Kari Palonen: Politics and Conceptual Histories. Rhetorical and Temporal Perspectives (= Politics-Debates-Concepts / Politik-Debatten-Begriffe; Vol. 1), Baden-Baden: NOMOS 2014, 346 S., ISBN 978-3-8487-1197-0, EUR 89,00
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Claudia Wiesner / Evgeny Roshchin / Marie-Christine Boilard (eds.): In Debate with Kari Palonen. Concepts, Politics, Histories, Baden-Baden: NOMOS 2015, 309 S., ISBN 978-3-8487-1502-2, EUR 59,00
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Der beiden vorliegende Bände "Politics and Conceptual Histories. Rhetorical and Temporal Perspectives" und "In Debate with Kari Palonen" bilden den Auftakt einer neuen Reihe "Politics-Debates-Concepts", die von renommierten internationalen Begriffshistorikerinnen und Begriffshistorikern herausgegeben wird. Der erste Band fasst 19 bisher nur verstreut zu findende Aufsätze und längere Rezensionen von Kari Palonen zusammen, angereichert mit einem Interview und einem Postcriptum Palonens über "Two Decades of Conceptual History". Palonen, nunmehr emeritierter Professor für Political Science an der University of Jyväskylä, Direktor des Finnish Centre of Political Thought and Conceptual Change, gründete 1998 zusammen mit Melvin Richter die "History of Political and Social Concepts Group", die seit 2012 unter dem Titel "History of Concepts Group" firmiert - eine Kürzung die gleichzeitig als Erweiterung des Interessensgebiets verstanden wird. [1] Palonens Forschungsinteressen selbst umfassen die Begriffsgeschichte des Politischen, Max Webers politische Theorie und Methodik sowie Theorie und Praxis der Begriffsgeschichte, wobei er sich immer wieder mit dem Werk Reinhart Kosellecks und Quentin Skinners auseinandergesetzt hat. Zuletzt hat er sich wiederholt mit dem Parlamentarismus, seinen Verfahren, Begriffen sowie der ihm impliziten politischen Rhetorik befasst.
Die versammelten Aufsätze - der erste aus dem Jahr 1997 - stellen Vorarbeiten und nachträgliche Reflexionen insbesondere seiner Bücher Die Entzauberung der Begriffe (2004) und seines Einführungswerks Quentin Skinner. History, Politics, Rhetoric (2003) dar. In die gleiche Zeit fallen zahlreiche weitere Veröffentlichungen, etwa methodische Reflexionen, die Max Weber als Ausgangspunkt zur Analyse des Wandels des Politischen nehmen, sowie neuere Arbeiten, die sich mit der Temporalmetaphorik des Politischen und parlamentarischen Verfahren auseinandersetzen. Diese Publikationen verdeutlichen insgesamt, wie ungemein produktiv Palonen ist, und gleichzeitig zeigen sie ihn auch als einen "Exzentriker", wie es Jan Ifversen [2] ausgedrückt hat: Palonen beruft sich immer wieder auf die gleichen Theoretiker (Weber, Koselleck, Skinner), die gleichen Konzepte (das "Politische", "Politik als Handlung", "Parlamentarismus"), und er stützt sich zugleich auf eine ähnliche Quellenbasis, nämlich parlamentarische Debatten, insbesondere aus England und Frankreich. Seine eigene Position in der Debatte über die Gemeinsamkeiten, Differenzen und Fortführungsmöglichkeiten eines semantisch orientierten