Gabriela Signori / Birgit Studt (Hgg.): Das Konstanzer Konzil als europäisches Ereignis. Begegnungen, Medien, Rituale (= Vorträge und Forschungen; Bd. LXXIX), Ostfildern: Thorbecke 2014, 416 S., 20 Farbabb., ISBN 978-3-7995-6879-1, EUR 58,00
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Kurt Mühlberger / Meta Niederkorn-Bruck (Hgg.): Die Universität Wien im Konzert europäischer Bildungszentren. 14.-16. Jahrhundert, München: Oldenbourg 2010
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In den "Vorträgen und Forschungen" [VuF] des Konstanzer Arbeitskreises tritt in der inzwischen langen Reihe der Tagungsberichte das Konstanzer Konzil am Tagungsort der Veranstalter ein drittes Mal in ausdrückliche Erscheinung in Gestalt eines neuen Sammelbandes. Hatte 1964 der damalige Kreis über "Die Welt zur Zeit des Konstanzer Konzils" verhandelt [1], so nahm die jetzige Generation den Faden erst vier Jahrzehnte später (2004) mit einer Tagung zu den Kirchenversammlungen des 15. Jahrhunderts wieder auf. [2] Wenig später (2011) nun kehrte der Kreis gewissermaßen in Aufnahme des ersten Blickes zum "Constantiense" zurück, diskutierte aber jetzt präziser den "europäischen" Rahmen der Versammlung, beschränkte dabei auch seine Auskunftspflicht auf das politische Beziehungsgeflecht, in das das Konzil eintrat, ohne freilich, was offensichtlich dem "cultural turn" der heutigen Geschichtswissenschaft verdankt wird, ganz auf kulturwissenschaftliche Ausflüge zu verzichten. Erneut wird, wieder bei der Musik [3], die Wirkung des Konzils als Forum und Treffpunkt verschiedener Traditionen und Produzenten auf die europäische Szene vorgestellt (Therese Bruggisser-Lanker: Music goes public. Das Konstanzer Konzil und die Europäisierung der Musikkultur, 349-378). Die seit mehr als 100 Jahren immer wieder staunend verfolgte Handschriftenjagd der Humanisten [4] kommt in dem Band in einer pünktlichen Liste weiterführend zur Geltung, wo nicht allein die wieder aufgefundenen "klassischen" Texte Berücksichtigung finden, sondern auch aktuelle Texte zu Schisma- und Konzilsfragen (Concetta Bianca: Il Concilio di Costanza come centro di produzione manoscritta degli umanisti, 379-389). Offenbar sind diese Beiträge als kulturgeschichtliche Highlights zu verbuchen, die die über das "Politische" hinausreichende Bedeutung der Konstanzer Kirchenversammlung in Erinnerung halten.
Zuerst also einleitend konzentrierte Blicke auf den europäischen Gesamtrahmen durch die beiden Herausgeberinnen (Gabriela Signori / Birgit Studt: Vorwort; Signori: Das Konstanzer Konzil als europäisches Ereignis, 9-19), wo auch die Konzilsnationen als Teile der universalen Kirche, die topografische Verteilung über die Stadt hin und die ikonografischen Probleme der Bilderhandschriften der Richentalchronik knapp beleuchtet werden. Der Rundgang durch den Wald der Probleme startet mit einem vergleichenden Blick auf das Gesamt der großen Reformkonzilien des 15. Jahrhunderts von Pisa bis Ferrara-Florenz bzw. Basel, ausgeweitet sogar auf den Rahmen der mittelalterlichen Generalsynoden der lateinischen Kirche (Johannes Helmrath: Das Konzil von Konstanz und die Epoche der Konzilien (1409-1449). Konziliare Erinnerungsorte im Vergleich, 19-56). Diese "Verortung" des Konzils erläutert eingehend, "wie das 'Langzeitereignis' Konstanzer Konzil zum wissenschaftlich-populären Erinnerungsort geworden ist" (55). Als Ergebnis liegt eine an bibliografischen Hinweisen und an weiterführenden (auch auf Forschungsaufgaben hindeutenden) Gesichtspunkten reichhaltige Skizze der spätmittelalterlichen Konzilszeit vor, die den Band angemessen eröffnet.
