Rezension über:

Irene Dingel (Hg.): Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Vollständige Neuedition, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, VIII + 1712 S., ISBN 978-3-525-52104-5, EUR 59,99
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Irene Dingel (Hg.): Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Quellen und Materialien. Band 1: Von den altkirchlichen Symbolen bis zu den Katechismen Martin Luthers, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, X + 969 S., ISBN 978-3-525-52105-2, EUR 79,99
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Irene Dingel (Hg.): Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche. Quellen und Materialien. Band 2: Die Konkordienformel, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2014, VI + 643 S., ISBN 978-3-525-52102-1, EUR 79,99
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Rezension von:
Martin H. Jung
Institut für Evangelische Theologie, Universität Osnabrück
Redaktionelle Betreuung:
Sebastian Becker
Empfohlene Zitierweise:
Martin H. Jung: Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche (Rezension), in: sehepunkte 15 (2015), Nr. 11 [15.11.2015], URL: https://www.sehepunkte.de
/2015/11/25940.html


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Die Bekenntnisschriften der Evangelisch-Lutherischen Kirche

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1930, "im Gedenkjahr der Augsburgischen Konfession", wie auf dem Titelblatt zu lesen war (BSLK I), erschienen erstmals bei Vandenhoeck & Ruprecht die "Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche" (BSLK) und erlebten bis 2010 dreizehn Auflagen. Sie stehen im Bücherregal eines jeden evangelischen Theologen und einer jeden evangelischen Theologin in Deutschland. Vor vielen Jahren hatte der Heidelberger Kirchenhistoriker Gottfried Seebaß (1937-2008) die Initiative zu einer Neuausgabe ergriffen, die die gleichen Texte in derselben Reihenfolge bieten, aber anderen Prinzipien folgen sollte als die BSLK, und beauftrage verschiedene Fachleute mit der Bearbeitung der einzelnen Teile. Die Leitung des Editionsprojekts lag bei der evangelischen Kirchenhistorikerin Irene Dingel, der Direktorin der Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte des außeruniversitären Leibniz-Instituts für Europäische Geschichte (IEG) in Mainz.

Das Ergebnis der aufwendigen und verdienstvollen Arbeit, für die Dingel am 27. Juni 2015 den Hermann-Sasse-Preis der Selbständigen Evangelisch-Lutherischen Kirche (SELK) verliehen bekam, liegt jetzt in einem durch und durch kompetent und sorgfältig gestalteten Band mit mehr als 1700 Seiten vor, ergänzt von zwei weiteren Bänden mit insgesamt noch einmal mehr als 1600 Seiten, die "Quellen und Materialien", vor allem zum Konkordienbuch und zur Confessio Augustana, bieten. Zum Vergleich: Die BSLK waren noch mit gut 1200 Seiten ausgekommen. Und so bringt die neue Ausgabe 2,2 Kilo (plus 3 kg "Quellen und Materialien") auf die Waage, während die alte "nur" 1,680 kg wog. Wegen ihres Umfangs und ihres Gewichts ist allein schon der Hauptband der Neuausgabe deutlich unhandlicher (und unästhetischer) als die alten BSLK. Die Frage drängt sich auf, warum der Verlag die zentralen Texte des Hauptbandes nicht in zwei oder drei Teilbänden veröffentlicht hat. Sie sind ja auch nicht alle für das Studium und die Praxis von gleicher Relevanz. Wer, abgesehen von wenigen Spezialisten, beschäftigt sich noch mit der Konkordienformel?

Die Textsammlung bietet die folgenden, für die evangelisch-lutherische Bekenntnistradition des 16. Jahrhunderts wichtigen Texte samt dazu gehörenden umfangreichen Materialien: Apostolikum, Nicäno-Konstantinopolitanum, Athanasianum, Augsburger Bekenntnis, Apologie zum Augsburger Bekenntnis, Schmalkaldische Artikel, Traktat über die Macht und den Primat des Papstes (Melanchthon), Luthers Katechismen, Konkordienformel sowie Catalogus Testimoniorum. Neben Dingel wirkten zahlreiche weitere angesehene evangelische Kirchenhistoriker mit, darunter Robert Kolb, Volker Leppin, Christian Peters, Adolf Martin Ritter und Johannes Schilling.