begriffsgeschichtlichen Ansatzes (Koselleck) und eines pragmatischen, an der Sprechakttheorie orientierten Zugangs der Cambridge School (Skinner) sieht er in einem "Verfremdungseffekt" (11). Dieser beruht für ihn einerseits auf der Tatsache, dass er mit einem Blick von außen britische und deutsche Traditionen bzw. Schulen reflektieren kann, andererseits resultiert er aus seiner Position als Politikwissenschaftler: Mit seinem Verständnis von Politik als (Sprach-)Handlung erweitert er das Kosellecksche Konzept im Sinne Skinners, und mit seinen Ausführungen zur politisch handlungsrelevanten Zeitsemantik entwickelt er Kosellecksche Begrifflichkeiten über Skinner hinaus für sein eigenes Werk. Zielpunkt seiner Kritik - insbesondere im Hinblick auf die eigene Disziplin und die Politische Theorie - ist dabei ein essentialistisches Begriffsverständnis. Demgegenüber macht er auf die Polysemie und Historizität der Begriffe, aber auch auf ihre Kontingenz und ihre Bedeutung für politischen Wandel aufmerksam. Einen weiteren Brechtschen "Verfremdungseffekt" - ein von Palonen gern benutzter Begriff- erzielt er schließlich dadurch, dass er Max Webers Werk immer wieder als heuristischen Fluchtpunkt nimmt. Denn Weber betreibt nach Palonen in seiner Reflexion des Objektivitätsbegriffs in den Sozialwissenschaften ebenso wie in seinen Analysen zum Begriff des "Berufs" eine "conceptual history avant la lettre" (343). [3] Die von Weber (und auch Nietzsche) ausgehende, von Skinner und Koselleck weitergeführte "Entzauberung" bzw. "Entsubstantialisierung" der Begriffe versucht Palonen in seinem Werk für die Politische Theorie und die Geschichte des Politischen voranzutreiben.
Aufgeteilt ist der Band in drei Abteilungen, die unter den Titeln "Perspectives on Conceptual Change", "Concepts, Time and History" und "Rhetoric of Political Disputes" firmieren. Da die ersten beiden Überschriften nicht trennscharf genug erscheinen und die dritte Abteilung insbesondere eine Auseinandersetzungen mit Skinner enthält, erschließt sich die Zuordnung der ausgewählten Beiträge zu den Rubriken nicht immer. So hätte der instruktive, gerade im Hinblick auf die Sprachspiele der Politik Forschungsmöglichkeiten eröffnende und von Palonen zusammen mit Pasi Ihalainen verfasste Beitrag über "Parliamentary Sources in the Comparative Study of Conceptual History" (123-142) ebenso wie der Beitrag über "Quentin Skinner's Rhetoric of Conceptual Change" (43-62) sicherlich auch seinen Platz in der letzten Rubrik finden können, während man den Beitrag über "Reinhart Koselleck on Translation, Anachronism and Conceptual Change" (161-180) mit seinen lesenswerten Ausführungen über quellengebundene Begriffe, wissenschaftliche Erkenntniskategorien und das Konzept der Politisierung durchaus auch in der ersten Rubrik hätte verorten können. Fast wünschte man sich eine rein chronologische Anordnung, um die innere Entwicklungslogik, die Brüche und Neuansätze besser verfolgen zu können, die etwa dann aufleuchten, wenn auf einmal Walter Benjamin als neuer Gesprächspartner für eine Theorie historischer Zeitschichten auftaucht.
