Michael A. Reynolds: Shattering Empires. The Clash and Collapse of the Ottoman and Russian Empires 1908-1918, Cambridge: Cambridge University Press 2011, XIV + 303 S., diverse s/w-Abb., 2 Karten, ISBN 978-0-521-14916-7, GBP 19,99
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Michael A. Reynolds: Shattering Empires. The Clash and Collapse of the Ottoman and Russian Empires 1908-1918, Cambridge: Cambridge University Press 2011
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Oliver Borszik: Irans Führungsanspruch (1979-2013). Mission, Anhängerschaft und islamistische Konzepte im Diskurs der Politik-Elite, Berlin: Klaus Schwarz-Verlag 2016
Der Kaukasus und das östliche Anatolien bildeten über lange Zeit hinweg den Grenzraum zwischen dem Osmanischen und dem Russischen Reich. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte sich die imperiale Kontrolle in diesen beiden Gebieten abgeschwächt, so dass sie immer schwieriger zu beherrschen waren. Der in Princeton tätige Professor für Nahoststudien, Michael Reynolds, greift diesen Raum auf und analysiert die Auflösung des Osmanischen und des Russischen Reiches. Besondere Aufmerksamkeit schenkt der Autor den Interaktionen der beiden Reiche in diesen Grenzgebieten in der Zeit von 1908 bis zum Ende des Ersten Weltkrieges.
Shattering Empires versucht im Kontext des "imperial turns", der seit einiger Zeit wieder Einzug in die Geschichtswissenschaft gehalten hat, die Beziehungen der beiden Imperien in Hinblick auf ihren beinahe synchronen Niedergang zu untersuchen. Das Ziel dieser komparativen Studie ist es, die Ereignisse in den Peripherien und ihre Auswirkungen auf die beiden Imperien in einen geopolitischen Kontext zu setzen und auf diese Weise zu erklären. Michael Reynolds argumentiert, dass der "zwischenstaatliche Wettbewerb" ("interstate competition") viel eher den Schlüssel zum Verständnis der Konflikte und ihrer Folgen in den Grenzgebieten bereitstellt als dies ein entstehender Nationalismus tun könnte (6). Weiterhin geht er davon aus, dass der Nationalismus in den Peripherien als eine Form von Geopolitik verstanden werden muss und nicht etwa als ein nicht-politisch motiviertes Phänomen (18). Als Ausgangspunkt seiner diachron aufgebauten Studie wählt der Verfasser Charles Tillys These, dass "[...] die Wurzeln des modernen Staates in den konkurrierenden gewalttätigen Interaktionen menschlicher Individuen um Wohlstand und Ressourcen"(6) liegen. Laut Charles Tilly "[...] macht der Krieg den Staat und der Staat macht den Krieg"(6). Diese These nimmt Michael Reynolds in seinem Werk auf und untersucht zuerst einmal die Interaktionen des Osmanischen und des Russischen Reiches in der Zeit von der jungtürkischen Revolution bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges auf zwischenstaatlicher Ebene (21-45). Dabei geht er zunächst separat auf die (geo-) politische Situation des Osmanischen Reiches und die des Russischen Reiches ein, wobei er der Situation des Osmanischen Reiches größeren Raum gewährt, um dann später genauer die Wechselbeziehung der beiden Imperien miteinander zu erläutern. Danach wendet er sich dem östlichen Anatolien und seiner Bevölkerung zu (46-81) und beschriebt, wie sich die Machtverhältnisse in diesem Raum verändert haben. Als einen der Hauptgründe dafür sieht er den aufkommenden kurdischen Nationalismus an. Dies ist insofern markant, als Michael Reynolds in seiner Einleitung angibt, dass der in der aktuellen Historiographie als Hauptgrund für den Untergang und die Konflikte der Imperien angesehene aufkeimende Nationalismus eine untergeordnete Rolle spielt und nur im Zusammenhang mit geopolitischen Tendenzen gesehen werden darf. Dennoch begegnet der Leser immer wieder nationalen Ideen als Hauptursache für die vielfältigen Konflikte (unter anderem 53, 67, 149). Im weiteren Verlauf des Buches geht der Autor auf die Beziehungen der imperialen Zentren mit den in den Peripherien beider Reiche lebenden Bevölkerungsgruppen (vor allem Kurden und Armenier) ein (82-106). Er zeigt anschaulich, wie beide Zentren versucht haben, die Bevölkerung für ihre Interessen auszunutzen. Weiterhin befasst sich Michael Reynolds mit dem Ausbruch und Verlauf des Ersten Weltkrieges und seinen Konsequenzen für die beiden Imperien, wobei er ein ganzes Kapitel den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk widmet (167-190).
Der Verfasser präferiert eindeutig einen Top-Down-Blickwinkel und verpasst es so leider, intensiver auf die Gedankenwelt der lokalen Akteure einzugehen. Die Motivation für ihre Handlungen wird nur angerissen und auf ihre Wahrnehmung der Situation und der russisch-osmanischen Interaktionen gar nicht erst eingegangen. Des Weiteren setzen sich die diachron aufgebauten Kapitel fast ausschließlich mit der Ereignisgeschichte auseinander. Man vermisst die Herausarbeitung weit greifenderer Thesen für den Zusammenbruch des Osmanischen Reiches sowie des Zarenreiches. Bedingt durch Michael Reynolds breite Quellenbasis aus osmanisch-türkischen und russischen Archiven erhält der Leser aber dennoch einen originalen Einblick in die interimperialen Verflechtungen zu dieser Zeit, wenn auch nicht in die intraimperialen in Bezug auf seine Bevölkerung.
Vor allem in der auf Russland bezogenen Historiographie gibt es schon einige vergleichende Imperialgeschichten, unter anderem die Monographie Empire - The Russian Empire and Its Rivals von Dominic Lieven aus dem Jahr 2003, sowie den 1997 erschienenen Sammelband After Empire: Multiethnic Societies and Nation-Building: The Soviet Union and the Russian, Ottoman and Habsburg Empires (herausgegeben von Karen Barkey und Mark von Hagen). Auch wenn Michael Reynolds Studie nicht die erste ist, so liefert Shattering Empires trotz der genannten Mängel wichtige Impulse für die weitere Erforschung der osmanisch-russischen Beziehung im frühen 20. Jahrhundert.
Nataša Mindić