Agnès Bérenger: Le métier de gouverneur dans l'empire romain. De César à Dioclétien (= De l'archéologie à l'histoire; 62), Paris: de Boccard 2014, VIII + 535 S., ISBN 978-2-7018-0350-0, EUR 59,00
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Die Untersuchung von Agnès Béranger bietet die seit langer Zeit erste enzyklopädisch angelegte, systematische Darstellung des senatorischen Statthalteramtes in den lateinisch- wie griechischsprachigen Provinzen der römischen Kaiserzeit und ergänzt die entsprechenden Darstellungen von Raimund Schulz für die republikanische Zeit und von Daniëlle Slootjes für die Spätantike. [1] Sie folgt so einer gegenwärtigen Forschungstendenz, die die Blickrichtung wieder verstärkt auf die Darstellung einzelner Ämter anstelle der Herrschaftsräume und Herrschaftsgefüge richtet, in denen die Funktionsträger handelten, denn die kaiserzeitliche Provinzialherrschaft wurde in den letzten Jahrzehnten intensiv untersucht, wobei dem Statthalter eine zwar prominente, nicht immer aber dominierende Rolle zukommt. Auch die senatorischen Statthalter sind zuletzt unter einer weniger enzyklopädischen Ausrichtung behandelt worden, vom Rezensenten für deren Regierungspraxis in den griechischsprachigen Provinzen des Reiches, von Frédéric Hurlet für die Prokonsuln besonders in ihrem Verhältnis zum Kaiser. [2]
Der zeitliche Rahmen der Darstellung umfasst die letzten Jahrzehnte der römischen Republik (sie überschneidet sich hier mit der Arbeit von Schulz) bis zur Neuordnung der Reichs- und Provinzialorganisation unter Diokletian. Ausgeklammert werden die ritterständigen Statthalter (Präfekten und Prokuratoren) und damit auch der praefectus Aegypti, dem zuletzt Andrea Jördens eine ausführliche, wenn auch nicht umfassende Untersuchung gewidmet hat. [3] Gegenstand der Arbeit sind in den ersten sieben Kapiteln die Kompetenzen und Aufgabenbereiche eines Statthalters, in den letzten drei Kapiteln dessen Stellung im provinzialen Gefüge sowie gegenüber seinen senatorischen Standeskollegen und dem Kaiser. Methodisch betrachtet, verfolgt die Verfasserin im ersten umfangreicheren Teil keine Fragestellung, sondern rekonstruiert - eng an die Quellen und die Spezialforschung angelehnt - deskriptiv das, was sich nach heutigem Forschungsstand über die Rahmenbedingungen der Amtsführung und die Regierungspraxis eines Statthalters feststellen lässt. Dem kürzeren zweiten Teil liegt die unausgesprochene Fragestellung zugrunde, welche Rücksichten ein Statthalter bei seiner Amtsführung gegenüber den Gruppen der Provinzialbevölkerung, seinen Standesgenossen und dem Kaiser nehmen musste bzw. welchem Druck er von deren Seite ausgesetzt war.
In ihrer Einleitung stellt die Verfasserin die wichtigsten Quellengruppen vor, auf die sie sich bei der Rekonstruktion statthalterlicher Regierungspraxis stützt: Dies sind neben den einschlägigen literarischen Texten (besonders Cicero und Plinius) insbesondere Inschriften, Papyri und juristische Quellen. Im ersten Teil der Arbeit werden in den ersten drei Kapiteln die Voraussetzungen der Amtstätigkeit eines Statthalters behandelt: in Kapitel 1 dessen Nominierung, die Vorbereitungen zur Abreise, die Auswahl der ihn begleitenden Personen sowie die Reise und die Ankunft in der Provinz, in Kapitel 2 die Kompetenzen des Statthalters (imperium und ius gladii, Provinzialedikt und kaiserliche mandata), in Kapitel 3 die ihm in seiner Provinz zur Verfügung stehenden Amtsträger und Soldaten. In den folgenden vier Kapiteln werden die zentralen Regierungsaufgaben eines Statthalters dargestellt, zunächst die Rechtsprechung - Kompetenzen, Konventsystem, Appellation, Delegation - (4), dann die Ordnungswahrung in den Städten und der Provinz (5), die kultische Vermittlung der pax deorum und die Kaiserverehrung (6), schließlich die Kontrolle der Städte, ihrer Finanzen und Grenzen (7). Unterbelichtet bleiben dabei die militärischen Aufgaben des Statthalters, vor allem seine Rolle als Heerführer.
