Mark Hallett: Reynolds. Portraiture in Action, New Haven / London: Yale University Press 2014, XII + 488 S., 350 Farb-, 80 s/w-Abb., ISBN 978-0-300-19697-9, USD 75,00
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Mark Hallett verspricht eine neue, umfassende Analyse von Reynolds' Porträtmalerei (16), "a rather more interrogatory, quizzical and sceptical perspective to Reynolds" bzw. britischer Kunst generell (18). Besonders die sozialen, kulturellen und künstlerischen Umstände, die sein Werk bestimmten, sollen analysiert werden. Das gelingt nur begrenzt. Diese Kunst, von der Ellis Waterhouse 1953 in der Pelican History of Art nur als "Painting in Britain" sprach, wird bei Hallett unversehens zu "British art". Waterhouse hatte seine Sicht mit dem hohen Ausländeranteil unter den Künstlern begründet. Hallett blendet diesen Aspekt weitgehend aus, wie er auch die kunsthistorische Literatur, die von Nicht-Briten stammt, nur sehr zurückhaltend verarbeitet. Publikationen von Anastasia Dittmann, Donato Esposito, Segundo Fernandez, Bettina Gockel, Harald Klinke, Giovanna Perini, Renate Prochno, Jan Seewald, Iris Wenderholm, Iris Wien werden ganz oder zu großen Teilen ignoriert. Hallett stützt sich vor allem auf Publikationen von Martin Postle, auf den 2000 erschienenen Œuvrekatalog von David Mannings (dem gemeinsam mit David Solkin das Buch gewidmet ist), und im Weiteren auf den von Nicholas Penny herausgegebenen Ausstellungskatalog von 1986. Ein Überblick zum Forschungsstand fehlt; lediglich Anm. 40 zur Einleitung listet kurz einige Titel aus der englischsprachigen Literatur auf.
Halletts Bilderauswahl konzentriert sich auf Werke, die Reynolds in den 1760er-Jahren in der Society of Artists und ab 1768 in den Ausstellungen der Royal Academy zeigte, deren Präsident er bis zu seinem Tod 1792 war. In den "Discourses on Art" entwickelte Reynolds eine ausgefeilte Theorie der Bildniskunst und fasste die klassische Kunsttheorie noch einmal zusammen. Das Publikum erhielt dergestalt eine Anleitung, wie zu sehen sei. "Discourses" und Ausstellungen stehen deshalb in einem engen Konnex, doch lässt Hallett Reynolds' Kunsttheorie weitestgehend unbeachtet. Reynolds hatte immer wieder betont, wie wichtig es sei, sich an großen Vorbildern zu orientieren: die Nachahmung, die auch alle Kunsttheoretiker vor ihm gepriesen hatten, sei als Ausdruck des Wahren unabdingbar. Hier versäumt Hallett Grundlegendes. Reynolds' spezifische Form der Nachahmung, das "borrowing", d.h. das wiedererkennbare Zitat als Mittel der Aufwertung der Porträtmalerei, wird nicht vorgestellt. Das führt gelegentlich zu einer kunstgeschichtlichen Enthistorisierung und zu Missverständnissen. So wird längst nicht bei jedem Bildnis das von der Forschung identifizierte Vorbild benannt (z.B. bei Captain Robert Orme: nach Jacopo Ligozzi; Mrs. Lloyd nach Fragonard; Duchess of Marlborough mit ihrer Tochter nach Michelangelo). In einigen Fällen, in denen es identifiziert wird, fehlt der Hinweis auf die entsprechende Erstpublikation der Entdeckung (z.B. Abb. 115: Kitty Fisher als Kleopatra; Abb. 355: Prince of Wales mit schwarzem Diener). Auch bei den zahlreich angeführten Zitaten aus der zeitgenössischen Tagespresse fehlen Verweise auf die Erstpublikation (z.B. bei Mrs. Hale als Euphrosyne, Abb. 192: zuerst in Kat. Ausst. London 1986, 228; zu Robert Orme: William T. Whitley: Artists and their Friends in England 1700-1790, 2 Bde., London / Boston 1928, Bd. I, 175). Der pauschale Verweis auf die umfangreiche Sammlung des Paul Mellon Centre von Zeitungsausschnitten (467) verschleiert, welche Funde Hallett aus der Forschung übernommen hat und welche seine Entdeckungen sind. Da Hallett in seinen Einzelanalysen mitunter nur die Werkverzeichnis-Nr. bei Mannings angibt, ist sein originärer Anteil an der Diskussion und Interpretation der Bildnisse manchmal unklar.
