Marian Füssel: Der Preis des Ruhms. Eine Weltgeschichte des Siebenjährigen Krieges, München: C.H.Beck 2019, 656 S., 25 s/w-Abb., 13 Kt., ISBN 978-3-406-74005-3, EUR 32,00
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Die neue Militärgeschichte, die ihr Thema in kultur- und alltagsgeschichtliche Dimensionen erweiterte, erschließt zunehmend globale Perspektiven. Es ist also kein Zufall, dass sich der Siebenjährige Krieg, dessen weltgeschichtliche Bedeutung vor nicht allzu langer Zeit durchaus umstritten war [1], neuer Aufmerksamkeit erfreut. Dieser sich über mehrere Kontinente erstreckende Großkonflikt, der in der Historiografie des 19. Jahrhunderts allzu oft auf den preußisch-österreichischen, allenfalls auch russischen Gegensatz konzentriert und reduziert worden ist, wird durch Füssel nun im Lichte einer internationalen Spezialforschung analysiert, deren Präsentation und Auswertung das eigentliche Verdienst dieses Buches ist. Neue handschriftliche Quellen werden nicht erschlossen, wohl aber solche publizierten Egodokumente breit herangezogen, die die Ereignisse im Erleben und in der Wahrnehmung auch des gemeinen Mannes spiegeln.
Mit dieser modern erweiterten Perspektive werden die politischen und militärischen Ereignisse seit der Mitte der 1750er-Jahre geschildert, konzentriert auf militärische Aktionen und ergänzt um die "Wahrnehmungen und Erfahrungen des Kriegsalltags" (389 ff.), während die zum Teil mehrjährige Besatzungspraxis durch fremde Truppen mit ihrem recht unterschiedlichen, teilweise noch ausgeprägt traditionelle Züge aufweisenden Bild trotz neuerer Forschungen nur gestreift wird. Die mediale Begleitung der Ereignisse findet intensive Beachtung (zum Beispiel 264, 315 ff., 425 f. und öfter), auch die gezielte Skandalisierung von Kriegsparteien, die ja schon im Dreißigjährigen Krieg nachhaltige Wirkungen zeitigte. Für die Zeit seit 1758 wird die tendenzielle Ausweitung der Kampfräume auf der Basis älterer und neuerer, jedenfalls internationaler Literatur und illustrativem Kartenmaterial aufgezeigt, die Konfrontationen in Nordamerika und Europa, an den Küsten Afrikas und nicht zuletzt in Indien und in der Karibik, schließlich in Lateinamerika (438 f.). Auch der Siebenjährige Krieg kannte hier und da die Technik der verbrannten Erde (277, 297).
Die Verhandlungen zum Hubertusburger Frieden werden knapp referiert, die mediale Inszenierung, die Friedensfeiern in Breite betrachtet und sodann die Rückwirkungen der weltweiten Konflikte auf Europa geschildert, in Verlustziffern und ökonomischen Wirkungen. Auch "Reformen und Revolutionen" als Konsequenzen des Krieges werden knapp skizziert (494-496), ein ausbaufähiger Aspekt sowohl für Österreich seit 1760 als auch zum Beispiel für Preußen, dessen berühmte Verwaltung - schaut man genauer hin - der Belastung dieses Großkampfes nicht genügte und kollabierte, mit langfristigen Wirkungen auf die Rekonstruktion und Wandlung staatlicher Strukturen schon seit 1763/70. Überhaupt wäre zu dem gewiss tradierten Thema "Staatsverfassung und Heeresverfassung" im Lichte heutiger Fragestellungen noch viel zu sagen, auch über solche Phänomene, die gerade nicht in Medien und symbolischer Kommunikation erkennbar werden durften, zum Beispiel eine auffällige Renaissance ständischer Organe, besonders leistungsstark im Österreich dieser Jahre bei der zur Kriegsfinanzierung erforderlichen Kreditschöpfung, aber nicht nur hier. Die dezidierte Akteursperspektive, so wichtig und illustrativ sie ist, kann anonymere Prozesse nicht gut erfassen. Aber auch sie gehören zum Thema der kurz- und mittelfristigen Folgen kriegsbedingter Überlast-Lagen. Die Perspektive von "Staatsverfassung und Heeresverfassung" (Otto Hintze) [2], die gegenwärtig in den globalgeschichtlich forschenden Sozialwissenschaften weitgreifende Fragestellungen international entwickelt [3], scheint nicht gut anschlussfähig zu sein für kulturgeschichtliche Studien wie die vorliegende. Vielleicht liegen darin auch Erkenntnisgrenzen des derzeit dominanten geschichtswissenschaftlichen Paradigmas überhaupt.
