Gabriella Battista (a cura di): Giovanni di Pagolo Rucellai: Zibaldone (= Memoria Scripturarum; 7), Firenze: SISMEL. Edizioni del Galluzzo 2013, LXXIII + 666 S., ISBN 978-88-8450-514-9, EUR 90,00
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Leon Battista Albertis Fassade der Kirche Santa Maria Novella, der von ihm geplante Palazzo Rucellai, die Loggia Rucellai sowie der Heiliggrabtempel in der Kirche San Pancrazio - der Auftraggeber all dieser und weiterer Meisterwerke der florentinischen Renaissance war Giovanni di Pagolo Rucellai (1403-1481). Das Bestreben dieses reichen florentinischen Handelsherren und Patriziers, Wissen und Lebensmaximen, die ihn zum Erfolg geführt hatten, an seine Söhne weiterzugeben, damit das Familienunternehmen auch nach seinem Tod weiterhin prosperiere, führte zur Abfassung einer Quelle ersten Ranges für das Florenz der Renaissance: Rucellais Zibaldone. Schon Aby Warburg bekannt, auszugsweise durch Alessandro Perosa publiziert und durch Francis William Kent kunstgeschichtlich analysiert, wird dieser Text nun durch Gabriella Battista in einer verdienstvollen Gesamtedition vorgelegt.
Zu Beginn werden Giovanni di Pagolo und sein Werk vorgestellt. Giovannis Profil war einerseits durch großen ökonomischen Erfolg und lebenslange Zugehörigkeit zur ersten Riege des florentinischen Patriziats gekennzeichnet, andererseits dadurch, dass er aufgrund seiner Verbindung zu dem mächtigen Medici-Gegner Palla Strozzi nach der Rückkehr Cosimos des Alten aus dem Exil im Jahre 1434 lange aus den innersten politischen Kreisen ausgeschlossen war, bis Giovannis Sohn Bernardo eine Medici heiratete. Den hauptsächlich in den Jahren 1457 bis 1476 abgefassten Zibaldone verortet die Herausgeberin korrekt in das Genre der sich seit dem 13. Jahrhundert aus den Rechnungsbüchern herausbildenden "libri di famiglia", zwischen "libro di ricordanze" und humanistischer Anthologie (XLII und LXIII).
Die Hände eines guten Händlers sind immer schwarz von Tinte (27), nichts ist mehr dem Wandel unterworfen als das Geld - leicht zu verlieren und schwer zu gewinnen -, die Zeit ist das größte Gut, verschwende sie nicht! (28f.) Freunde sind wichtig, aber wieso soll mir ihr Nutzen wichtiger sein als mein eigener? (31) Gegen Fortuna und den Zufall - Rucellais Hauptfeinde - wappne dich mit Dante, Petrarca und Marsilio Ficino! (39-49, 146-149) Von der Politik - einer Welt voller Lügen, Eitelkeit und trügerischem Glanz - hältst du dich besser fern! (61) Kommen junge Händler von einem Aufenthalt in Rom, Genf oder Brügge zurück, so frage sie sofort nach Neuigkeiten: Wie viele florentinische Händler, wie viele Kompanien gibt es dort, wer sind die vertrauenswürdigsten Leute? (27) Solche und ähnliche Ratschläge und Anweisungen gibt Rucellai unter intensiver Einbeziehung antiker und humanistischer Literatur an seine Söhne weiter.
Daneben gewährt sein Zibaldone detaillierte Einblicke in Vita und Lebensstil eines florentinischen Großbürgers seiner Zeit. Besonders aufschlussreich ist der Bericht über seine Pilgerfahrt nach Rom im Heiligen Jahr 1450, die einer Kavalierstour gleicht (115-128): Die Tag und Nacht mit Menschen angefüllten Straßen (171f.) reitet er zu Pferd hinab. Ebenso beritten besucht er in der Ewigen Stadt morgens Kirchen, abends bestaunt er antike Monumente. (116) Er beschreibt sie mit vertrauten Kategorien: San Pietro und der Lateran sind ungefähr so groß wie Santa Croce in Florenz (116, 118), der römische Scherbenberg Testaccio ragt so weit in den Himmel empor wie der heimatliche Monte San Miniato. (126) Auf Knien die Scala Santa hinaufzurutschen, das ist eher etwas für "gli oltramontani" (119), die in einem der tausendzweiundzwanzig römischen Gasthäuser bewirtet werden. (127) Seltsame Gestalten sind unter den Scharen von Fremden, doch wenigstens haben sie große Geldsummen in Italien zurückgelassen. (172) An den peinlich genau beschriebenen antiken Bauten schult Rucellai seinen Geschmack. Besonders sagt ihm Marmor zu. Später wird er ihn durch Alberti an der Fassade von Santa Maria Novella anbringen lassen (L), denn auf Florenz ist all sein Denken konzentriert.
