Philippe Genequand: Une politique pontificale en temps de crise. Clément VII d'Avignon et les premières années du grand Schisme d'Occident (1378 - 1394) (= Biblioteca Helvetica Romana; XXXV), Basel: Schwabe 2013, 480 S., ISBN 978-3-7965-2724-1, EUR 65,50
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Philippe Genequand nimmt sich in seiner Monographie der Politik des ersten Avignonesischen Papstes während des Großen Schismas an: Clemens VII. (1378-1394). Clemens' Amtszeit markiert den Beginn und die frühe Phase jenes Großen Schismas, das ebenso zur Verdopplung der päpstlichen Institutionen wie zur Teilung des christlichen Europa in zwei Obödienzen führte. Der untersuchte Zeitraum ist somit durch eine eigenartige politische Dynamik gekennzeichnet, die Genequand mittels einer konsequenten Auswertung der kurialen Verwaltungsdokumente nachzeichnet. Die Studie beruht auf einer sorgfältigen Analyse der Quellen. Angesichts des Quellenreichtums war jedoch der Rekurs auf eine Auswahl notwendig, um die gewählte Fragestellung überhaupt bearbeiten zu können: die diplomatische und politische Tätigkeit Clemens VII. (15)
Hierbei handelt es sich vor allem um Rekonstruktionsversuche der persönlichen Beziehungen, die in der Tat die Politik des Papstes begründeten. Genequand führt jedoch nicht nur Fakten, Zahlen und Diagramme an, die den schriftlichen Austausch mit den Personen bezeugen sollen. Vielmehr organisiert er diese in einer Argumentation, die das kohärente Ganze päpstlicher Politik ans Licht bringt. 14 Kapitel, zwei Anhänge, eine Einleitung und ein Fazit gliedern die Arbeit, wobei die Studie in zwei Hauptteile unterteilt ist: Ein erster thematisiert die Beziehungen der Kardinäle zu Clemens VII. (Pontife et cardinaux. La politique curiale de Clément VII), eine zweiter die päpstlichen Strategien gegenüber weltlichen Herrschaftsträgern (Trirègne et couronnes: relations avec les princes).
Genequand richtet den Blick zunächst auf den Papst und seine in diesem Kontext wichtige Herkunft, um danach die Zusammensetzung des Kardinalskollegs zu beleuchten, denn Kurie und Familie sorgten als erste Organe für die Umsetzung der Papstpolitik. Danach wird überzeugend analysiert, wie Clemens VII. versuchte, seine Position zu legitimieren und die Anhänger Urbans VI. davon zu überzeugen, seine Partei zu ergreifen, um dann aber doch feststellen zu müssen, dass die gesamten Reichsterritorien im Einflussbereich der gegnerischen Obödienz verbleiben würden. Genequand diskutiert die europäische Perspektive und schließt dabei auch die vermeintlichen Peripherien wie Schottland und das Heilige Land mit ein, wo Clemens VII. lange aktiv blieb, ohne dabei jedoch über effiziente Mittel zur Umsetzung seiner Politik zu verfügen. Der Autor beschreibt überzeugend, wie die Königreiche ohne Zweifel vom Großen Schisma betroffen waren, aber dennoch ihre eigene Politik komplett unabhängig davon führten - eindrücklich am Beispiel Portugals geschildert. Die letzten drei Kapitel der Arbeit konzentrieren sich auf die militärischen Kampagnen des Papstes in Italien, in der Provence und im Comtat Venaissin auf der Grundlage der administrativen Quellen. Darin wird das Zusammenspiel der diplomatischen und politischen Fähigkeiten Clemens VII. beleuchtet, der zwar bestimmt ('déterminé'), behutsam ('prudent') und realistisch ('réaliste') gewesen sei, aber dennoch während seiner gesamten Amtszeit keine wirklich 'originelle' Lösung vorgeschlagen habe (407-408).