Im zweiten Teil der Arbeit befasst sich Kapitel 8 mit den Situationen, in denen sich Statthalter typischerweise mit bestimmten Gruppen der Provinzialbevölkerung konfrontiert sahen: bei den Reisen durch die Provinz, der Ankunft in einer Stadt, beim Tribunal an Gerichtstagen und beim Besuch von städtischen und provinzialen Festen. In Kapitel 9 wird die Kommunikation des Statthalters mit vier wichtigen Gruppen erörtert: den provinzialen Notabeln, der einfachen Provinzialbevölkerung, seinen niederrangigen Untergebenen (Freigelassene und apparitores) und den höherrangigen Amtsträgern in der Provinz (Quästoren, Legaten, Prokuratoren). Das letzte Kapitel schließlich behandelt den Einfluss senatorischer Patronagenetzwerke und des Kaisers auf die statthalterliche Amtsführung. Der Zusammenfassung folgen eine ausführliche Bibliographie und ein detaillierter Quellenindex.
Das Verdienst der Untersuchung von Béranger besteht darin, dass sie ein Kompendium statthalterlicher Amtstätigkeit auf der Grundlage exemplarischer Quellenaufbereitung auf heutigem Forschungsstand bietet; neue Erkenntnisse ergeben sich bei einer solch enzyklopädischen Anlage der Arbeit aber kaum. Auch lassen sich einige kritische Anmerkungen nicht vermeiden. Erstens stellt sich die Frage, weshalb die Verfasserin explizit die ritterständischen Statthalter, besonders den praefectus Aegypti, von ihrer Untersuchung ausnimmt, zugleich aber ägyptische und mesopotamische Papyri in großem Umfang für ihre Argumentation heranzieht, unter anderem mit dem Argument der neueren Forschung, dass Ägypten keine Sonderstellung innerhalb der römischen Provinzen eingenommen habe. Zweitens ist die Gewichtung der betrachteten Sachverhalte in der Darstellung nicht immer ausgewogen, da manches zu ausführlich dargelegt, anderes bloß angerissen oder übergangen wird. Um nur ein Beispiel zu nennen: Die Nominierung eines Statthalters wird unter Verweis auf die Arbeit von Hurlet völlig übergangen (15), die Konventsordnung in den Provinzen hingegen ohne neue Ergebnisse überaus ausführlich diskutiert (204 ff). Manche Themen werden exkursartig zu breit auf der Grundlage eines einzigen wissenschaftlichen Beitrages referiert, so etwa die Bedeutung des Status der humiliores und honestiores für das Strafrecht anhand des einschlägigen Werkes von Peter Garnsey. [4] Drittens schließlich ist der Umgang der Verfasserin mit der Forschung zuweilen bedenklich: Liest man ihr Werk unvoreingenommen, entsteht der Eindruck, ihr Buch sei das erste zum Thema überhaupt. So wird weder in der Einleitung noch an anderer Stelle etwas zum Forschungsstand mitgeteilt, und die zahlreichen systematischen Werke zur kaiserzeitlichen Provinzialherrschaft bzw. zum Statthalter tauchen entweder nicht im Literaturverzeichnis auf, oder auf sie wird höchstens an marginaler Stelle verwiesen. Auf die Arbeit von Schulz etwa, in der alles steht, was die Verfasserin über die späte Republik schreibt, wird ganze zweimal kommentarlos Bezug genommen. Sämtliche systematischen Darstellungen aus neuerer Zeit zur römischen Provinzialherrschaft erscheinen noch nicht einmal im Literaturverzeichnis, [5] von der älteren Forschung ganz zu schweigen. [6] Auch wo in der Forschung ausführliche Behandlungen eines Themas vorliegen, wird öfters nicht darauf verwiesen, geschweige denn, dass eine Auseinandersetzung erfolgte. [7] Insgesamt entsteht so der Eindruck einer konzeptionell und sachlich voraussetzungslosen Arbeit, die allein auf der Auswertung von Quellen und der sie diskutierenden Spezialforschung beruht. Trotz dieser Einwände bietet die Arbeit von Béranger ein willkommenes Panorama statthalterlicher Amtstätigkeit.