Gott sei Dank ist Rucellai hier daheim, in der würdigsten Provinz Italiens (138f.) und jener Stadt, die gerade ihre beste Zeit erlebt! (180) Eingehend schildert er ihre Kultur, Kunst und Architektur (auch die Arbeiten an der Kuppel des Domes Santa Maria del Fiore, 278, 491). Welches Gemeinwesen sonst hat schon einen Gelehrten und Kanzler wie Leonardo Bruni vorzuweisen, dessen Übersetzungen aus dem Griechischen ins Lateinische doch die eigentliche Veranlassung für die Ostkirche war, sich 1439 in Florenz mit der Kirche Roms zu verbinden? (167, 174) Oder einen Filippo Brunelleschi? Seit der Antike war kein Architekt so begabt wie er. (174) Giotto und Cimabue wären keine würdigen Schüler der gegenwärtigen Künstler. (181) Die beste Literatur und Kunst hat Rucellai selbstredend in seinem Palast stehen. (158f.) Die Fassade des Dominikanerklosters Santa Maria Novella - in dem vor nicht allzu langer Zeit Papst Eugen IV. mit seiner Kurie residiert hatte - macht er zu seiner Privatangelegenheit. (298f.)
In seinem - größtenteils kompilierten - Überblick über Geschichte und Staatswesen von Florenz setzt Rucellai vor allem ökonomische Akzente: 1252 wird der Goldflorin erstmals in der Arnometropole geprägt, im Jahr 1340 wird der Monte gegründet (189), im Jahr 1422 geht die Stadt mit "galee grosse da mercato" aufs Meer und man beginnt mit dem Spinnen von Goldfäden. (137, 164) An Ereignissen werden neben Herrscherdurchzügen (Karl IV., 300-326) besonders breit der Aufstand der Wollschläger des Jahres 1378 (253-298) und die Vertreibung des Herzogs von Athen (232-253) behandelt. Obwohl Rucellai die Episoden nicht kommentiert, sind die Gründe für ihre Auswahl leicht zu erahnen: Sie sollten die Nachgeborenen lehren, welche Gefahren für das Patriziat von den Arbeitern und von Allein- bzw. Fremdherrschern ausgehen konnten. Kaum ein Wort hört man indes zum Medici-Regime (eine bewusste Auslassung), und auch an den Päpsten ist Rucellai auffallend wenig interessiert; zur Wahl Calixts III. im Jahr 1450 bemerkt er stereotyp, man fürchte, die Päpste würden bald jenseits der Alpen ihre Residenz nehmen. (174) Von sich selbst berichtet Rucellai, als "Accoppiatore" eines der wichtigsten Ämter überhaupt bekleidet (157) und durch Familienbande ("parentadi") den Status seines Hauses nicht nur beibehalten, sondern auch nobilitiert zu haben. (22, 543-549)
"Niemand darf vor dem Ende auf Seligkeit hoffen" (221), so eine der vielen Maximen Rucellais. Im betagten Alter von siebzig Jahren zieht er dennoch zufrieden Bilanz: "nel bello vivere è bello morire". (550-552)
Informationen zu Familiengeschichte, Handelspraxis, Heiratspolitik, Kunstpatronage und -rezeption, humanistischer Kultur und Literatur und vielem mehr sind in Rucellais Zibaldone enthalten. Aus diesem "Mischsalat" ("insalata di più erbe" - 5) ist manches zu entnehmen, beispielsweise auch eine interessante Überlegung zum ökonomischen Erfolg Venedigs, die nicht nur den Seehandel berücksichtigt, sondern auch die Nähe zum Absatzmarkt des Reichs betont. [1]
Bequem erschlossen ist der Zibaldone nun durch die besprochene vorbildliche, mit einem ausführlichen Register ausgestattete Edition, die einen forschungsgeschichtlichen Kreis schließt und zugleich dem multidisziplinären Interesse an Giovanni di Pagolo und seiner Lebenswelt neue Nahrung gibt.
Anmerkung:
[1] Zibaldone, ed. Battista, 196: "...et massimamente per essere vicina alla Magnia e per avere comodità di condurvi le merchatantie parte per aqqua e parte per charrette con pocha spesa, nella quale Magnia si fa grandissimo consumare di spezierie e cotoni e altre merchatantie...".
Tobias Daniels