Thomas Brockmann / Dieter J. Weiß (Hgg.): Das Konfessionalisierungsparadigma. Leistungen, Probleme, Grenzen (= Bayreuther Historische Kolloquien; Bd. 18), Münster: Aschendorff 2013, VIII + 300 S., ISBN 978-3-402-12923-4, EUR 29,80
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Lässt sich zum verblassenden Konfessionalisierungsparadigma - im europäischen Maßstab der nervöse Tick der deutschen Frühneuzeitforschung im letzten Fünftel des 20. Jahrhunderts - tatsächlich noch Neues sagen? Viele Einwände hat man ja schon häufig gelesen. Bereits recht früh kam der Etatismusvorwurf auf, neben obrigkeitlicher "Sozialdisziplinierung" beobachte man "Selbstkonfessionalisierung". Kann man das Konzept von seinen einstigen Kontexten "Modernisierungstheorie" und "Staatsbildung" entkoppeln, ohne dass es seine Prägnanz einbüßt? An der Beantwortung dieser Frage dürfte übrigens der gesamteuropäische Geltungsanspruch des Paradigmas hängen, denn Versuche (wie sie bezeichnender Weise vor allem deutsche Historiker in den letzten Jahren unternommen haben), mit ihm in außerdeutschen Ländern und Regionen zu operieren, etwa in Irland oder in Ostmitteleuropa, stießen auf große Schwierigkeiten, strikt ließ sich Konzept dort nicht anwenden. Es ist seit einigen Jahren nicht mehr ewiggestrig, in der Frömmigkeitsgeschichte wieder theologische Differenzen und Grenzmarkierungen zu inspizieren, "Konfessionskulturen" oder "Konfessionsgesellschaften" zu kontrastieren. Es entlarvt nicht mehr als naiv, neben "Strukturen" die Wahrnehmungen, Deutungshorizonte, Sinnzuschreibungen der Miterlebenden in den Blick zu nehmen. Hatten die damaligen Eliten tatsächlich jene innere Distanz zur "Konfession", die es erlaubte, sie kühl kalkulierend für die Herrschaftsintensivierung zu instrumentalisieren? Zu solchen kritischen Anfragen kamen von katholischer Seite auch Frontalangriffe. So hält Walter Ziegler das Axiom des Konfessionalisierungskonzepts, dass alle drei Konfessionen gleichermaßen 'neu', insofern von der mittelalterlichen Kirche ungefähr gleich weit entfernt seien, für "völlig irreal". Und Peter Hersche ist davon überzeugt, dass "Sozialdisziplinierung" für katholische Eliten mit ihrer ostentativen Verschwendung und ihren Mußepräferenzen gar nicht auf der politischen Agenda gestanden habe - ihm zufolge verkämpfte man sich nicht für "Modernisierung", man suchte Stabilität in "intendierter Rückständigkeit".
Knapp gesagt, ist das der "Stand der Forschung", auf den sich manche Beiträge des Tagungsbandes explizit beziehen. Ist denn vom einstigen Forschungsparadigma so viel Substanz übrig geblieben, dass man weiterhin mit dem Begriff "Konfessionalisierung" arbeiten sollte? "Jein": so wird man wohl den komplexen Beitrag von Andreas Holzem zusammenfassen dürfen. Die Akten bezeugten eine "intensive Konfessionalisierung" von Klerus wie Laien, von "Ehe, Familie und Nachbarschaft". Holzem konzediert hierbei konfessionsübergreifende strukturelle Gemeinsamkeiten, über denen freilich nicht marginalisiert werden dürfe, dass "extrem distinkte Konfessionsprofile" entstanden. Ferner müsse man konsequent zwischen strukturgeschichtlichen Wirkungen und zeitgenössischen Absichten unterscheiden. Der Versuch, das Paradigma "zu europäisieren", sei "als gescheitert" anzusehen. "Erklärungskraft" habe es lediglich (oder immerhin) fürs Alte Reich, wenngleich nicht als vermeintliches Vehikel für Staatsbildungsprozesse. Mit diesen Abstrichen und Modifikationen sei das Konzept der Konfessionalisierung, als "mitlernendes Paradigma", weiterhin brauchbar.
