Florian Dierl / Zoran Janjetović / Karsten Linne (Hgg.): Pflicht, Zwang und Gewalt. Arbeitsverwaltungen und Arbeitskräftepolitik im deutsch besetzten Polen und Serbien 1939-1944, Essen: Klartext 2013, 510 S., ISBN 978-3-8375-0808-6, EUR 34,95
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Diese Rezension erscheint auch in der Zeitschrift für Ostmitteleuropa-Forschung.
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Die deutschen Besatzungsregime während des Zweiten Weltkriegs werden in der Forschung längst nicht mehr als einheitliche Gebilde betrachtet, vielmehr richtet sich der Blick auf einzelne Akteure und deren jeweilige Ziele, Interessen und Praktiken. Dennoch ist es angesichts der vielfältigen Formen deutscher Besatzungsherrschaft und der Vielzahl beteiligter Institutionen noch ein weiter Weg zu einem zugleich differenzierten und umfassenden Bild einzelner, wesentlicher Aspekte dieser Herrschaft, wie etwa der Ausbeutung der Arbeitskräfte der besetzten Gebiete.
Einen Schritt in diese Richtung unternehmen Karsten Linne, Zoran Janjetović und Florian Dierl, indem sie nicht nur in Einzelstudien die Arbeitsverwaltungen dreier als typisch bezeichneter deutscher Besatzungsregime in Polen und Jugoslawien untersuchen, nämlich der "Annexionsverwaltung" im "Warthegau" (Linne, 47-170), der "Kolonialverwaltung" im "Generalgouvernement" (Linne, 171-316) und der "Kollaborationsverwaltung" in Serbien (Janjetović, 317-442), sondern abschließend auch zu einem knappen Vergleich der Arbeitsverwaltung und Arbeitskräftepolitik in den drei Gebieten gelangen (Dierl, 443-463). Entstanden ist diese Gemeinschaftsarbeit am Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin im Rahmen eines Förderprogramms der Stiftung "Erinnerung, Verantwortung und Zukunft".
Auf den ersten Blick überwiegen die Unterschiede im Aufbau der betrachteten Verwaltungen: Während im "Warthegau" infolge der Annexion die gesamte Verwaltung strukturell dem Reich angeglichen und weitgehend mit Deutschen besetzt wurde, blieb diese Entwicklung im "Generalgouvernement" auf die zentralen Strukturen und die personelle Führungsebene beschränkt, und in Serbien benutzte die deutsche Militärverwaltung die unter einem Kollaborationsregime erhalten gebliebene einheimische Verwaltung. In der Verwaltungspraxis allerdings ergaben sich ähnliche Probleme und Konflikte durch die Ausrichtung auf die politischen, militärischen und wirtschaftlichen Interessen des Reiches mit den einander widersprechenden Zielen, die besetzten Gebiete gleichzeitig nach rassistischen Kriterien ethnisch "neu zu ordnen", den Widerstand klein zu halten und die Arbeitskräfte auszubeuten.
Im Einzelnen untersuchen die Verfasser die Organisation der Arbeitsverwaltungen und deren Stellung im Gefüge der jeweiligen Herrschaftsstrukturen, die Arbeitskräfterekrutierung für das Reich, die Arbeitskräftepolitik in den besetzten Gebieten sowie die Reaktionen der einheimischen Bevölkerung auf die Maßnahmen der deutschen Arbeitsverwaltungen. Kennzeichnend war für die Arbeitsverwaltungen in allen untersuchten Gebieten, wie für die NS-Bürokratie überhaupt, ein polykratisches System, in dem die Kräfteverhältnisse und Gestaltungsmöglichkeiten zwischen zentralen, regionalen und lokalen Instanzen immer wieder neu ausgehandelt werden mussten. Dass das deutsche Personal der Verwaltungen großteils von minderer Qualität war und dass die deutschen Stellen wenigstens im Generalgouvernement und in Serbien weitestgehend auf einheimisches Personal angewiesen waren, eröffnete auch der Bevölkerung in den besetzten Gebieten gewisse, wenngleich eher inoffizielle Einflussmöglichkeiten. Was die politischen Ziele der Besatzungsherrschaft angeht, so verlagerten sie sich im Laufe des Krieges zunehmend weg von der ethnischen "Neuordnung" der besetzten Gebiete hin zur verstärkten Ausbeutung des Arbeitskräftepotentials, wobei Zwang, Repression und gewaltsame Rekrutierung immer deutlicher in den Vordergrund traten. Hierbei erwiesen sich die Besatzungsregime in Polen als wesentlich durchsetzungsstärker und mithin brutaler als in Serbien. Gemeinsam war den Arbeitsverwaltungen in allen drei untersuchten Gebieten, dass sie entgegen den ökonomischen Interessen an der Vernichtung der jüdischen Arbeitskräfte mitwirkten. Auch einen immer wieder als ökonomisch sinnvoll angemahnten schonenden Umgang mit den für die deutsche Kriegführung arbeitenden Menschen konnten sie nicht durchsetzen. Angesichts dieser Umstände gehörten die deutschen Arbeitsverwaltungen rasch zu den meist gehassten Institutionen in den besetzten Gebieten.
Während die Verfasser Ziele und Praxis der Arbeitsverwaltungen und Arbeitskräftepolitik in den untersuchten Gebieten mithilfe deutscher Akten und der umfangreich herangezogenen Literatur weitgehend rekonstruieren können, gelingt ihnen dies mit den Reaktionen und Verhaltensweisen der betroffenen einheimischen Bevölkerung nicht in gleichem Maße. Hierzu hätten die Erinnerungsliteratur und weitere, auch unveröffentlichte Egodokumente stärker herangezogen werden müssen, wie sie spätestens seit der Jahrtausendwende im Zuge der deutschen Versuche einer Entschädigung für Zwangsarbeit in größerem Umfang vorliegen. Die Frage nach der Bedeutung von Arbeit unter den Bedingungen von Krieg, Besatzung, Gewalt und Mangel, die von den Verfassern mehrfach postulierte "Maxime, wonach im Dritten Reich jede Arbeit in gewissem Sinne Zwangsarbeit war" (439), bedürfen daher noch weiterer, ebenso gründlicher und differenzierender Forschung.
Lars Jockheck