Palonen gehört sicherlich zu den wenigen, die von sich behaupten können, alle Bände der "Geschichtlichen Grundbegriffe" gelesen zu haben. In "A Train Reading Marathon" (95-109) zeigt sich, wie er nach diversen Bahnfahrten die komplette Paperback-Neuausgabe durchgearbeitet und dabei ein tiefes Verständnis ihrer Produktionsgeschichte erlangt hat - mit allen ihren vielgeschilderten Voraussetzungen, Vorzügen und Problemen. Seine eigene Kritik kapriziert sich dabei zunächst auf die herangezogenen Quellen - Enzyklopädien, Konservationslexika und Höhenkammliteratur - wobei er darauf aufmerksam macht, dass diese Quellenbasis die methodologischen Möglichkeiten sehr einschränkt, gerade auch im Hinblick auf Länder, in denen es eine derart bildungsbürgerliche Tradition kanonisierten Wissens nicht gab. Zudem vermisst er die daraus resultierende Beachtung politischer Kämpfe und Debatten - mit dem erwägenswerten Hinweis, dass dies letztlich auch an der relativ kurzen deutschen parlamentarischen Tradition liegen könne. Was ihm fehlt, sind hier also jene Quellen parlamentarischer Debatten, die er selber für eine politikorientierte Begriffsgeschichte im Visier hat. Etwas merkwürdig erscheint, dass er sich über durchaus wichtige Diskussionen zu Voraussetzungen und Reichweite des begriffsgeschichtlichen Ansatzes hinwegsetzt: Zu denken wäre hier an die zahlreichen Studien über Diskursgeschichte und Begriffsgeschichte [4], die etwa Palonens Interpretation von Kosellecks früher, eigenwilliger Auslegung des linguistischen Dreiecks mit der Unterscheidung von "Wortkörper (Bezeichnung), Bedeutung (Begriff) und Sache" wahrscheinlich weitergeholfen hätten. Andernorts zeigt er sich dann am Begriff des Begriffs wenig interessiert und betont vielmehr: "I subscribe to a rather pragmatic view, according to which concepts refer to a complex of their vocabularies, meanings and references to the world". (63) Auch ideengeschichtlich ist man bisweilen verwundert, wenn etwa im Zuge der Reflexion des Begriffs des Politischen der Name Carl Schmitt selten fällt, auch da es Palonen im Zuge seiner Entzifferung eines modernen, im späten 19. Jahrhundert sich herausbildenden Politikverständnisses - "Politik als Handlungsbegriff" - nicht nur um Fragen von Handlungsspielräumen geht, sondern auch um den letztlich immer so erhaben wirkenden Moment politischer Entscheidungen. [5]
Sieht man von Palonens Max Weber-Rezeption einmal ab, hat man es immer mit einer kritischen Lektüre der von ihm auserkorenen Meisterdenker zu tun. Das zeigt sich etwa an einem Vortrag, den er in Anwesenheit von Skinner und Koselleck 1998 hält (63-79), doch leider erfahren die Leser nichts über die Antworten der an die beiden Protagonisten damals gestellten Fragen. An späterer Stelle hält Palonen etwas resigniert fest, dass er über die Differenzen historischer und politischer Zeitverständnisse "without much success" mit Koselleck diskutiert habe (343), doch erhält er von Skinner die Rückmeldung, dass er durch die ihm von Palonen entgegengebrachte Resonanz seinen eigenen "rhetorical turn" weiter vorangetrieben habe (In Debate with Kari Palonen, 213-215).
Damit sind die beiden Hauptthemen des zweiten und dritten Abschnitts benannt - einerseits das Problemfeld historischer und politischer Zeiten sowie andererseits Fragen einer rhetorisch geschulten Methodologie der "conceptual history". Aus der Beschäftigung mit Kosellecks Theorem der Verzeitlichung von Semantiken im Zuge des neuzeitlichen Auseinandertretens von "Erfahrungsraum" und "Erwartungshorizont" entspinnt sich eine Kritik primär zukunftsorientierter Zeitinterpretationen, wobei Palonen Kontingenzen in Geschichte und Politik letztlich als "Chancen" und "objektive Möglichkeiten" im Sinne Webers verstanden wissen will (221). Hinsichtlich der Modalitäten begriffsgeschichtlichen Wandels spricht Palonen von "slow", "rapid", "accidental" und "intentional forms of conceptual change" (137) und entwickelt eigene Ansätze für eine Theorie politischer Zeitschichten ("political layers of time") - auch im Hinblick darauf, inwiefern parlamentarische Demokratien unterschiedliche "time regimes" ausbilden können. Palonens Blick auf die "Mikro-Wandlungen der Begriffe in ihrem politischen Gebrauch" [6] führt ihn zurück bis hin zu den Parlamentsordnungen und den in ihnen enthaltenen Regeln zu Anträgen, Novellen etc., die das, was politisch zur Sprache gebracht und zur Sache beigetragen werden kann, vorstrukturieren. Angestrebt wird dabei eine Analyse von politischen Zeitmetaphern und zeitbezogenen rhetorischen Figuren, die im politischen Handeln Spielräume für Handlungsalternativen ermöglichen. Zu diesen Regularien und Metaphern gehören dann etwa der Kampf um knapp bemessene parlamentarischer Redezeiten oder die Rhetorik der Zeit als spezifisches politisches Instrument, etwa, wenn der rechte Augenblick, das Momentum oder aber Handlungszwänge betont werden. Politik als Aktivität kann so als Spiel mit Kontingenz gedeutet werden.