Doch begegnet im Sammelband auch Fundamentalkritik. Robert Bireley kennt noch nicht einmal eine katholische Konfession, "der Gebrauch des Terminus 'Konfession' bindet den Katholizismus zu eng an die Ereignisse der Reformation". Für Dieter J. Weiß gibt der konzentrierte Blick aufs Hochstift Bamberg Walter Ziegler Recht. Es gebe keine tiefe Zäsur zwischen mittelalterlichem und nachtridentinischem Katholizismus. Erst im 18. Jahrhundert und "im Zusammenhang mit der katholischen Aufklärung" seien einige dem Tridentinum wichtige Anliegen realisiert worden. "Also kann man keine tridentinische Konfessionalisierung konstatieren". Das sieht, ausgerechnet im Blick auf Franken, Wolfgang Brückner ganz anders. Er betont die "konfessionellen Konvergenzen im fränkischen Frömmigkeitsleben" seit dem späten 16. Jahrhundert, spricht euphorisch von der "gelingenden Neumissionierung des breiten Kirchenvolks" und von den "pastoralen Erfolgen in Würzburg und Bamberg[!]". Brückner glaubt an "planmäßige" obrigkeitliche Disziplinierung sowie an modernisierende Effekte, alle Konfessionalisierungen seien "ähnlich mentalitätswirksam für die spätere Ausbildung oder Akzeptanz moderner Strukturen" gewesen.
Den forschungsgeschichtlichen Weg hin zum Konfessionalisierungsparadigma beleuchtet Harm Klueting. Zu Recht betont er, wie wichtig hierfür die Beiträge des Tübinger Arbeitskreises "Spätmittelalter und Frühe Neuzeit" (mit Oberman, Zeeden, anfangs Engel, später Press) gewesen sind. Wie aber wurde "von Allgemeinhistorikern betriebene Kirchengeschichte" zur "Sozialgeschichte"? Als einzigen außerhistoriographischen Sachverhalt erwähnt Klueting chiffrenhaft: "Stichwort '1968'". Ob wir das Forschungsparadigma im Abstand eines Vierteljahrhunderts nicht elaborierter verorten können, als Kind einer Zeit, die noch keine "Grenzen des Wachstums" erkennen mochte, an deshalb grenzenlosen Fortschritt glaubte, vor allem aber an dessen generalstabsmäßige Plan- und Machbarkeit? Man war damals fasziniert von der Soziologie als vermeintlicher Leitwissenschaft, schwärmte wie von Technik so auch von Sozialtechnologie, projizierte die eigene Planungseuphorie ins 16. Jahrhundert zurück. Das Konfessionalisierungsparadigma könnte inzwischen für Zeithistoriker interessant sein.
Die umfangreichste spanische Zeitschriftendatenbank werfe beim Suchwort "Konfessionalisierung" einen einzigen Fund aus, weiß Ludolf Pelizaeus. Die deutsche "Konfessionalisierungsforschung" müsse eben in Europa für ihre Konzepte und Termini werben, findet er, sich freilich auch "stärker den Begrifflichkeiten, die außerhalb Deutschlands verwandt werden, annähern". Das klingt politisch korrekt - aber wenn doch in Spanien und Portugal durchgehend von der Zeit der "Controriforma" oder "Contrareforma" die Rede ist? Demnach bezahlten wir die europaweite Anschlussfähigkeit damit, dass wir terminologisch wieder am Stand vor 1960 (oder, personalisiert: vor Zeeden) anknüpften? Jedenfalls wirft dieser Aufsatz spannende Fragen auf.
Neben den zuletzt angesprochenen Studien stehen eine Reihe von zumeist lesenswerten Aufsätzen, die nicht die Validität des Konfessionalisierungsparadigmas, sondern das Gewicht des Konfessionellen im Konfessionellen Zeitalter taxieren. Das reicht - um nur die thematische Spannweite anzudeuten - von vielen Facetten gelingenden interkonfessionellen Zusammenleben im fränkischen Städtchen Staffelstein (hier wird diese wichtige Frage nicht beantwortet: wie lang denn?) bis zur amüsanten Schilderung eines Clash of cultures, der sich einstellte, als der wendige Charles de Guise mit einigen fromm lutherischen (wenn man so will: bereits "konfessionalisierten") Reichsfürsten Möglichkeiten der Wiedergewinnung religiöser Concordia ausloten wollte. Diese Beiträge müssen und können hier nicht alle resümiert werden. Wir dürfen stattdessen Bilanz ziehen: Der Leser findet einige dichte und gedankenreiche Texte, denen es überraschend gut gelingt, einem Thema, das nicht gerade aufregend neu anmutet, durchaus interessante Einsichten abzuringen. Zumal im universitären Lehrbetrieb wird der Band dankbare Aufnahme finden.
Axel Gotthard