Das dreibändige Kompendium stellt gewissermaßen ein Pendant zum katholischen Denzinger-Hünermann dar. Allerdings gibt es zwei nicht unwesentliche Unterschiede: Denzinger-Hünermann bietet alles auch in heutigem Deutsch, die BSELK bietet die Übersetzungen des 16. Jahrhunderts. Ferner wird Denzinger-Hünermann laufend fortgeschrieben und aktualisiert. Die BSELK sind dagegen rein historisch orientiert und interessiert. Doch die Bekenntnistradition evangelisch-lutherischer Kirchen war mit dem 16. Jahrhundert nicht zu Ende. Die Barmer Erklärung von 1934 oder die Stuttgarter Schulderklärung von 1945, ja selbst der reformierte Heidelberger Katechismus von 1563 spielen für evangelisch-lutherische Kirchen der Gegenwart sicher eine größere Rolle als die Konkordienformel oder erst recht der ihr beigegebene Katalog von Zeugnissen für die evangelische Lehre aus den Schriften der Kirchenlehrer. Ferner wäre das Bekenntnis von Chalcedon im heutigen theologischen und ökumenischen Diskurs relevanter als das Athanasianum. Trotz der historischen und dezidiert lutherischen Ausrichtung der Edition erfolgte sie aber "im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland" und nicht in Kooperation mit der VELKD, wie man erwarten und vermuten könnte. Besonders nahe steht dieser Umgang mit den Bekenntnissen, wie die erwähnte rasche Preisverleihung an Dingel - sicher unerwartet - bestätigte, den aktuellen Positionen und Interessen der SELK. Von der Auftraggeberin, der Herausgeberin und den Bearbeitern aber gewiss nicht intendiert war es, durch die Wahl der Abkürzung BSELK für die Neuausgabe ebenfalls an die SELK zu erinnern.

Eine wirkliche Notwendigkeit zur Neuausgabe bestand eigentlich nicht. Die BSLK erfüllten ihren Zweck. Allerdings waren die deutschen Texte hier in Frakturschrift abgedruckt worden, mit der sich heutige Studierende schwer tun. Die Neuausgabe bietet alles in Antiqua und ist somit für ein breites Publikum besser les- und einfacher zitierbar. Außerdem verzichtet die Neuausgabe auf die in den BSLK vorherrschende Präsentation parallel laufender Texte in Spalten und stellt sie auf linken und rechten Seiten einander gegenüber. Hier wird man sagen müssen, dass das alte Prinzip für den Leser günstiger war.

Die neue Ausgabe bietet die Texte in "jene[r] Textgestalt [...], die tatsächlich rezipiert wurde, Rechtskraft erhielt und langfristige Wirkungen erzielte" (BSELK V). Die BSLK hatten dagegen "die mit den heutigen Mitteln der Wissenschaft erreichbare ursprüngliche Gestalt" zu rekonstruieren versucht (BSLK VII). Es gibt sicher für beide Wege gute Gründe, ein wenig spiegelt die Neuausgabe damit aber auch einen generellen Trend in der Theologie und in verwandten Wissenschaften, sich nach zweihundert Jahren - letztlich enttäuschender? - Bemühungen um Text- und Literarkritik wieder vermehrt oder sogar ausschließlich den Endresultaten und ihren Wirkungen zuzuwenden.

Wie in den BSLK finden sich zu jeder Bekenntnisschrift Einleitungen sowie ein reichhaltiger Anmerkungsapparat. Auch mit hilfreichen Sach-, Bibelstellen- und Personenregistern wurde die Neuausgabe ausgestattet. Die BSLK hatten darüber hinaus ein Orts- und ein Zitatenregister. Etwas uneinheitlich gestaltet sind die Anmerkungsapparate. Bei einigen Texten bieten sie in Ansätzen einen theologischen und geschichtlichen Kommentar. Theoretisch hätte man darauf ganz verzichten können. Alles in allem empfindet ihn der Leser jedoch als hilfreich. Begrüßenswert ist auch die Entscheidung des Verlags, den Hauptband mit Bildern auszustatten, nämlich mit den Titelbildern des deutschen und des lateinischen Konkordienbuches sowie - auch inhaltlich instruktiv - mit den Bildern, mit denen der Kleine Katechismus, seine Lehren illustrierend, ausgestattet war.

Etwas sehr Positives noch zum Schluss: Gemessen an dem, was das Buch quantitativ und qualitativ bietet, ist der Hauptband außergewöhnlich preiswert und somit auch in Zukunft jedem Theologiestudierenden zuzumuten. Wer freilich die BSLK schon hat, für den ist die Neuausgabe kein Muss. Wer die alte Ausgabe besitzt, hat, was er braucht, und zitierfähig ist sie ebenfalls weiterhin. Wer sich freilich wissenschaftlich mit der lutherischen Bekenntnistradition beschäftigen möchte, und sei es auch nur im Rahmen eines kirchengeschichtlichen Proseminars an der Universität, kommt an der Neuausgabe nicht vorbei, sowohl wegen der in den beiden ergänzenden Quellenbänden präsentierten wichtigen, ansonsten überwiegend nur schwer zugänglichen Materialien als auch wegen der umfassenden Rezeption und Dokumentation der neuesten Forschungsliteratur.

Martin H. Jung