Elisabeth Cheauré / Sylvia Paletschek / Nina Reusch (Hgg.): Geschlecht und Geschichte in populären Medien (= Historische Lebenswelten in populären Wissenkulturen; Bd. 9), Bielefeld: transcript 2013, 314 S., ISBN 978-3-8376-2373-4, EUR 32,80
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Barbara Korte / Sylvia Paletschek (eds.): Popular History Now and Then. International Perspectives, Bielefeld: transcript 2012
Nina Reusch: Populäre Geschichte im Kaiserreich. Familienzeitschriften als Akteure der deutschen Geschichtskultur 1890-1913, Bielefeld: transcript 2015
Sylvia Paletschek / Sylvia Schraut (eds.): The Gender of Memory. Cultures of Remembrance in Nineteenth- and Twentieth-Century Europe, Frankfurt/M.: Campus 2008
Der von Elisabeth Cheauré, Sylvia Paletschek und Nina Reusch herausgegebene Sammelband zur Geschlecht und Geschichte in populäre Medien beinhaltet aktuelle Forschungen, die sich mit Konstruktion und Verhandlungen von Geschlecht in der populären Geschichtsschreibung beschäftigen. Die einzelnen Beiträge sind interdisziplinär ausgerichtet und zeigen auf, wie eine Kombination von Ansätzen aus den Medienwissenschaften, der Geschlechterforschung und der Geschichtswissenschaft an konkreten Fallstudien angewendet und welche Erkenntnisse daraus gewonnen werden.
In der Einleitung bieten die Herausgeberinnen Sylvia Paletschek und Nina Reusch einen Überblick zum Forschungsfeld der Geschichtsschreibung aus der Perspektive der Geschlechterforschung. Dabei greifen sie das Forschungsfeld breit auf und problematisieren die Mechanismen der Konstruktion von Geschlecht in der akademischen und populären Historiographie seit dem 19. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart. Auf der gegenwärtigen Geschichtswissenschaft lasten gemäss den Autorinnen immer noch bürgerliche Traditionen und Relevanzzuschreibungen aus dem 19. Jahrhundert und es fehlt die gendersensible Perspektive als integraler Bestandteil. Untersuchungen zur Historiographie-Geschichte und der Erinnerungskultur aus der Perspektive der Geschlechterforschung würden dazu beitragen, dieses Problem auszuheben und tradierte Ein- und Ausschlussmechanismen zu verstehen. Die Herausgeberinnen betonen die Verflechtung der Frauenbewegungen und der Geschichtsschreibung. Aktivistinnen der alten und der neuen Frauenbewegungen beschäftigten sich mit der Geschichte ihrer Vorgängerinnen und sammelten schriftliche Dokumente ihrer Vereine. Diese ausserhalb der Universität betriebene Geschichtsschreibung diente zur Legitimation ihrer Emanzipationsforderungen, gleichzeitig wirkte sie für Anhängerinnen und Anhänger der Frauenbewegung identitätsstiftend. Die institutionalisierte Geschlechtergeschichte hat sich gemäss den Herausgeberinnen von dieser ausseruniversitären Geschichtsschreibung abgegrenzt. Was jedoch Sylvia Paletschek und Nina Reusch in ihrer Ausführung unerwähnt lassen, ist die globalhistorische Ausrichtung der gegenwärtigen feministischen Historiographie, die die Publikation von Zeitschriften wie Aspasia, die die Frauenbewegungsgeschichte ausserhalb der euro-amerikanischen Welt mitberücksichtigen, und von Online-Archiven wie Women and Social Movements, International - 1840 to Present [1] hervorgebracht hat.
Die Beiträge über Geschichtsschulbücher machen deutlich, dass kontextuale Vorstellungen von Geschlechterrollen in die Vergangenheit projiziert und durch die Vermittlung der Lehrinhalte stabilisiert werden. Martin Nissen führt dies anhand von Schulgeschichtsbüchern in höheren Mädchenschulen in Deutschland im 19. Jahrhundert aus. Die Konzepte des Geschichtsunterrichts für Mädchen seien auf Kultur- und Sittengeschichte gerichtet und auf als 'natürlich' angenommene Geschlechterdifferenz basiert gewesen.
Jasmin Meier und Anabelle Thurn vergleichen in ihrem gemeinsamen Beitrag Darstellungsformen des antiken Roms in den deutschen und türkischen Schulbüchern der Gegenwart. Sie stellen fest, dass sowohl in türkischen als auch in deutschen Schulbüchern die Politikgeschichte und die "grosse Männer" des antiken Roms im Vordergrund stehen und "Frauen" in alltagsgeschichtlichen Kapiteln dargestellt werden. Diese beiden Beiträge haben das Potential, eine gendersensible Kritik an der gegenwärtigen Geschichtsdidaktik in den Schulen zu entwickeln, was jedoch nicht angegangen wird.