Bei diesem sicherlich lohnenswerten Blick auf die Rhetorik des Politischen geraten andererseits Fragen, die eher auf die Kontinuität von Sprache, Begriffen und Konzepten zielen, etwas in den Hintergrund - und damit auch Anliegen, die Koselleck in seiner Auseinandersetzung mit der Cambridge School betont hat: "Die Pragmatik der Sprache ist immer einmalig und situativ, als Sprachhandlung Ereignis-stiftend oder auf Ereignisse bezogen. Die Semantik dagegen hält sich länger durch, ist weniger variabel, verändert sich langsamer. Denn in jeder Semantik sind Deutungspotentiale enthalten, die über Generationen hinweg weiterwirken." [7] Palonens Texte überraschen auch immer wieder mit Statements zur Praxis guter Politik. Dazu gehört etwa die Betonung, wie wichtig rhetorisch geschulte parlamentarische Debattenbeiträge sind, da nur so politische Alternativen deutlich würden. Wiederholt argumentiert er gegen ein konsensuelles Verständnis des Parlamentarismus - und plädiert stattdessen für eine Kultur des Dissenses und eine Debattenkultur des pro und contra bzw. des in utramque partem im Anschluss an die rhetorische Tradition der Renaissance - eine Analyse, die er den Arbeiten Skinners entnimmt. Andernorts verweist er darauf, wie wichtig es für supranationale Institutionen wie die Vereinten Nationen und die Europäische Union wäre, sich über den von ihnen vorangetriebenen Sprachwandel und die unterschiedlichen Traditionen der verwendeten Begrifflichkeiten in einzelnen Ländern klar zu werden (161).
Dass Palonen einer der zentralen Netzwerker in der mittlerweile international aufgestellten Begriffsgeschichte ist, zeigt sich an dem von Claudia Wiesner, Evgeny Roshchin und Marie-Christine Boilard herausgegebenen und in der gleichen Reihe erschienenen Band In Debate with Kari Palonen. Versammelt sind hier fast 50 kurze Essays von Kolleginnen und Kollegen, die in den drei gliedernden Abschnitten "Concepts", "Politics" und "Histories" mitunter sehr persönlich wiedergeben, in welchen Arbeitszusammenhängen sie mit Palonen standen bzw. stehen und welche Anregungen er für ihre eigenen Studien gegeben hat. Neben vielen finnischen Wegbegleitern, die von einer aktiven begriffsgeschichtlichen Schule von Jyväskylä zeugen, sind auch Beiträge von Quentin Skinner, Frank Ankersmit, Peter Burke, Michael Freeden, Bo Stråth und dem bereits zitierten Jan Ifversen versammelt. Bis auf einen Text der Herausgeberin Claudia Wiesner fehlen erstaunlicherweise Beiträge von deutschen Begriffshistorikerinnen und Begriffshistorikern. Ob hier eine - beiderseitige -Reserviertheit sowohl der deutschsprachigen begriffsgeschichtlichen Gemeinde als auch des finnischen Gravitationszentrum einer politikwissenschaftlich orientierten conceptual history skandinavischer Provenienz herauszulesen ist, kann nur vermutet werden. Tatsächlich bleibt Palonen in seinen Auseinandersetzungen derart dicht an den Werken von Weber, Skinner und Koselleck, dass er auf die Rezeption Kosellecks durch seine Schüler in den deutschsprachigen Geisteswissenschaften selten eingeht - naheliegend wäre eine ausführlichere Beschäftigung mit Willibald Steinmetz Buch Das Sagbare und das Machbare. Zum Wandel politischer Handlungsspielräume gewesen, in der ebenso versucht wird, beide Theorietraditionen