Tina Bode: König und Bischof in ottonischer Zeit. Herrschaftspraxis-Handlungsspielräume-Interaktionen (= Historische Studien; Bd. 506), Husum: Matthiesen 2015, 626 S., 40 Farb-, s/w-Abb., ISBN 978-3-7868-1506-8, EUR 79,00
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Die überaus voluminöse Dissertationsschrift von Tina Bode, die im Wintersemester 2011/12 eingereicht wurde und im Jahr 2015 in der bekannten Reihe der Historischen Studien erschienen ist, verspricht in ihrem Titel einen größeren Untersuchungsgegenstand, als innerhalb des Buches eingelöst wird, obschon sich die Arbeit über 555 Textseiten mit 3287 Anmerkungen erstreckt. Doch geht es keineswegs um eine grundsätzliche Beschreibung der "Herrschaftspraxis", "Handlungsspielräume" und "Interaktionen" von "König und Bischof in ottonischer Zeit" als vielmehr um eine in mehrere Abschnitte zerfallende Untersuchung der Mainzer Kirchenprovinz in der Zeit Ottos I. und Ottos II., die sich vornehmlich auf den Aspekt der Bischofseinsetzung und auf die Mitwirkung der Bischöfe am Urkundengeschäft konzentriert. Dies ist keineswegs eine weniger ambitionierte Leistung, doch wird (zumindest dem Rezensenten) zunächst einmal ein anderer Eindruck suggeriert. Nichtsdestotrotz ordnet Bode ihre Ergebnisse in den größeren Zusammenhang des sogenannten 'ottonisch-frühsalischen Reichskirchensystems' ein, das sie komplementär zu den Ergebnissen der jüngeren Forschung und im Gegensatz zur Wendung 'Reichskirche' als Beschreibungsformel ablehnt (553).
Die Struktur der Arbeit ist - einer Reihe von Unterkapiteln zum Trotz - einfach gehalten. Auf eine sehr knappe Einleitung (11-14) und einen Forschungsüberblick über "Die ottonische Reichskirchenpolitik" (15-51) folgt eine prosopographische Beschäftigung mit den Erz-/Bischöfen der Mainzer Kirchenprovinz in der Zeit von 936 bis 983 (52-296), in der in insgesamt 48 Kurzbiographien unterschiedlicher Länge (von einer knappen Seite bis zu 14 Seiten) alle relevanten Informationen zu den einzelnen Geistlichen zusammengetragen werden. Anschließend wechselt Bode in eine systematische Analyse über und verhandelt - mehrfach untergliedert - "Personale und institutionelle Interaktionen während der Herrschaft" Ottos I. (306-401) und Ottos II. (484-537), wobei insgesamt vier äußerst konzise gestaltete Zusammenfassungen Bodes spezifische Ergebnisse listen, für die die einzelnen Lebensbeschreibungen die Grundlage liefern. Dabei betont Bode die Individualität der im Prinzip nicht zu kategorisierenden Lebens- und Karrierewege, wenngleich sich unterschiedliche Tendenzen unter Otto I. und Otto II. ausmachen ließen (etwa bezüglich der Rekrutierung von Bischöfen aus Klostergemeinschaften). Generell habe weder die Hofkapelle als 'Ausbildungsstation' noch die Verwandtschaft zum Herrscher eine herausgehobene Rolle gespielt. Vielmehr seien unterschiedlich geartete 'Nähe' zum Herrscher und ein Bezug zur Region des zu besetzenden Bistums von entscheidender Bedeutung gewesen.
