Norbert Angermann / Karsten Brüggemann / Inna Poltsam-Jürjo (Hgg.): Die Baltischen Länder und Europa in der Frühen Neuzeit (= Quellen und Studien zur baltischen Geschichte; Bd. 26), Köln / Weimar / Wien: Böhlau 2015, VI + 416 S., ISBN 978-3-412-50118-1, EUR 54,90
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Der vorliegende Sammelband enthält Beiträge von 17 Autoren. Acht Aufsätze gehen auf das 62. Baltische Historikertreffen zurück, das 2009 unter dem gleichnamigen Hauptthema in Göttingen veranstaltet wurde. Weitere thematisch passende Beiträge wurden mit aufgenommen, um die "vergleichsweise vernachlässigte Forschung zur baltischen Geschichte zusätzlich anzuregen" (1). Der Raum, dessen europäische Verbindungen in den Aufsätzen behandelt werden, umfasst das Gebiet des heutigen Estlands und Lettlands. Der zeitliche Rahmen erstreckt sich von etwa 1500 bis 1800, was wie alle Periodisierungen nicht ganz unproblematisch ist. Denn in der politischen Entwicklung gab es nach 1500 auffällige Umbrüche wie etwa 1561 das Auseinanderbrechen der altlivländischen Konföderation, in deren Folge das Herzogtum Kurland entstand und große Teile Estlands und Livlands unter die direkte Herrschaft Schwedens und Polen-Litauens gelangten. Eine weitere Zäsur stellt das Jahr 1710 dar, die Inbesitznahme Estlands und Livlands durch Peter I. Die militärisch-politische Komponente ist aber nur ein Spannungsfeld mit europäischem Bezug. Die baltischen Städte waren Zentren des europäischen Fernhandels. Mit der Reformation breitete sich das lutherische Bekenntnis aus. Viele kulturelle Impulse gingen von den deutschen Staaten und den Niederlanden aus bzw. nahmen den Umweg über Schweden.
Den Reigen der Beiträge eröffnet Erwin Oberländer (Das Konzept der Frühen Neuzeit und die Geschichte Estlands, Livlands und Kurlands 1561-1795). Er führt aus, wie sich im vorwiegend agrarisch geprägten Arbeitsgebiet der von einer deutschen Oberschicht dominierte Gutsbetrieb mit unfreien Bauern zur bestimmenden Wirtschaftsform entwickelte und kommt zum Schluss, dass die üblichen Definitionsmerkmale der Frühen Neuzeit für diese Region kaum zutreffen. Anregungen einer Modernisierung gingen am ehesten von der schwedischen Regierung und dem Herzog von Kurland aus.
Martin Klöcker (Koloniales Modell und regionale Literatur. Die deutsch-livländischen Literaturbeziehungen der Frühen Neuzeit) lehnt die traditionelle Auffassung, die deutschbaltische Literatur der Frühen Neuzeit sei von der des deutschen Mutterlandes in einem kolonialen Sinne abhängig, ab. Er verweist auf die Inhomogenität im deutschen Sprachraum, in der es keine einheitliche Literatur gab, wohl aber zahlreiche regionale Varianten. Die deutschbaltische Literatur zählt er zu diesen Varianten.
Am weitesten in die Vergangenheit zurück greift Maria Bessudnova (Groß-Novgorod zwischen Moskau und Livland um die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert). Durch die Eroberung Novgorods durch Ivan III. wurde das Großfürstentum Moskau zum direkten Nachbarn Livlands. Differenziert betrachtet sie die Außenpolitik des Ordensmeisters Wolter von Plettenburg, der in der russischen Geschichtsschreibung meist als Aggressor dargestellt wird.
Die drei folgenden Beiträge von Anti Selart (Johann Blankenfeld und Russland), Stefan Hartmann (Aspekte der Außenbeziehungen Livlands im Spiegel der Korrespondenz Herzog Albrechts von Preußen <1525-1570>) und Madis Maasing (Die Metropolitanverbindung Rigas mit den preußischen Bistümern zur Zeit des Erzbischofs Wilhelm von Brandenburg) befassen sich mit außenpolitischen Aspekten der vornehmsten geistlichen Würdenträger Livlands und Preußens. Speziell Hartmann wertet die Korrespondenz Albrechts von Preußen aus, der im Zuge der Reformation das Ordensgebiet in ein weltliches Herzogtum umwandelte und versuchte, seinen Bruder, den Erzbischof von Riga, für die Reformation zu begeistern.