miteinander zu verknüpfen. [8] Die Rezeption Palonens in deutschsprachigen Gefilden erschwert zudem, dass Weber kein wirklicher Bezugspunkt für Koselleck war, zumal dieser von den Vertretern der Bielefelder Sozialgeschichte als Galionsfigur vereinnahmt worden war. Eine Debatte mit Werk und Thesen Palonens, darauf hat auch schon Burkhard Conrad verwiesen, findet in den hier zusammengetragenen Essays kaum statt. [9] Dennoch lassen sich die Interessen Palonens und ihre Fortschreibung gut herauslesen. Inwieweit der Band zu einer weiteren Beschäftigung mit dem Werk Palonens anregt, bleibt abzuwarten. Für eine wissenschaftshistorische Arbeit über interdisziplinäre Netzwerkbildung am Übergang vom 20. zum 21. Jahrhundert wäre er jedenfalls ein interessanter Ausgangspunkt.
Für Kenner von Palonens Monographien bieten die vorliegende Artikelsammlung und die eigenwillige "Festschrift" weiterführende Interpretationsmöglichkeiten und Denkanstöße. Für den Einstieg in Palonens Werk erscheinen beide Bände jedoch nicht besonders geeignet. Angeregt sei daher im letzteren Fall, gleich zu den Monographien zu greifen, wobei hinsichtlich der Weiterentwicklung der begriffs- und konzeptgeschichtlichen Methode am ehesten die neueren Bücher interessant sein dürften, die die rhetorischen Modi als auch die Temporalaspekte des Politischen im Fokus haben. [10] Insgesamt zeugen die im ersten Band der neuen "Politics-Debates-Concepts"-Reihe versammelten Beiträge Palonens von einer angestrengten Theoriearbeit, teils schwer verdaubar und bisweilen selbstreferentiell, aber immer wieder auch mit inspirierenden Interpretationen, wie man eine Begriffsgeschichte des Politischen für das 20. und 21. Jahrhundert in europäischer und globaler Perspektive fortführen könnte. Allerdings schränkt eine Analyse des Politischen, die sich derart auf die mit dem Begriff verbundenen Konzepte, Temporalmetaphern, Regularien und Praktiken konzentriert, die Möglichkeiten einer Historischen Semantik des Politischen sehr stark ein. Attraktiver erscheint es, das Politische nicht allzu puristisch zu fassen, sondern darunter generell Semantiken der Zeit und des Raums, des Wissens und der Kommunikation, der politischen und sozialen Normierung, der Zugehörigkeit und Ausgrenzung, des Selbst und der Differenz, des Ökonomischen und des Wohlfahrtsstaats zu verstehen. Damit könnte man auch tiefer in die politischen Inhalte einsteigen, als es ein Zugang über "das Politische" im engen Sinne vermag. [11] Andererseits, und darauf verweisen seine Arbeiten wiederholt, bieten sich die meist gut überlieferten und weitgehend digitalisierten parlamentarischen Debatten tatsächlich als ein wesentlicher Ausgangspunkt für eine vergleichende historische Semantik an, die sich für den Transfer von politischen Begriffen und ihre relative Abhängigkeit von nationalen Traditionen interessiert. Derartige Studien müssten freilich auch den öffentlichen Diskurs, insbesondere über Presseerzeugnisse einschließen, ebenso wie man sich nicht vorschnell von den traditionellen Quellen der Begriffsgeschichte verabschieden muss. Diesbezüglich wird man gleichzeitig hoffen dürfen, dass technische Hilfsmittel wie diachron angelegte Kollokationsanalysen neue hermeneutische, begriffsgeschichtliche Interpretationen befördern.