Nach dem weit gespannten Panorama kommen zunächst politische Probleme einzelner (ausgewählter) Regionen in ihren Beziehungen zur Konstanzer Versammlung zu Wort. Bei den britischen Inseln wird der Anfang gemacht (Robert N. Swanson: Gens secundum cognationem et collectionem ab alia distincta? Thomas Polton, two Englands, and the challenge of medieval nationhood, 57-88). Damit tritt das oft nur als Geschäftsordnungsmodus wahrgenommene Thema der Konstanzer konziliaren nationes in den Fokus. Entsprachen sie nationalen Regungen, vor allem einem nationalen Bewusstsein (oder doch einem nationalen Bewusstwerden) in den europäischen Ländern? In einem schon bisher häufiger beachteten Memorandum als Antwort auf den polemischen Vorschlag aus der französischen Nation, anlässlich der Aufnahme der spanischen Teilnehmer in Konstanz (1417) die Spanier sogleich als "vierte" natio anzuerkennen, dafür aber dann die englische Nation in die Germanica zu integrieren, hat Polton einige Hinweise auf die Bedeutung einer natio in Kirche und Konzil gegeben. Der Verfasser, ein einflussreicher englischer Prälat, wurde nach dem Ende des Konzils in rascher Folge zum Bischof von Hereford, Chichester und schließlich Worcester erhoben, 1433 starb er auf dem Basler Konzil, konziliares Urgestein also! Ausgehend von seinen Argumenten zugunsten einer Beibehaltung der Anglicana (was die natio Hispanica notwendig zu einer fünften Konzilsnation [5] machen musste) untersucht die Studie, wieweit sich hier bereits auch eine werdende englische Nation außerhalb des konziliaren Feldes beobachten lässt und wie man sich demnach einen spätmittelalterlichen englischen "Nationalismus" vorstellen könne.
Die Politik der auf dem Konzil einflussreichen Delegation des französischen Könighofes verfolgt Sophie Vallery-Radot (La diplomatie menée par l'ambassade du roi de France au Concile de Constance, 89-106). War die Gesandtschaft des französischen Königs (die so illustre Mitglieder wie Jean Gerson oder Pierre de Versailles umfasste), die durchmischt mit Gelehrten der Pariser Universität und in Konkurrenz mit diesen in Konstanz erschienen war, bei zahlreichen Erörterungen der Konzilsväter auch wichtig oder entscheidend gewesen, so konnte sie doch in einigen für sie zentralen Fragen ihre Vorstellungen (insbesondere gegen die Einwände etwa des Römischen Königs Sigismund) nicht durchsetzen, was teilweise auch empfindlichen Kommunikationsschwierigkeiten durch die große Entfernung zwischen Konstanz und der Île-de-France geschuldet war. Die Schwierigkeiten einer ständigen Fühlungnahme mit dem intermittierend kopflosen Hof in Paris und die unterschiedliche Bewertung der Geschäftslage auf dem Konzil werden klar gezeichnet und lassen sich gewiss für andere Delegationen analog vorstellen.
Die Existenz mehrerer päpstlicher praetendentes (wie man die Konkurrenten um das päpstliche Amt damals nannte) begleitete das Konzil von Beginn an. Durch die erneut - nach Vorgang und Vorbild des 'Pisanum' - im Jahr 1415 ausgesprochene Absetzung des "Pisaner" Papstes Johannes XXIII. und des "avignonesischen" Papstes Benedikt XIII., dem sich der "römische" Papst Gregor XII. mit eigenem Amtsverzicht anschloss, konnte die Frage des päpstlichen Pluralismus keineswegs sogleich gelöst werden, zumal sich Benedikt XIII. / Pedro de Luna standhaft weigerte, seine Absetzung durch eine feierliche Resignation anzuerkennen. Diese verzwickte Lage beleuchtet mit weitem Ausgriff in die iberische Landesgeschichte Nikolas Jaspert (Das aragonesische Dilemma. Die Heimat Benedikts XIII. zwischen Obödienzstreit, herrschaftlichem Umbruch und internationaler Verflechtung, 107-142). Ansgar Frenken (Kastilien und das Konstanzer Konzil, 143-172) setzt das mit einem präzisen Bericht über die deutlich unterschiedene Situation Kastiliens fort. Nebeneinander gehalten erscheinen beide Berichte geeignet, die Iberische Halbinsel als den zumindest in Deutschland im Allgemeinen meist blinden Fleck auf der europäischen Landkarte für die Konzilszeit mit Farben zu füllen. Zugleich wird die eindrückliche Figur des papa Luna in eigener Weise plastisch.