Anmerkungen:
[1] R. Schulz: Herrschaft und Regierung. Roms Regiment in den Provinzen in der Zeit der Republik, Paderborn 1997; D. Slootjes: The Governor and his Subjects in the Later Roman Empire, Leiden / Boston 2006.
[2] E. Meyer-Zwiffelhoffer: Politikôs árchein. Zum Regierungsstil der senatorischen Statthalter in den kaiserzeitlichen griechischen Provinzen, Stuttgart 2002; F. Hurlet: Le proconsul et le prince d'Auguste à Dioclétien, Bordeaux 2006. Nicht publiziert wurde die Dissertation von G. P. Burton: Powers and Functions of Proconsuls in the Roman Empire, 70-260 AD, Oxford 1973.
[3] A. Jördens: Statthalterliche Verwaltung in der römischen Kaiserzeit. Studien zum praefectus Aegypti, Stuttgart 2009. Gegenstand sind die Steuer-, Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik, nicht aber die jurisdiktionellen, ordnungspolitischen und militärischen Aufgaben des Statthalters.
[4] P. Garnsey: Social Status and Legal Privilege in the Roman Empire, Oxford 1970. Es fehlt in diesem Zusammenhang das einschlägige Werk von R. Rilinger: Humiliores - honestiores. Zu einer sozialen Dichotomie im Strafrecht der römischen Kaiserzeit, Stuttgart 1988.
[5] Eine Auswahl: G. P. Burton: Government and the Provinces, in: The Roman World, hrsg. v. J. Wacher, London / New York 1987, 423-439; F. Jacques / J. Scheid: Rome et l'intégration de l'Empire (44 av. J.-C. - 260 ap. J.-C.), Bd. I: Les structures de l'Empire romain, Paris 1990, 168-197; A. Lintott, Imperium Romanum: Politics and Administration, London / New York 1993; A. K. Bowman: Provincial Administration and Taxation, in: The Cambridge Ancient History, Bd. X: The Augustan Empire, 43 B.C.-A.D. 69, ed. by A. K. Bowman / E. Champlin / A. Lintott, Cambridge 21997, 344-370.
[6] Zur älteren Forschung, von der Béranger nur Mommsen (ohne historiographischen Kontext) zur Kenntnis genommen hat - neben der ersten Darstellung des Statthalteramtes von E. Marx: Essai sur les pouvoirs du gouverneur du province sous la république Romaine et jusqu'à Dioclétien, Paris 1880 - vgl. Meyer-Zwiffelhoffer: Politikôs árchein, 17-43.
[7] So wird für die Rechtsprechung des Statthalters (171 ff) auf die zentrale Untersuchung von J. Fournier: Entre tutelle romaine et autonomie civique. L'administration judiciaire dans les provinces hellénophones de l'Empire romain (129 av. J.-C. - 235 apr. J.-C.), Paris 2010 nur marginal oder gar nicht verwiesen; für die Begrüßungsrede für einen Statthalter bei Menander Rhetor (318 f., 346 ff., 357 f. und öfter) nicht auf Meyer-Zwiffelhoffer, 92-102; für die militärische Ordnungswahrung in den Provinzen (237 ff) nicht auf C. J. Fuhrmann: Policing the Roman Empire. Soldiers, Administration, and Public Order, Oxford 2012. Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren.
Eckhard Meyer-Zwiffelhoffer