkeit erweitern das Forschungsfeld der Universitätskultur um eine dominant studentische Perspektive. Es kommt wohl nicht von ungefähr, dass Gudrun Emberger, Elizabeth Harding und Beate Kusche dafür plädieren, den Geselligkeitsbegriff in Richtung auf den Gemeinschaftsbegriff zu erweitern, bringt doch der Gemeinschaftsbegriff die symbolische Praxis der frühneuzeitlichen Universitätskultur, ihre identitätsstiftende Wirkung und ihre In- und Exklusionsmechanismen noch prägnanter zum Ausdruck als dies der Begriff der Geselligkeit vermag. Dass sich die Herausgeberinnen dennoch dafür entschieden haben, an ihrer ursprünglichen Formulierung "Gastlichkeit und Geselligkeit" festzuhalten, wird die Diskussion um "[s]ymbolische Kommunikation und gesellschaftliche Wertesysteme" weiter befördern. Der Band gibt wichtige Impulse für die weitere Forschungsarbeit zur frühneuzeitlichen Universitätskultur.
Sabine Holtz