Paul Cartledge: After Thermopylae. The Oath of Plataea and the End of the Graeco-Persian Wars (= Emblems of Antiquity), Oxford: Oxford University Press 2013, XXX + 203 S., 9 Abb., 4 Karten, ISBN 978-0-19-974732-0, GBP 16,99
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Paul Cartledge hat es unternommen, in einem Werk, das sich an ein breiteres geschichtsinteressiertes Publikum richtet, das Ende der Perserkriege zu behandeln - genauer gesagt möchte Cartledge aber die "Cinderella" unter den Perserschlachten, die Entscheidungsschlacht von Plataiai, endlich angemessen würdigen. Dabei geht er aus von der Inschrift aus Acharnai mit dem Eid der Epheben und dem Eid von Plataiai, und er bietet eine umfassende Einordnung der Inschrift in Fundgeschichte, unterschiedliche Textfassungen und mutmaßliche Entstehungszeit. Die Forschungslage zu dieser Inschrift gestaltet sich ja recht paradox: Während die allermeisten Fachwissenschaftler von einer Entstehung im vierten Jahrhundert v. Chr. ausgehen, wie dies Habicht 1961 in seinem grundlegenden Beitrag zu den falschen Perserkriegsurkunden postuliert hatte, folgten in den veröffentlichten Forschungsbeiträgen danach eher die Stimmen, die eine Echtheit des Eides vertraten (angefangen von Siewert 1972 bis hin zu van Wees 2006, um nur die wichtigsten zu nennen). Cartledge vertritt nun wieder dezidiert die klassische Position einer Entstehung im vierten Jahrhundert v. Chr. Allerdings sieht er die Grundlagen für die Fabrikation der Urkunde schon im Umfeld des Königsfriedens für gegeben, während die Aufzeichnung der Inschrift unter dem Einfluss der politischen Ziele der Ära Lykurgs erfolgt sei. Überzeugend an dieser Interpretation der Inschrift ist vor allem die Kontextualisierung der Datierungsfrage im Umfeld der Genese der Perserkriegserinnerung als solcher - jenseits einer reinen "Echtheitsfrage". Cartledge greift in diesem Zusammenhang umfassend die Forschungsergebnisse der letzten Jahre auf, stellt den agonalen Charakter der Erinnerungsstrategien heraus und gelangt so zu einer umfassenden Einordnung der Inschrift in die Zielsetzungen einer politisch aktualisierten Deutung der Vergangenheit im Sinne eines Konzepts der intentionalen Geschichte. Insofern verortet er den Eid sicherlich zu Recht im Kontext der späteren Auseinandersetzungen zwischen den Großmächten, in denen das kleine Plataiai mehrfach den höchsten Preis zahlte. Dennoch bleibt die Entstehungsfrage letztlich unlösbar: Auch wenn viele der Argumente von Cartledge methodisch und inhaltlich überzeugen mögen - an den Befunden Siewerts, die eine frühere Datierung einzelner Formulierungen der inschriftlichen Fassung noch ins fünfte Jahrhundert v. Chr. sehr plausibel machen, wird man auch nicht völlig vorbeigehen können. Insofern sollte vielleicht auch eine Entstehung schon in Zusammenhang mit der ersten Zerstörung Plataiais und nicht erst mit der zweiten erwogen werden, so meint jedenfalls der Rezensent. Thukydides' ausführliche Darstellung der Vergangenheitsrekurse vor der Vernichtung der Polis können Hinweise geben, dass auch zu Beginn des Peloponnesischen Krieges schon eine politisch dramatische Situation bestand, auf die viele der von Cartledge zu Recht akzentuierten agonalen Deutungsmuster der Vergangenheit besser passen als auf die Zeit nach dem Königsfrieden - vor allem auch im Hinblick auf das Zerstörungsversprechen gegenüber Theben und die Garantieerklärungen für Plataiai.
Cartledges Werk ist aber mehr als eine kleine Monographie zu einer der strittigsten Inschriften des vierten Jahrhunderts v. Chr. Sein Anliegen ist es, die Schlacht von Plataiai als solche aus dem Schatten der übrigen Schlachten zu holen und sie als die eigentliche Entscheidungsschlacht zu würdigen. Hierzu holt er weit aus, indem er vor allem auch der Frage nachgeht, wie es geschehen konnte, dass die Erinnerung an Plataiai so deutlich hinter die anderer Schlachten zurücktrat. Hier betont er zu Recht den agonalen Charakter der Erinnerungstraditionen, aber stellt auch deutlich den Konstruktionscharakter des Ereignisses "Perserkriege" heraus, das in seiner kanonischen Form gerade das Ergebnis eines umkämpften und nicht eindimensionalen Prozesses war. In diesem Zusammenhang gerät Plataiai bei Cartledge zu einem Ereignis, das in seiner Perspektive zu Unrecht unterschätzt wird. Auffällig ist allerdings, wie athenkritisch und wie spartafreundlich das Bild bei Cartledge gezeichnet wird. So werden manche relevanten Zusammenhänge, die durchaus für die von ihm beklagte Untergewichtung Plataiais eine Rolle spielen können, wie z.B. der Sturz des Siegers der Schlacht, Pausanias, oder der fundamentale Streit um die Siegesweihung etwas weniger gewichtet als die athenischen Umdeutungsversuche und Hegemonieansprüche. Völlig zu Recht stellt Cartledge aber die enge Verknüpfung der Plataiai-Erinnerung mit der spartanischen Eleutheria-Ideologie heraus.
Alles in allem handelt es sich bei dem Band um ein glänzendes Beispiel, wie man eine fachwissenschaftlich hoch fundierte Analyse mit einer für ein breites Publikum verfassten Sachdarstellung verknüpfen kann. Auch in manchen Details beinhaltet die Studie wichtige Beobachtungen und Ergebnisse, die hier nicht ausführlich gewürdigt werden können. Wie sehr Cartledges Grundthese von Plataiai als dem Aschenputtel der Perserschlachten allerdings zutrifft, zeigt allerdings der eigene Titel der Arbeit: Es war eben das, was nach den Thermopylen kam.
Michael Jung