Den Konzilsteilnehmern aus Böhmen gegen und neben Jan Hus widmet sich Pavel Soukup, indem er durchaus unterschiedliche Konzils-Predigten dreier böhmischer Konzilsväter vorstellt (Die böhmischen Konzilsteilnehmer zwischen Häresiebekämpfung und Kirchenreform. Die Konstanzer Predigten von Mauritius Rvačka, Stephan von Páleč und Matthäus von Königsaal, 173-218). Wieder einmal wird damit die Rolle deutlich, die der mündlichen Kommunikationsform der Predigt auf der langdauernden Kirchenversammlung zukam, und zugleich welche Grenzen diese "Öffentlichkeit" unweigerlich hatte.
Schließlich stellt Martin Kintzinger erneut die zentrale Rolle des "Römischen Königs" Sigismund vor (Das Konzil konstruieren. König Sigismund und die internationale Kommunikation, 219-254). Der deutsche Herrscher hatte bekanntlich bereits vor Tagungsbeginn durch erheblichen Druck auf Johannes XXIII. für einen neuen Rückenwind bei der Einberufung des Konzils gesorgt. Während seiner Anwesenheit in Konstanz, wo er am Weihnachtsabend 1414 in einer sorgfältig geplanten Inszenierung angelangt war, versuchte er stets energisch auf die Beratungen der Väter (mit freilich wechselndem Erfolg) einzuwirken. Für ihre Außenbeziehungen zu europäischen Fürsten und Mächten war er während der gesamten Tagungsdauer schlechthin unentbehrlich. Zuletzt hat er noch in weit ausgreifenden diplomatischen Europareisen und Fürstentreffen den Enderfolg des Konzils in der Unionsfrage sichergestellt. Hier wird versucht, die diplomatischen Bemühungen im Sinne der neuerdings diskutierten "Kulturgeschichte des Politischen" in einer Art Netzwerkanalyse als Kombination von Lösungsprozessen zu verstehen.
Ein methodisch reflektierter Blick auf die Mittel mittelalterlicher öffentlicher Politikinszenierung schließt sich an. Auf der Basis einer reich entfalteten Forschungsliteratur macht Gerrit Jasper Schenk (Die Lesbarkeit von Zeichen der Macht und die Grenzen der Macht von Zeichen auf dem Konstanzer Konzil am Beispiel des Einzugs Papst Johannes' XXIII. (1414), 255-324) u.a. die Erwartungen sichtbar, die der "Pisaner Papst" noch zu Beginn 'seiner' Tagung an das Konstanzer Konzil geknüpft hatte. Freilich zeigt die eingehende Darlegung die Ambiguität von Symbolhandlungen, die bei Fehlen von klaren Auslege-Texten kaum eindeutige Auflösungen der angezielten Bedeutung erlaubt. [6] Schon wenige Monate nach seinem prunkvoll-pompösen Einzug wurde Johannes XXIII. (nach seinem gescheiterten Fluchtversuch aus der Stadt) in einem eiligen förmlichen Verfahren, das dem Vorgehen des "Pisanum" nachempfunden war, vom Konzil abgesetzt, verzichtete dann von sich aus auf sein Amt und wurde bis zum Ende des Konzils (bei Mannheim) in Haft genommen, aus der er sich erst durch Martin V. entlassen sah.
