Wolfgang Schmale: Das 18. Jahrhundert, Wien: Böhlau 2012, 425 S., ISBN 978-3-205-78841-6, EUR 39,00
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Wolfgang Schmale / Martin Gasteiner / Jakob Krameritsch u.a.: E-Learning Geschichte, Wien: Böhlau 2007
Das Achtzehnte Jahrhundert von Wolfgang Schmale ist das Ergebnis von mehr als dreißig Jahren origineller und leidenschaftlicher Aufklärungsforschung, deren Etappen das erste Kapitel mit dem Titel "Mein achtzehntes Jahrhundert" in beeindruckender Weise zusammenfasst. Wiederholt wurde Schmale im Laufe dieser eingehenden Auseinandersetzung mit dem 18. Jahrhundert mit Begriffen und Kernthemen konfrontiert, die die Forschung prägen und gleichzeitig spalten. Daraus entstand der Wunsch, diese Themen auf dem Hintergrund ihrer historiografischen Verwendung besser zu erfassen. Ebenfalls ist ihm aufgefallen, dass die Aufklärungsforschung in der Regel zwischen einer ideengeschichtlichen und einer sozial- und mentalitätsgeschichtlichen Herangehensweise schwankt und somit in zwei Richtungen mündet, die sich nicht immer vereinbaren lassen. Um bei der Bearbeitung einer solch vielschichtigen und komplizierten Epoche wie der Aufklärung beiden Gefahren zu entgehen, hat Schmale die methodologische Entscheidung getroffen, stets Mikro- und Makroanalysen zu kombinieren. Dadurch erhoffte er sich eine Überwindung der Kluft zwischen Ideen- und Sozialgeschichte. Dabei hat er bedeutsame Entwicklungen in der Forschung der letzten 25 Jahre vor allem im Bereich der Gender Studies und des "kulturellen Transfers" konsequent berücksichtigt.
Das Buch wird in sieben Kapitel gegliedert. Im ersten (19-56) stellt er fest, dass sich der Begriff "Absolutismus" weiterhin großer Beliebtheit in politischen Diskursen erfreut, während er in der Forschung nicht unumstritten, ja zum Teil sogar als Mythos abgetan ist (vgl. Nicholas Henschall, The Myth of Absolutism, 1992). Folgerichtig spürt Schmale die Verwendung des Begriffes in der politischen Theorie des 16. Jahrhunderts einerseits und in Anlehnung an Elias' Thesen zu Frankreich in seinem Gebrauch im historischen Diskurs zum 17. Jahrhundert andererseits auf, bevor er sein Augenmerk auf den für das 18. Jahrhundert grundlegenden "aufgeklärten Absolutismus" richtet. Diese Bezeichnung, so Schmales These, gilt eigentlich nur für den Josephinismus, der als Ausdruck eines systemischen Denkens die einzige Form eines aufgeklärten Absolutismus in dieser Zeit sei. Parallel dazu zeigt Schmale, dass die Herrschaftspraxis der sich auf die Theorien der Moderne (Bodin) berufenden französischen Könige zu Konflikten mit dem sich als "aufgeklärt" verstehenden Parlament führte und somit die Grundlage zu einer Kritik am Despotismus legte, dem der "aufgeklärte Despotismus" entgegengesetzt wurde. Zuletzt untersucht Schmale, wie sich sowohl auf diesem historischen Hintergrund als auch als Reaktion auf die jeweilige politische Situation der Begriff "Absolutismus" im geschichtswissenschaftlichen Diskurs entfalten konnte. Dabei analysiert er in einer bemerkenswerten Übersicht die Unterschiede zwischen der französischen und der deutschen Tradition bzw. die Interferenzen zwischen beiden und arbeitet präzise die Nuancen heraus, die der Rekurs auf den Begriff "Absolutismus" bis zur jüngsten Gegenwart an den Tag fördert. Somit liefert Schmale eine exzellente Orientierung, um auch die zukünftige Verwendung des Begriffs in der Forschung besser einschätzen zu können.