Eingeleitet werden diese beiden Teile von unterschiedlich konzipierten Überlegungen zu "Grundstrukturen der Herrschaft" der beiden Ottonen. Nicht nur der direkt ins Auge springende Längenunterschied (sind es über Otto I. gerade einmal neun Seiten, umfasst das Kapitel über dessen Sohn über 80 Seiten), auch die generelle Anlage der beiden eigentlich analogen Teile unterscheidet sich. Während hier vornehmlich auf der Grundlage der Biographie von Johannes Laudage [1] einzelne Forschungsfragen kursorisch angerissen und zwei Phasen der Herrschaft Ottos des Großen unterschieden werden, findet sich dort eine eigenständige Beschäftigung mit dessen Sohn, wobei die Autorin auch für Otto II. verschiedene (Herrschafts-)Phasen gegeneinander abgrenzt, um am Ende zu einer pointierten Wertung zu kommen: "Otto II. hatte es letztlich durchaus vermocht, das ottonische Reich im Norden und Süden, auch durch Krisenzeiten hindurch, erfolgreich zu regieren und zu bewahren. Unfähigkeit kann man ihm daher sicher nicht vorwerfen, sondern vielmehr seine Regierung gemessen an seiner Herrschaftspraxis im Ganzen als erfolgreich werten" (483). Die Arbeit schließt mit einem Vergleich der jeweiligen "Reichskirchenpolitik" der beiden Ottonen (538-554) und einer fast schon lakonischen "Schlußbemerkung" (555). Verschiedene "Materialien" (Übersichtslisten, Abbildungen etc.), auf die im Verlauf des Werkes verwiesen wird, die üblichen Anhänge sowie zwei eingeschobene Exkurse (über die "Gründung des Erzbistums Magdeburg" [376-401] und über die "Entstehung des Prager Bistums" [527-537]) komplettieren das Buch.
Die Abbildungen sind zwar teilweise in Farbe gehalten, aber nicht immer von ausreichender Größe (etwa 56 oder 436 und 438); auch das nicht immer sorgfältige Korrektorat stört mitunter den Lesefluss. Das Literaturverzeichnis ist umfangreich und wird dem Anliegen der Arbeit gerecht, wenngleich man einige einschlägige Arbeiten, die zwar teilweise nach dem Einreichen der Arbeit, aber weit vor Ende der abschließenden Redaktion verfasst wurden, vermisst. [2]
Der große Gewinn der Studie liegt in einer Fülle von Einzelbeobachtungen, die hier nicht weiter ausgeführt werden können. Hervorgehoben seien einzig ihre "Deutungsversuche" bezüglich der Einführung eines Titelmonogramms durch Otto II. im Jahr 975, die nicht nur größtenteils neu, sondern auch weiterführend sind (wenngleich in ihren Ableitungen teilweise sehr hypothetisch) (419-443). Aufgrund der Anlage kommt es insgesamt jedoch immer wieder zu Wiederholungen, indem bereits im ersten Hauptteil angeführte Aspekte im strukturell angelegten Folgeteil (mal in einer mehr, mal in einer weniger ausführlichen Form) erneut präsentiert werden.
Damit verbleibt insgesamt ein zwiespältiger Eindruck. Der in einem gewissen Sinne sozialwissenschaftliche Ansatz der Autorin stößt aufgrund der spezifischen mittelalterlichen Quellenlage immer wieder an nicht zu überschreitende Erkenntnisgrenzen, die jedoch stets offengelegt werden. Bode vermeidet allzu ausufernde Spekulationen und weist immer wieder mittels eines "Fragezeichensystems" (54) auf den Sicherheitsgrad der Quellenüberlieferung hin. Doch bliebe - sicherlich in einem größeren Zusammenhang und nicht im Rahmen einer Dissertation - zu überdenken, ob eine solche quantitative Untersuchungsanlage in der Mediävistik (beziehungsweise im 10. Jahrhundert) wirklich sinnvoll fundiert sein kann. Zusätzlich versperren die schon angesprochenen Redundanzen den Zugang zum Werk, das eher die Anmutung eines Kataloges der zur Mainzer Kirchenprovinz gehörenden Erzbischöfe und Bischöfe denn einer monographischen Analyse hat. Umgekehrt zieht die Arbeit hieraus ihre genuine Stärke. Denn in dieser Funktion wird der Ottonenforscher stets dankbar zu diesem Werk greifen. Als überaus nützliches Hilfsmittel wird das Buch also problemlos seine Leser und Benutzer finden. Dies ist im Zeitalter sogenannter 'Impaktfaktoren' sicherlich nicht das schlechteste Ergebnis.
Anmerkungen:
[1] Vgl.: Johannes Laudage: Otto der Große (912-973). Eine Biographie, Regensburg 2001 (32012).
[2] Genannt seien: Matthias Schrör: Metropolitangewalt und papstgeschichtliche Wende (Historische Studien; 494), Husum 2009; Andreas Thier: Hierarchie und Autonomie. Regelungstraditionen der Bischofsbestellung in der Geschichte des kirchlichen Wahlrechts bis 1140 (Studien zur europäischen Rechtsgeschichte; 257/ Recht im ersten Jahrtausend; 1), Frankfurt a. M. 2011; Matthias Becher: Otto der Große. Kaiser und Reich. Eine Biographie, München 2012.
Simon Groth