Selbstredend unterscheidet sich das erste Kapitel von den anderen, führt es doch in die Arbeitsmethodik ein. En détail präsentiert Genequand sein ausgewähltes Material und erstellt eine Typologie der benutzten Quellen. Da der vollständige Bestand einer bestimmten Quellengattung, nämlich der Supplikenregister, von einem allein nicht zu bewältigen war, wurde hier die Anzahl der ausgewerteten Dokumente drastisch beschränkt. Genequand wiederholt zu Recht mehrfach, dass Findungslücken im Archivbestand Mängel an Information begründeten. Dennoch lassen sich diese über die gesamte Analyse kaum spüren: Weil Genequand systematisch arbeitet, kann er den Leser über diesen Mangel hinaus geleiten. Man erkennt dabei die herausragende Qualität der Recherche bis hin zum kleinsten Detail des komplexen politischen Kontextes. Diese Qualität kennzeichnet vor allem auch das dritte Kapitel. Hier synthetisiert Genequand in wenigen Seiten die komplexe Familiensituation Clemens' VII. und verfehlt keine Einzelheit, auf die er in den späteren Teilen der Arbeit tatsächlich rekurriert.
In den gesamten Text sowie in die Fußnoten sind prosopographische Notizen eingestreut, so dass der Text sich ohne Unterbrechung lesen lässt, was die 'Kunst der Arbeit' zusätzlich verdeutlicht. Genequand versieht jede der historischen Figuren mit einem kurzen Lebenslauf, was in der Summe zu einer unglaublich reichen Prosopographie des personellen Umfelds Clemens' VII. führt. Schließlich konzentriert der zweite Anhang ausführlichere Notizen über die 35 Kardinäle des Avignonesischen Papstes (415-448), deren Reihenfolge alphabetisch geordnet ist. Außerdem wurde der Personen-Index, der sich am Schluss des Bandes findet, sehr hilfreich formatiert, denn diejenigen Seiten, welche die prosopographischen Haupteinträge beinhalten, wurden fett markiert. Dies ermöglicht dem Leser eine einfache Orientierung innerhalb des Bandes. Leider lässt sich die Systematik des Index nicht ganz erschließen, da nicht alle Namen, die im Text vorkommen, registriert sind.
Deutlich knüpft die Arbeit Genequands an die französische historiographische Tradition an. Die Verbindung des Autors mit der Ecole française de Rome und auch die Bezüge zu den prosopographischen Studien des Arbeitskreises um Hélène Millet sind in der Untersuchung klar erkennbar. Nicht zuletzt auch die Auflistung der Sekundärliteratur führt dies deutlich vor Augen. Nur folgerichtig registriert die angegebene Bibliographie nicht die Aktualisierungen, die seit der Fertigstellung der Dissertation im Jahr 2004 veröffentlicht wurden. Ebenfalls erwähnen manche Fußnoten noch unveröffentlichte Aufsätze des Autors, die einige wichtige Aspekte der Arbeit genauer untersuchen. Eine Erneuerung der Bibliographie wäre demnach wünschenswert und wird hoffentlich im zweiten Band, der geplant ist, vorgenommen werden.
Genequand beherrscht die große Menge an Material, das einer minutiösen Untersuchung unterzogen wurde. Aus nahezu jedem Satz leuchtet eine Information hervor. Der Autor beweist, dass die Geschichte der päpstlichen Politik Kenntnisse über das politische Geschehen im gesamten Christentum voraussetzt und liefert. Schlicht erklärt er komplizierte Zusammenhänge, die seine Argumentation stützen und verliert sich nicht in den mitunter sehr komplexen Ereignissen. Diese Studie stellt den ersten Teil einer Arbeit Genequands dar: der zweite wird sich auf die Politik der Kardinäle konzentrieren. Angesicht des Gelingens des ersten ist das Erscheinen des zweiten Bandes mit besonderer Spannung zu erwarten.
Coralie Zermatten