Anton Maegerle : Vom Obersalzberg bis zum NSU: Die extreme Rechte und die politische Kultur der Bundesrepublik 1988 - 2013. NS-Verherrlichung, rassistische Morde an Migranten, Antisemitismus und Holocaustleugnung (= Studien zum Rechtsextremismus und zur Neuen Rechten ; Bd. 1), Berlin: Edition Critic 2013, 410 S., ISBN 978-3-9814548-6-4, EUR 20,00
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Ein Buchtitel weckt zwangsläufig Assoziationen. Doch bei dem vorliegenden Werk handelt es sich entgegen dieser Erwartungen nicht um eine weitere Publikation über den Nationalsozialistischen Untergrund, seine Verbrechen oder die Rolle der staatlichen Behörden. [1] Stattdessen versammelt der Band über siebzig Artikel und Reportagen Anton Maegerles, die dieser in seiner langjährigen Beschäftigung mit unterschiedlichen Aspekten der extremen Rechten publiziert hat. Mit dem NSU selbst befasst er sich nur in einem einzigen Artikel.
Der Titel verweist somit auf die Zeitspanne, in der die Beiträge erschienen sind und nicht auf die thematischen Schwerpunkte. Die vier Themenfeldern der chronologisch geordneten Artikel werden erst im Titelzusatz aufgezählt: NS-Verherrlichung, rassistische Morde an Migranten, Antisemitismus sowie Holocaustleugnung. Doch damit sind bei weitem noch nicht alle Themen benannt, die dieser Band behandelt. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf den internationalen Verbindungen deutscher Rechtsextremer in den Nahen Osten und nach Vorderasien und auf dem Antisemitismus als weltanschaulichem Bindeglied. Dieser Schwerpunkt überrascht nicht, erscheint das Buch doch als erster Band der im Verlag "Edition Critic" publizierten Reihe "Studien zum Rechtsextremismus und zur Neuen Rechten". Das bisherige Verlagsprogramm und die Arbeiten des Verlagsgründers Clemens Heni drehen sich ebenfalls um diesen Themenkomplex.
Bei den Beiträgen handelt es sich um journalistische Texte, die aufgrund der großen Vertrautheit des Autors mit dem Thema an vielen Stellen treffende Beobachtungen über die Dynamiken in der extremen Rechten enthalten. Dabei erkannte und benannte Maegerle Entwicklungen, mit denen sich wissenschaftliche Arbeiten zum Teil erst Jahre später befassen sollten. Beispielsweise konstatierte er im ersten Artikel aus dem Jahr 1988 im Zusammenhang mit dem Bund Heimattreuer Jugend e.V. (BHJ): "Lebensfreude, Freizeitspaß und Romantik sind die Köder, durch die vornehmlich Jugendliche ins rechtsextreme Lager hineingezogen werden sollen. Die Propaganda erscheint erst auf den zweiten Blick." (27) Bereits hier beschrieb Maegerle eine Strategie, die momentan von neuen Gruppierungen der extremen Rechten aufgegriffen wird und zu immer neuen Aktionsformen führt. [2] Passend dazu schließt der Band mit einem Beitrag über die aktuelle Situation in Brandenburg, in dem die junge Gruppierung der "Unsterblichen" thematisiert wird. Diese versucht, die Verknüpfung von extrem rechter Ideologie und erlebnisorientierten Aktionen zu erreichen. Der Entwicklungsprozess selbst wird im Buch allerdings nicht als solcher benannt.
Dieser Punkt steht exemplarisch für die größte Schwäche des Buches. Die einzelnen Artikel enthalten aufgrund der unterschiedlichen thematischen Schwerpunkte keine zentrale These. Dies zeigt sich bereits in der großen Themenbandbreite, die im Titel, Untertitel und Titelzusatz entfaltet wird. Durch den fehlenden roten Faden bleibt es dem Leser überlassen, zwischen den einzelnen Artikeln und Beiträgen Querverbindungen herzustellen und diese in einen größeren Zusammenhang einzuordnen. Das gelingt fachkundigen Personen sicherlich, dem interessierten Laien vermutlich eher nicht. Unerwähnt bleibt zum Beispiel, dass der BHJ zeitweise mit der inzwischen verbotenen Wiking-Jugend vernetzt war und dass die im Jahr 2009 ebenfalls verbotene Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) als Abspaltung der BHJ entstand.