Das Kapitel zu den "Grundrechtskulturen" (57-130) zeigt ebenfalls die ausgeprägte Fähigkeit des Autors, verschiedene Ebenen in einem kohärenten Ganzen zu integrieren. Während in den letzten Jahren die Aufklärungsforschung verstärkt die Entwicklung der naturrechtlichen Traditionen in Europa untersucht, bezieht Schmale auch sozial- und mentalitätsgeschichtliche Aspekte ein und spannt somit den Bogen zwischen Diskurs- und Praxisebene. Sich von der am Anfang der französischen Revolution weit verbreiteten und zum Teil noch heute geteilten Ansicht, das Ancien Régime sei ein Zustand der Rechtlosigkeit gewesen, distanzierend, zeigt Schmale, dass es sehr wohl vor 1789 eine komplexe "Rechtskultur" gab. Unter diesem Begriff, den Schmale bereits 1986 in Bezug auf Frankreich verwendete, versteht er gerichtliche Institutionen, Entwicklung von Rechts- und Gesetznormen, Rechtsdenken sowie die Praxis des Rechts- und Gesetzlebens. Legitimerweise stellt er fest, dass erst die Revolution von 1789 in Frankreich und von 1848 in Deutschland den Begriff eines Grundrechts konkretisierte, und zwar auf der Grundlagen breiter, seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts geführter und hier sehr detailliert dargestellter Debatten zum Naturrecht bzw. zu den Menschenrechten. Dass ersteres unter den verschiedenen nationalen und sozialen Kontexten unterschiedliche Formen annimmt, illustriert er einleuchtend am Beispiel der Dorfkultur in Deutschland und Frankreich (und macht sich dabei die statistische Methode sehr sinnvoll zunutze).
Die gleiche Sorge um Differenzierung prägt das Kapitel zu den Wissenskulturen (131-203), die den Autor dazu führt, die traditionelle Beschreibungsweise der Aufklärungsforschung, die er kurz skizziert (132) abzulehnen. Unkonventionell - was keinesfalls als abwertend betrachtet werden darf - ist ebenfalls die Art und Weise, wie er an die traditionelle Unterscheidung zwischen Volks- und Elitekultur herangeht, sei es doch gar nicht sicher, dass das Ancien Régime, zumindest bis zum 18. Jahrhundert im Bewusstsein von zwei Kulturen gelebt hätte. Denn erst ab diesem Zeitpunkt wird das "Volk" entdeckt. Dabei stellt Schmale eine Diskrepanz fest zwischen den undifferenzierten Definitionen des Volks seitens der Aufklärer und der viel klareren Selbstwahrnehmung seiner Vielschichtigkeit durch das Volk. Folgerichtig gibt es demnach einen Kontrast zwischen dem aufklärerischen Willen, das Volk zu erziehen, und einer schillernden Wirklichkeit. Dieser Vielseitigkeit trägt Schmale Rechnung, indem er sie auf der Grundlage der von Dietrich Busse vorgeschlagenen Kategorien des Situations-, des kontextuellen und des diskursiven Wissens analysiert (und sie gleichzeitig modifiziert systematisiert). Ebenfalls operiert er stringent mit den Begriffen von "Visualisierung" und "Gedächtnis", bevor er sich am Beispiel der Dorfkultur mit dem Problem der Konstitution bzw. der Dynamik des Wissens im 18. Jahrhundert auseinandersetzt. In einem weiteren Schritt zeigt er dann, wie sich die Wissenskultur mit der Französischen Revolution maßgeblich verändert und welche Formen das politisch-kulturelle Gedächtnis nunmehr annimmt. Zuletzt lenkt Schmale sein Augenmerk auf die Schulpolitik dieser Epoche und arbeitet einige, die nationalen Grenzen transzendierenden Charakteristika heraus (wie das Konzept der nationalen Erziehung oder die Verbindung zwischen Elementarschule und Vermittlung religiösen Wissens). Dass er dabei die Unterschiede zwischen den Ländern keineswegs verwischt, hängt mit der präzise formulierten Typologie der Wirkkräfte zusammen, die der Schul- bzw. Bildungsreformpolitik zugrunde liegen.
Diesen Bogen zwischen Universalismen und Partikularismen findet man in dem gleichfalls sehr gelungenen Kapitel zur Geschlechteranthropologie in der Aufklärung (205-240). Dieser fängt mit einer langen Studie zu Ulrich Bräker (1735-1798) an, der sich im Verlauf des Kapitels als symptomatisch für die neuen anthropologischen Konzepte der Männlichkeit sowie der Weiblichkeit in der Aufklärung erweist. Äußerst plausibel stellt Schmale eine Verbindung zwischen diesen auf einem essenzialistischen Identitätsbegriff beruhenden Geschlechtertheorien und den pädagogischen Orientierungen der Zeit her und deutet somit stringent die Tragweite der damals bedeutsamen militärischen Erziehung an. Wiederum wird hier die Französische Revolution eine Tendenz zu ihrem Höhepunkt führen, indem sie die Hegemonie des Männlichkeitsmodells behaupten wird (auch wenn diese fast ein Jahrhundert brauchen wird, um sich tatsächlich zu realisieren). Besonders interessant ist die von Schmale analysierte Verflechtung vom Männlichkeits- und Regenerationsdiskurs.