Als ein anderes Genre für die populäre Geschichtsschreibung gelten Frauenzeitschriften. Nina Reusch und Doris Lechner untersuchen gemeinsam zwei Familienzeitschriften - Leisure Hour (1852-1905) und Gartenlaube (1853-1944) in Deutschland und Grossbritannien. Sie interpretieren Familienzeitschriften als Raum für Frauen, in denen sie als Autorinnen und Rezipientinnen und zugleich als Akteurinnen der Geschichte wirken. In diesen Zeitschriften wurde Kulturgeschichte geschrieben, die Frauen als historische Subjekte darstellte, was in der kanonisierten Geschichtswissenschaft wenig beachtet wurde.
Barbara Korte und Sylvia Paletschek betrachten vergleichend Geschichtsschreibung über Frauen in feministischen Zeitschriften des 19. Jahrhunderts in Grossbritannien und Deutschland und zeigen dabei die Verflechtungen der feministischen Bewegung und der Entstehung der Frauengeschichte. In beiden Ländern sei diese Geschichtsschreibung teleologisch und aufklärerisch gefärbt und intentional ausgerichtet gewesen, um eine Gegengeschichte zur etablierten Historiographie zu bilden.
Das Geschlecht als konstitutiver Teil der populären Geschichtsschreibung ist der Leitgedanke weiterer Beiträge des Bandes. Sylvia Schraut analysiert Terrorismusdebatten in den populären und journalistischen Medien, Leonie Treber die mediale Hochstilisierung von "Trümmerfrauen" in Berlin in den 1980er Jahren, André Dechert US-amerikanische Family Sitcoms der 1950er und 1960er Jahre. Aus gendersensiblen Perspektiven werden auch Themen behandelt, die in historisch-kulturellen Diskursen eingebettet sind, wie Bilder in historischen Romanen über Tschingis Khan und Geschichtsdiskurse über Napoleon in Russland.
Kontextspezifische Vorstellungen des Geschlechts spiegeln sich ebenso in audiovisuellen Medien der populären Geschichtsschreibung wider. Die Projektionen von aktuellen feministischen Kämpfen und den Verhandlungen von Geschlechtskonzeptionen sieht Renée Winter in der US-amerikanischen Serie Mad Men. Gintare Malinauskaite versteht historische Dokumentarfilme als Erinnerungsraum und zeigt anhand der Holocaust-Filme in Litauen auf, dass Frauen als Opfer der sexuellen Gewalt dargestellt werden. Die Konstruktion der Männlichkeit in populärer Geschichtsschreibung analysiert Imke von Helden am Fallbeispiel der Wikinger-Figur im musikalischen Genre Heavy Metal. Die Autorin macht in ihrem Beitrag deutlich, dass die Wikinger-Figur die Kritik an gesellschaftlicher und politischer Entwicklung in Bezug auf Frauenemanzipation symbolisiert. Als eine Form von Re-enactment behandelt Michaele Fenske die Biedermeier-Szenen in der Altstadt von Werben. In diesen Szenen machen die Akteurinnen und Akteure Alteritätserfahrungen, indem sie in historische Rollen eintauchen und performativ tradierte Geschlechterrollen konstruieren. Die Ergebnisse dieser Beiträge deuten darauf hin, dass in diesen verschiedenen Medien tradierte Geschlechterrollen und -stereotypen reproduziert werden.
Die einzelnen Beiträge haben das Potential, theoretisch-methodische Ansätze des Forschungsfeldes weiterzuentwickeln. Dieses Potential wird jedoch in der Einleitung nicht genügend ausgeschöpft. Der von den Herausgeberinnen herausgestrichene und die Einleitung durchziehende Ansatz von Monika Mommertz "Geschlecht als Markierung, Ressource und Tracer" (7) wird in den einzelnen Beiträgen nicht explizit reflektiert. Eine systematische Anordnung der Beiträge würde zudem für Leserinnen und Leser eine Orientierung im Band geben. Trotz dieser Kritikpunkte bietet der Band einen guten Einblick in aktuelle Forschungen zur populären Historiographie und bereichert die Medien- und Geschlechtergeschichte.
Anmerkung:
[1] http://wasi.alexanderstreet.com/
Elife Biçer-Deveci