Weiterhin wäre es wünschenswert gewesen, wenn man die Angabe zum Ersterscheinungsort direkt beim jeweiligen Artikel platziert hätte. Da auf Fußnoten verzichtet wurde, lassen sich viele Angaben zudem nicht nachvollziehen; auch ist es unmöglich, die Quellen zu überprüfen, auf die sich der Autor stützt. Für die Forschung bietet der Band also interessante Einblicke in die zeitgenössische Wahrnehmung der extremen Rechten, für die weitere wissenschaftliche Verwendung eignet sich der Band allerdings nur bedingt.
Clemens Heni verweist in seinem Vorwort treffend auf die Zielgruppe des Buches, wenn er betont, es solle ein "breites Lesepublikum" ansprechen. Außerdem schreibt er dem Band einen "dokumentarischen Charakter" (17) zu, der eine "Anregung zum Weiterforschen" (23) sein könne.
Aufgrund der fehlenden Einordnung der einzelnen Artikel in die jeweiligen zeithistorischen Kontexte ist das Buch allerdings nur bedingt für Leser geeignet, die am Beginn ihrer Beschäftigung mit der Geschichte der extremen Rechten stehen. Diesem Umstand hätte durch eine Einleitung abgeholfen werden können, die sicherlich zum Verständnis der einzelnen Beiträge beigetragen hätte. Der Mehrwert des Buches hängt somit stark vom Wissenstand des Lesers ab. Laien werden an vielen Stellen neue Erkenntnisse gewinnen und auf interessante Aspekte aufmerksam. Aufgrund der fehlenden Hintergrundinformationen können sie diese eventuell aber nicht miteinander verknüpfen. Kenner der Materie werden dagegen auf Altbekanntes stoßen, das durch die Analysen abermals bestätigt wird.
Das Buch dokumentiert insgesamt das lobenswerte Engagements Maegerles und dessen bemerkenswerte Expertise auf dem Feld der extremen Rechten. Seine Artikel zeigen außerdem die in den vergangenen 25 Jahren zunehmende Diversifikation innerhalb der Szene. Neben "Altnazis", der "Neuen Rechten", Skinheads oder terroristischen Gruppierungen werden auch Änderungen in der Jugendkultur aufmerksam beobachtet und benannt. Der Autor bietet treffende Analysen über die Entwicklung der extremen Rechten in der Bundesrepublik an und zeigt die hohe Kontinuität extrem rechten Denkens und Agierens auf; eine übergreifende Interpretation muss sich der Leser allerdings selbst erschließen.
Anmerkungen:
[1] Das immense öffentliche Interesse an diesem Thema führte zu einer großen Anzahl an Publikationen, die sich ebenfalls aus journalistischer Perspektive mit dem Thema beschäftigen. Zu empfehlen sind besonders die beiden folgenden Bücher: Andrea Röpke / Andreas Speit (Hgg.): Blut und Ehre. Geschichte und Gegenwart rechter Gewalt in Deutschland, Berlin 2013, sowie Olaf Sundermeyer: Rechter Terror in Deutschland: Eine Geschichte der Gewalt, München 2012.
[2] Zur Verbindung extrem rechten Gedankenguts mit der alltäglichen Lebenswelt vgl. Stefan Glaser / Thomas Pfeiffer (Hgg.): Erlebniswelt Rechtsextremismus. Menschenverachtung mit Unterhaltungswert. Hintergründe, Methoden, Praxis der Prävention, 3., überarb. und erg. Aufl., Schwalbach 2013.
Lars Legath