Ein geld- und wirtschaftsgeschichtlicher Beitrag stammt aus der Feder von Ivar Leimus (Die Münzbeziehungen zwischen Livland und seinen Nachbarn im 16. Jahrhundert). Er untersucht das livländische Münzwesen im 16. Jahrhundert, das von mehreren Münzsystemen gekennzeichnet war.
Die folgende Regionalstudie von Inna Põltsam-Jürjo (Außenbeziehungen der livländischen Stadt Neu-Pernau in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts) widmet sich Neu-Pernau zwischen 1582 und 1602. In diesem Zeitraum befand sich die Stadt unter polnisch-litauischer Herrschaft. Die Autorin analysiert das aus dieser Zeit erhaltene Protokoll-Buch des städtischen Magistrats im Hinblick auf die Bewältigung der Folgen des livländischen Krieges.
Mit kirchlichen Aspekten im späten 16. und 17. Jahrhundert in Livland und Estland beschäftigen sich Gvido Straube (Das Scheitern der von Polen-Litauen begonnenen Gegenreformation in Livland) und Lea Kõiv (Reval und die Kirchenpolitik Schwedens). Straube weist darauf hin, dass die von Polen-Litauen ausgehenden gegenreformatorischen Bestrebungen kaum eine Bedrohung für das livländische Luthertum darstellten. Kõiv kennzeichnet die wechselnde Kirchenpolitik Schwedens gegenüber Estland, hinter der das Streben nach kirchlicher Einheit in allen Teilen des schwedischen Ostseereichs stand.
Thematisch eng miteinander verbunden sind die Beiträge von Volker Keller (Zu den Anfängen der Beziehungen zwischen Kurland und England <1606-1615>) und Andreas Fülberth (Noch immer ein Forschungsdesiderat? Aspekte der kurländisch-niederländischen Beziehungen zur Zeit Herzog Jakobs). Keller behandelt den Briefwechsel des kurländischen Herzogs Wilhelm mit dem englischen König Jakob I. Wirklich relevant wurden die Beziehungen allerdings erst unter seinem Nachfolger Jakob, dessen Verbindungen zu den Niederlanden im Fokus der Arbeit von Fülberth stehen.
Europäische Einflüsse auf Handwerk und Handel werden in den folgenden drei Aufsätzen thematisiert. Enn Küng (Jacob Ponteus' Manufakturgewerbe in Narva in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts) befasst sich mit schwedischen Innovationen, die sich auf die Holzverarbeitung und den Schiffbau in Narva auswirkten. Dirk-Gerd Erpenbeck (Glasmacher und Glashütten im Baltikum im 18. Jahrhundert) behandelt die Glaserzeugung in den nunmehr russischen Ostseeprovinzen ab 1739, die durch die massenhafte Zuwanderung vorwiegend deutscher Glasmacher nach Russland gefördert wurde. Viktor Nikolaevič Zacharov (Kaufleute aus dem Baltikum in russischen Städten während des 18. Jahrhunderts) legt erstmals einen Beitrag über die Tätigkeit von Kaufleuten aus den Ostseeprovinzen in Russland im 18. Jahrhundert vor. Dabei berücksichtigt er auch Händler aus ostpreußischen Städten.
Bogusław Dybaś befasst sich mit einer der umstrittensten Personen der schwedisch-polnisch-litauisch-deutschen Geschichte, Johann Reinhold Patkul (Johann Reinhold Patkul <1660-1707> und die "Kapitulation" der livländischen Stände mit August dem Starken - zwischen fürstlichem Absolutismus und Ständestaat). Im Zentrum des Beitrages steht eine Urkunde, die den Wechsel Livlands von der schwedischen zur polnischen Krone vorbereiten sollte, wozu es allerdings nicht gekommen ist.
Den Beschluss macht Mati Laur (Generalgouverneur George von Browne und die "gute Policey" in Livland in den 1760er Jahren). Er untersucht die Verwaltungsordnungen des Rigaer Generalgouverneurs. Obwohl sich diese mit inneren Verwaltungsvorgängen befassen, kommt Laur zum Schluss, dass europäische Perspektiven enthalten sind.
Die in diesem Band versammelten Beiträge folgen unterschiedlichsten Ansätzen und Themenfeldern, Regionalstudien stehen gleichberechtigt neben thematisch weit gefächerten Entwürfen aus der Literatur- und Religionsgeschichte. Sie spiegeln jedoch in der Breite einen allgemeinen und trotzdem zutreffenden Eindruck von der Vielfalt der europäischen Einflüsse und Verbindungen mit dem Baltikum wider.
Joachim Krüger