Thomas Martin Buck endlich steuert zu dem Band noch eine (auf der Tagung selbst nicht vorgetragene) Untersuchung der auch für Konstanz charakteristischen Teilnehmerlisten bei (Und wie vil herren dar koment, sy wärind gaistlich oder sy wäremd weltlich. Zu den Namen- und Teilnehmerlisten der Konstanzer Konzilschronik Ulrich Richentals, 305-348). Für diese komplexe Aufgabe ist er bestens gerüstet, hat er doch vor kurzem erst nicht allein eine höchst brauchbare "Leseausgabe" der berühmten Konstanzer Konzilschronik des Ulrich Richental vorgelegt [7], die bereits in mehreren Auflagen ausgeliefert werden konnte (und damit den gewaltigen Bedarf anzeigt, auf den diese Ausgabe traf), sondern bereitet auch im Auftrag der MGH eine kritische Edition des Richental-Textes vor. Hier geht es vor allem um Ort, Absicht und Ertrag dieser umfangreichen Aufstellungen von Wappen und Namen als wesentlichem (wenngleich oft stillschweigend übergangenen) Teil der Chronik.
Die Mitherausgeberin Birgit Studt begründet in ihrer "Zusammenfassung" der Tagung (391-405) noch einmal pointiert die Selektion der behandelten Themen. Sie fragt (391): "Mit welcher Tinte ist künftig das Konzil zu schreiben?" Das sollte, so meint sie, für Profanhistoriker nicht einseitig auf 'nichttheologische' Fragen festgelegt werden, wenngleich der allgemeineuropäische Horizont der Bewertung künftig gerade in der regionalen Fragmentierung der kirchlichen Einheit in allen zentralen Problemen, in causa unionis, reformationis und fidei, unübersehbar bleibe. Welche "Öffentlichkeit" das Konzil abbilde und wie es seine Repräsentation verstehe, müsse ebenso weiter geklärt werden, wie das Echo in der zeitgenössischen Historiografie Aufmerksamkeit verlange. Damit stellt das Konzil sich der historischen Analyse als ein zentrales, aber eben auch nur ein Exempel dar, in dem historisches Geschehen sich bündelt und damit dem Historiker Aufgaben stellt.
Man wird dem Band zugestehen, dass er ein lebendiges Bild aus seinen exemplarisch herausgegriffenen Themen entwickelt - dies ermöglicht ein besseres Verständnis der Kirchenversammlung in ihrem zeitgenössischen Kontext. Dem Buch sind zahlreiche angeregte Leser und Nutzer zu wünschen.
Anmerkungen:
[1] (= VuF; Bd. 9), Konstanz-Stuttgart 1965 [die Tagung fand 1964 statt]; der Band ist - wie die gesamte ältere Reihe - im Internet zugänglich.
[2] Heribert Müller / Johannes Helmrath (Hgg.): Die Konzilien von Pisa (1409), Konstanz (1414-1418) und Basel (1431-1449). Institutionen und Personen (= VuF; Bd. 67), Ostfildern 2007 [die Tagung fand 2004 statt].
[3] Vgl. etwa Silke Leopold: Der politische Ton. Musik in der öffentlichen Repräsentation, in: Politische Öffentlichkeit im Spätmittelalter (= VuF; Bd. 75), hgg. von Martin Kintzinger / Bernd Schneidmüller, Ostfildern 2011, 21-40.
[4] Eine brillante allgemeinverständliche Übersicht bietet Dieter Mertens: Das Konzil und der Humanismus. Handschriftensuche und die Präsenz der Italiener, in: Das Konstanzer Konzil, 1414-1418. Weltereignis des Mittelalters. Essays, hgg. von Karl-Heinz Braun / Matthias Herweg (u.a.), Darmstadt 2013, 33-38.
[5] Gedruckt bei Hermann von der Hardt: Magnum oecumenicum concilium Constantiense, Bd. V, Frankfurt a.M. / Leipzig 1698, Sp. 60-78; auch bei Johannes Dominicus Mansi: Amplissima collectio, Bd. XXVII, col. 1058-1070.
[6] Der "prodigiöse" (so Schenk, 301) Anreiseunfall des Papstes auf dem Arlberg, von dem allein Richental (später) berichtet, wird freilich, vor allem Thomas Rathmann folgend, allzu rasch zur literarischen Fiktion erklärt.
[7] Chronik des Konstanzer Konzils 1414-1418 von Ulrich Richental, [Leseausgabe] eingeleitet und hg. von Thomas Martin Buck (= Konstanzer Geschichts- und Rechtsquellen; Bd. 41), Ostfildern 12010 [42014].
Jürgen Miethke