Verdienstvoll ist Füssels Versuch einer "weltgeschichtlichen" Rekonstruktion dieser Kriegsphase, in Distanz sowohl zur preußisch-österreichischen wie zur britisch-französisch verengten Perspektive (vergleiche 18), nun mit starkem Gewicht von Wahrnehmungs- und Deutungsperspektiven der Zeitgenossen. Für die weitere Spezialforschung auf diesem Felde bietet Füssel ein nützliches, wertvolles Kompendium. Das, was die ältere Forschung im 19. und 20. Jahrhundert so sehr beschäftigte, die lang- und mittelfristigen, auch mächtepolitischen Konstellationen [4], bleiben bei Füssel außen vor (vergleiche zum Beispiel 95 f.), so dass auch die seit Walther Mediger, Herbert Butterfield und sodann Herbert H. Kaplan herausgearbeitete Rolle Russlands seit der Mitte der 1740er-Jahre für die Kriegsspannungen in Europa undiskutiert bleibt, die für die europäische Kriegskonstellation die ältere preußisch-österreichische Verengung endgültig überwand [5].
Füssel kehrt mit seiner globalisierten Sicht zu einer Perspektive der Zeitgenossen zurück, die - bisweilen in erstaunlicher Weise [6] - um die weltweiten Kämpfe wussten, zuletzt zum Beispiel auch um die Vorgänge um Havanna im Jahre 1762. Verengungen aus nationalen Geschichtsschreibungen aufgebrochen zu haben, indem die weltweite Historiografie zum Siebenjährigen Krieg aufgearbeitet wurde, kennzeichnet das verdienstvolle Buch von Marian Füssel.
Anmerkungen:
[1] Mit der Kontroversliteratur: Klaus Zernack: Das preußische Königtum und die polnische Republik im europäischen Mächtesystem des 18. Jahrhunderts (1701-1763), in: Jahrbuch für die Geschichte Mittel- und Ostdeutschlands 30 (1981), 4-20, hier 14 f., in Auseinandersetzung mit der älteren preußischen Historiografie und zuletzt mit Johannes Kunisch.
[2] Klassisch und weiterführend zugleich: Otto Hintze: Staatsverfassung und Heeresverfassung, zuerst 1906, wieder in: Ders.: Staat und Verfassung. Gesammelte Abhandlungen zur allgemeinen Verfassungsgeschichte, mit neuer Einleitung von Fritz Hartung, hg. von Gerhard Oestreich, 3. erweiterte Auflage, Göttingen 1970, 52-83.
[3] Vergleiche insbesondere: Hans Joas / Wolfgang Knöbl: Kriegsverdrängung. Ein Problem in der Geschichte der Sozialtheorie, 2. Auflage, Frankfurt am Main 2016.
[4] Vergleiche nicht zuletzt auch heute noch: Max Braubach: Versailles und Wien von Ludwig XIV bis Kaunitz. Die Vorstadien der diplomatischen Revolution im 18. Jahrhundert (= Bonner Historische Forschungen; Bd. 2), Bonn 1952, mit Rückgriff bis in die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts; Lothar Schilling: Kaunitz und das Renversement des alliances. Studien zur außenpolitischen Konzeption Wenzel Antons von Kaunitz (= Historische Forschungen; Bd. 50), Berlin 1994, besonders 19 ff., 354-380.
[5] Zur Kontroversliteratur die Nachweise bei Wolfgang Neugebauer (Hg): Handbuch der preußischen Geschichte, Band 1, Berlin / New York 2009, 333-337.
[6] Beispiel: Entwurf einer Geschichte des gegenwärtigen Krieges, Teil 1 und 2, Frankfurt am Main / Leipzig 1762/63, Teil 3-6 Nürnberg 1763/64, hier Teil 6, 10.
Wolfgang Neugebauer