Hallett schildert bei vielen Porträts detailreich biografische Umstände, die zur Entstehungszeit des jeweiligen Porträts wirksam waren. Oft genug ist das Klatsch aus der Tagespresse. Mitunter erläutert Hallett - vor allem bei Militärs und Diplomaten - die politische Konstellation. Das dient dem Verständnis der Bildnisse und ist hilfreich, erfolgt aber in unterschiedlicher Dichte. Warum das so ist, begründet der Autor nicht. So entsteht im Laufe der Lektüre der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit der Informationsdichte.
Hallett beschreibt seine Methode als ein "becoming empathetically absorbed in Reynolds's paintings" (21). Den Ausdruck im frühen Porträt seiner Schwester Frances (Abb. 42) deutet er als tränenfeuchten Blick, wie sie im wirklichen Leben auf das postume Bildnis des verstorbenen Vaters von Reynolds' Hand geschaut hätte (55). Die Bilder von Vater und Tochter sind tatsächlich als Pendants konzipiert, doch inwieweit Reynolds hier vor allem das Ideal der Tochterliebe malt, interessiert Hallett nicht: er sieht es lediglich als emotionales Zeugnis. Ähnlich deutet er das Bildnis eines lesenden Knaben (Abb. 53) nicht als Dokument einer damals herrschenden Rembrandtmode, sondern als Erinnerung an Reynolds' Schulzeit bei seinem Vater (53f.). Es folgt dem Vorbild von Rembrandts "Titus", das auch abgebildet ist. Das ebenfalls rembrandteske Bildnis von Giuseppe Marchi (Abb. 83) soll Hallett zufolge vor allem exotisch wirken. Dies ist nur ein Beispiel, wo Hallett die Grenzen einer methodisch gesicherten Diskussion überschreitet und wissenschaftliche Begründung durch Einfühlung substituieren will.
Das Buch ist chronologisch aufgebaut und schildert zunächst Jugend, die Ausbildung bei Thomas Hudson in London, das erste eigene Studio in Plymouth Dock, den zweijährigen Aufenthalt in Italien und die ersten Jahre in London. Für die Zeit danach orientiert sich Hallett an den Ausstellungen und setzt außerdem Schwerpunkte bei dem Zyklus der "Streatham Worthies" und dem Familienbildnis des Herzogs von Marlborough für Blenheim Palace.
Dass Reynolds mit der Lehre in Hudsons Atelier in dasjenige Londoner Viertel kam, in dem etliche Maler lebten und gelebt hatten, veranschaulicht Hallett anhand eines fiktiven Spaziergangs. Ob Reynolds gemeinsam mit anderen Lehrlingen bei Hudson lebte, oder welche anderen jungen Maler in der näheren Umgebung lernten, erfährt man nicht. Erst später wird kurz John Astley erwähnt. Von einem Autor, der soziale Hintergründe aufdecken will, wäre mehr zu erwarten. Erst für die römische Zeit wird der soziale Raum, in dem sich Reynolds bewegte, etwas deutlicher, selbst wenn sich Hallett auch hier auf die britischen Landsleute konzentriert. Mit Beginn von Reynolds' Rom-Aufenthalt deklariert Hallett etliche der Malerkollegen als "rival", erläutert dies aber nicht näher, z.B. anhand von Konkurrenz um Kundschaft oder um ähnliche Sujets, mit Bezug auf die Preise für Bildnisse oder aufgrund von etwaigen Hinweisen in zeitgenössischen Quellen. Ohne Begründung bleiben solche angeblichen Rivalitäten spekulative Zuschreibungen.
Hallett geht durchaus auf die Bedeutung der Stiche ein, die bei Künstlern und im breiten Publikum sehr beliebt waren. Horace Walpole jedoch hielt das Mezzotinto nach seinem Porträt (Abb. 100) unter Verschluss. Als er erfuhr, dass weitere Abzüge kursierten, sorgte er dafür, dass Druckplatte und vorhandene Abzüge aus dem Verkehr gezogen wurden, denn Walpole wollte selber über die Verbreitung seines Porträts bestimmen. Hier manifestiert sich ein klares Bewusstsein für das Recht am Bildnis von der eigenen Person. Hallett entgeht diese Bedeutung.