Das nächste Kapitel "Die Suche nach dem anderen Gott" (241-288) belegt erneut den originellen Ansatz des Verfassers, der von der Bedeutung des Begriffs "Verfassung" in der Zeit ausgeht und dann zeigt, wie dieser Begriff als Ersatz für "religiöse Horizonte" und "als Rahmen für die Seinsgestaltung des Menschen fungiert" (243). Somit ist die Verankerung des Begriffs ein Beleg für die "Marginalisierung Gottes" sowie den Rückgang religiöser Praxen (Schmale vermeidet bewusst und legitim den Begriff "Entchristianisierung"). Gleichzeitig gewinnen die politischen Mythen an Bedeutung, was zu einem z.T. paradoxen Verlust der psychologischen Basis der Monarchie führt. Danach beschreibt Schmale eingehend den Begriff "Verfassung" und dessen "Ideologisierung", die in der Revolution kulminieren wird.
Das Kapitel "Kultur Europa" (289-351) erläutert, wie die Aufklärung als europäisches Phänomen - bei gleichzeitigem Bewusstsein, auch damals, der länderspezifischen Unterschiede - die Gegenwart geprägt hat, indem sie Kulturmodelle und Konzepte geschaffen hat, die weiterhin relevant sind. Dies gilt insbesondere für den Begriff der "bürgerlichen Gesellschaft". Das Verständnis dessen, was sie ist, setzt der Verfasser richtigerweise mit der Anthropologie der Aufklärung in Verbindung und zeigt, wie dieser zu einer stärkeren Durchlässigkeit innerhalb der Gesellschaft, d.h. zu mehr Beweglichkeit über die religiösen und sozialen Grenzen hinaus führen konnte. Dass dies nicht nur reine Theorie war, sondern zur Grundlage politischen Handelns wurde, zeigt er am Beispiel der Französischen bzw. der anderen Revolution, die am Ende des 18. Jahrhunderts die Welt erschüttern. Legitimerweise positioniert er sich zur Frage der von Godechot definierten "atlantischen Revolution". Den Umbruchscharakter der Epoche belegen ebenfalls einige, in früheren Kapiteln bereits eruierte Aspekte wie die Geschlechterordnung, die jetzt aus der nachrevolutionären Perspektive betrachtet wird. Dabei konstatiert Schmale, dass die Aufklärung nicht nur diese Konzepte und Modelle geschaffen, sondern auch das Bestreben unterstützt hat; "Europa als Kultur im Singular zu definieren" (313). Wie dies geschah, versucht er zu rekonstruieren, indem er unter anderem auf die Arbeiten von François Hartog ("Anciens, sauvages et modernes" 2005) und dem von Daniel Fulda vorgeschlagenen Konzept der "Kulturmuster" (2010) rekurriert. Wie ein Transfer auf der Grundlage kultureller Referenzen erfolgt, erklärt der Autor anschließend am Beispiel der Habsburger Monarchie.
Abgerundet wird der Band mit einem kleineren Nachwort "Unbehagen an der Aufklärung" (353-369). Beim ersten Blick verwundert dieser Titel, geht doch Schmale zuerst auf die "Möglichkeiten positiver Rückbezüge" ein, die die Aufklärung im Leben Viktor Klemperers oder Gerald Stourzhs darstellte, oder auf den emanzipatorischen Charakter der Aufklärung für andere Kulturen. Trotz dieser immensen Bedeutung erklärt sich der Titel allerdings durch die Debatten, die die Aufklärung seit der Mitte der 40er-Jahre des vorigen Jahrhunderts hervorgerufen hat. Diese Diskussionen (von Adorno bis Jonathan Israel) skizziert der Verfasser - wobei er zu recht einige Ansätze, wie den z.B. von Lawrence Birken zurückweist - und er erinnert daran, dass die Kritik an der Aufklärung ihre Wurzel in der Aufklärung selbst hat. Dass diese Debatten z.T. auf der "Uneinigkeit" bezüglich der Definition von Aufklärung beruhen, sei ein Indikator für die "Unabgeschlossenheit" derselben.
Mit einem solchen Plädoyer für eine Fortsetzung der Aufklärung endet dieser beeindruckende Band. Beindruckend ist er nicht nur, weil Schmale souverän mit den Erträgen einer fünfzigjährigen Aufklärungsforschung operiert, sondern auch, weil er diese an Fallbeispielen erprobt, verifiziert und gegebenenfalls relativiert. Mittels dieses Wechselspiels von Makro- und Mikroanalysen entwirft Schmale mit Das achtzehnte Jahrhundert ein Mosaikbild der Aufklärung, das alle Kernthemen dieser Epoche integriert und in ihrer Vielschichtigkeit darstellt.
Diese wissenschaftlich hochwertige Studie ist allen zu empfehlen, die über eine fundierte Kenntnis der Aufklärung verfügen möchten.
Christophe Losfeld