Anmerkungen:
[1] Für die internationale begriffsgeschichtliche Gemeinde von Bedeutung sind folgende Websites, auf denen auch viele Links zu Aufsätzen rund um die Begriffsgeschichte bzw. die Conceptual History zu finden sind, darunter auch Beiträge von Kari Palonen: Die Datenbank http://www.historyofconcepts.org/database, die mit der Zeitschrift Contributions to the History of Concepts und der History of Concepts Group (HCG) verbunden ist, sowie der Linksammlung der International Research School in Conceptual History and Political Thought (Concepta) http://www.concepta-net.org/.
[2] Jan Ifversen: An Eccentric and Nerdy Genius, in: In Debate with Kari Palonen. Concepts, Politics, Histories, hg. von Claudia Wiesner / Evgeny Roshchin / Marie-Christine Boilard, Baden-Baden 2015, 279-284.
[3] Zum zentralen Bezugspunkt wird Webers Ausspruch: "Stets wiederholen sich Versuche, den 'eigentlichen', 'wahren' Sinn historischer Begriffe festzustellen, und niemals gelangen sie zu Ende." Siehe Max Weber: Die "Objektivität" sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis (1904), in: ders.: Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, Tübingen 1973, 149-214, hier 206.
[4] Dietrich Busse: Historische Semantik. Analyse eines Programms, Stuttgart 1987; Dietrich Busse / Fritz Hermanns / Wolfgang Teubert (Hgg.): Begriffsgeschichte und Diskursgeschichte. Methodenfragen und Forschungsergebnisse der historischen Semantik, Opladen 1994; Hans Erich Bödeker (Hg.): Begriffsgeschichte, Diskursgeschichte, Metapherngeschichte, Göttingen 2002.
[5] Vgl. dazu jedoch Kari Palonen: Eine Lobrede für Politiker: Ein Kommentar zur Max Webers "Politik als Beruf", Opladen 2002, 19-21, insb. 19f.: "Für Schmitt war das Politische nur ein Moment in seinem 'konkreten Ordnungsdenken', während bei Weber, als Denker der Entzauberung und der Chancen sowie des Kampfes und des Wählens, das Politische im ganzen Denken vorherrscht. Was Schmitt (1929) als Entpolitisierung, als Auflösung der Ordnung bezeichnet, ist aus der Sicht Webers als Politisierung, als Eröffnung neuer Handlungsräume zu verstehen."
[6] Kari Palonen: Die Entzauberung der Begriffe, Münster 2004, 334.
[7] Reinhart Koselleck: Zeitschichten. Studien zur Historik, Frankfurt 2000, 14.
[8] Willibald Steinmetz: Das Sagbare und das Machbare. Zum Wandel politischer Handlungsspielräume: England 1780-1867, Stuttgart 1993.
[9] Vgl. den Blog Rotsinn [d.i. Burkhard Conrad]: Die Schule von Jyväskylä: Eine Besprechung von "In Debate with Kari Palonen", 27. April 2015, URL: https://rotsinn.wordpress.com/2015/04/27/die-schule-von-jyvaskyla-eine-besprechung-von-in-debate-with-kari-palonen/.
[10] Kari Palonen: The Struggle with Time: A Conceptual History of 'Politics' as an Activity, Berlin 2006; ders.: The Politics of Limited Times: The Rhetoric of Temporal Judgment in Parliamentary Democracies, Baden-Baden 2008; ders.: The Politics of Parliamentary Procedure. The Formation of the Westminster Procedure as a Parliamentary Ideal Type, Opladen 2014.
[11] Vgl. dazu Kathrin Kollmeier / Achim Saupe: Ausgangspunkte einer Historischen Semantik des Politischen für das 20. Jahrhundert, in: Diskurs - interdisziplinär. Zugänge, Gegenstände, Perspektiven (= Diskursmuster - Discourse Patterns, Bd. 6), hgg. von Heidrun Kämper / Ingo H. Warnke, Berlin / Boston 2015, 209-227.
Achim Saupe