Das Bildnis des John Manners, Marquess of Granby (Abb. 167), Sieger in der Schlacht von Warburg im Siebenjährigen Krieg, verehrte Manners laut Walpoles Notiz im Ausstellungskatalog seinem unterlegenen Gegner, dem Duc de Broglie. Daran knüpft Hallett eine Interpretation der Pose (185f.), überprüft aber nicht, ob Walpoles Bemerkung zutrifft. Das Gruppenbildnis der Royal Academicians (Abb. 234) von Johann Zoffany deutet Hallett als Echo von Raffaels "Schule von Athen". Angesichts der erheblichen Unterschiede der beiden Kompositionen ist das nicht nachvollziehbar. Beim Porträt der Theresa Parker (Abb. 237), das Hallett ausführlich bespricht, erwähnt er den Nachruf, den Reynolds auf sie publizierte, en passant in Anm. 13, macht ihn aber nicht für die Deutung des Porträts fruchtbar. Im Nachruf aber findet sich genau die Charakterisierung und Idealisierung, die Reynolds zuvor in ihrem gemalten Bildnis unternommen hatte. Das gute Verhältnis zum Prince of Wales wird durch drei Bildnisse dokumentiert. Das größte zeigt den Thronfolger, der bereit ist, seinen Schimmel zu besteigen. Hallett verbindet es, ebenfalls wenig nachvollziehbar, mit der Ikonografie des hl. Georg. Dass hier, wie bekannt ist, die antiken "Rossebändiger" in Rom Pate gestanden haben, und dass Reynolds sie gezeichnet hat, schreibt Hallett nicht. Bei ihm steht stattdessen der lockere Lebenswandel des Prinzen im Zentrum, und wiederum wird die Einfühlung zum Fallstrick: Die Kunst, ein Pferd zu reiten, wurde seit der Renaissance mit der Kunst der Staatsführung gleichgesetzt. Hier ist der Thronfolger bereit, genau diese Aufgabe zu übernehmen. Die politische Brisanz des Bildes entgeht Hallett. Die zitierten Zeitungskommentare springen auf die Diskrepanz zwischen dem tatsächlichen Verhalten des Prinzen und dem im Bild formulierten Anspruch an. Hallett zitiert diese Kommentare, lässt sie aber uninterpretiert.
Wenn die Hängung überliefert ist oder gar Bildnisse noch am ursprünglichen Bestimmungsort hängen, beschreibt Hallett diese Orte ausführlich. So ist die Hängung der "Streatham Worthies", eines Zyklus von dreizehn Bildnissen befreundeter Gelehrter und Künstler inklusive des Auftraggeberpaars, in der Bibliothek der Thrales überliefert. Er reiht sich in die Tradition ähnlicher Zyklen ein, die Hallett Revue passieren lässt. Das Familienbildnis des Herzogs von Marlborough hängt noch in Blenheim Palace, das der derzeitige Herzog umbauen und in seiner Ikonografie "entmilitarisieren" ließ. Das Bildnis der Theresa Parker war ebenfalls Teil einer Neuausstattung des Familiensitzes Saltram House. Die neuen Räumlichkeiten der Royal Academy, die sie 1780 bezog, sind gleichfalls Gegenstand detaillierter Raumbeschreibungen, ebenso ihre weitere Ausstattung und damit die Gemälde, die nun mit denen von Reynolds in einen Dialog traten. Solche Bezüge schildert Hallett auch für die jeweiligen Akademie-Ausstellungen, sofern die Hängungen anhand von Aquarellen oder Beschreibungen belegt sind. In diesen gelungenen Passagen hat das Buch seine Stärken. Kunsthistorische systematische Analysen der Bildnisse, ihrer Ikonografie, Vorbilder und Besonderheiten, die Auseinandersetzung mit kontroversen Ansichten erfolgen dagegen nur selten. Nur am Rand sei erwähnt, dass auch der jeweilige Erhaltungszustand der Bilder nur ausnahmsweise kommentiert wird. Insofern wird man dem Buch wohl am ehesten gerecht, wenn man es in die Kategorie jener "coffee table books" einordnet, die wenig kritisch, dafür aber mit zahlreichen und qualitativ hochwertigen Abbildungen (428 Abbildungen auf 488 Seiten) zum Blättern einladen.
Renate Prochno-Schinkel